Qualitätssicherung durch Mitarbeiterbeteiligung

Einstellung ist wichtiger als jedes Werkzeug

01.08.2019
Von 
Jan Webering ist CEO von Avenga. Zuvor war er CEO der Sevenval Technologies GmbH. Seit 1999 unterstützt der Web-Frontend-Pionier aus Köln mit seinem Team komplexe Organisationen bei der digitalen Transformation.
Um Qualitätsdenken in einem Unternehmen zu etablieren, müssen Mitarbeiter an der Maßnahmenentwicklungen und der Auswahl von Test-Werkzeugen beteiligt werden.

Im "Zeitalter des Kunden" ist Qualität das wichtigste Kriterium für den Erfolg eines digitalen Services. Denn heute kann jeder Verbraucher problemlos und innerhalb kürzester Zeit Preise, Produktinformationen und Dienstleistungen sämtlicher Wettbewerber vergleichen. Findet er nicht direkt, wonach er sucht, weil etwa eine Webseite, ein Onlineshop oder eine Plattform unübersichtlich ist oder zu lange lädt, wechselt er mit nur wenigen Klicks zum Angebot der Konkurrenz. Um den stetig steigenden Nutzeransprüchen gerecht zu werden, müssen Unternehmen ihr digitales Angebot daher unablässig auf dem neuesten Stand halten und für unterschiedliche Endgeräte und Browser zur Verfügung stellen.

Um die Akzeptanz der Mitarbeiter zu erhalten, kann es hilfreich sein, sie bereits am Auswahlprozess für neue Tools zu beteiligen.
Um die Akzeptanz der Mitarbeiter zu erhalten, kann es hilfreich sein, sie bereits am Auswahlprozess für neue Tools zu beteiligen.
Foto: SFIO CRACHO - shutterstock.com

In der Praxis führt diese Herausforderung oft dazu, dass der Entwicklungszyklus von Fehlerbehebungen und Weiterentwicklungen nicht strategisch geplant wird. Stattdessen ist das Tagegeschäft taktisch geprägt, da Termine eingehalten und Live-Schaltungen garantiert werden müssen.

In der Folge werden beispielsweise zuvor festgelegte Prozesse und Programmierstandards nicht eingehalten, oder es werden Bug-Fixes teilweise im laufenden Betrieb und ohne Dokumentation vorgenommen. Dies erschwert die spätere Integration neuer Features und Funktionen in das bestehende System, woraus wiederum neue Fehler und Inkompatibilitäten resultieren. Fast zwangsläufig entsteht dadurch ein Teufelskreis.

Qualitätssicherung und Tests unerlässlich

Um den Ursachen dieses sich selbst negativ verstärkenden Prozesses entgegenzuwirken sowie um dauerhaft zuverlässige und hochwertige digitale Dienste anbieten zu können, sind die Qualitätssicherung und die damit verbundenen Tests unerlässlich.

Zahlreiche persönliche Gespräche haben mir den Eindruck vermittelt, dass insbesondere in großen Unternehmen die hohe Bedeutung der Quality-Assurance durchaus bekannt ist und in der Regel auch ausreichend Budget für die Anschaffung von Tools bereitsteht, die diese unterstützen. Die zuständigen Entscheider müssen somit nur noch eruieren, welche Lösung die Bedürfnisse in ihrem Unternehmen oder in ihrer Abteilung am besten abdeckt - so weit zumindest die Theorie.

In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die ausgewählten Werkzeuge viel zu selten die gewünschten Resultate liefern. Häufig ist dies weniger auf inhärente Schwächen als darauf zurückzuführen, dass sie die Arbeitsweise der Mitarbeiter nicht optimal unterstützen. So gibt es insbesondere in den Bereichen der Qualitätskontrolle und Entwicklung zahlreiche Software-Monolithe, die darauf ausgelegt sind, ein breites Aufgabenspektrum zu unterstützen, aber für spezielle Anforderungen nicht die optimale Lösung darstellen.

Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse einbinden

Erschwerend kommt hinzu, dass manche überdimensionierten Instrumente oft eine feste Arbeits- sowie Vorgehensweise vorgeben und es im Gegensatz zu einfachen Anwendungssoftwares wie Word oder Excel nicht zulassen, dass die Mitarbeiter ausschließlich jene Funktionen nutzen, die sie tatsächlich benötigen. Erfahrungsgemäß finden Angestellte jedoch erstaunlich kreative Mittel und Wege, um die Arbeit mit Tools zu umgehen, wenn diese ihren Workflow stören. Aber wie erkennen Entscheider das richtige Hilfsmittel für ihre Anforderungen?

Lesetipp: Was eine Arbeitsplatzsoftware leisten muss

Erfolgreiche Qualitätssicherung beginnt immer bei den Mitarbeitern. Diese sind Experten auf ihrem Gebiet und wissen in aller Regel, was sie benötigen. Sie kennen ihre Arbeitsweise im Tagesgeschäft und können somit oft wertvolle Hinweise geben, welche Vor- und Nachteile für sie mit einer bestimmten Lösung einhergehen.

Um teure Schulungen zu vermeiden, sollten Unternehmen also nicht nur auf den Einsatzzweck einer Software achten. Ebenso wichtige Auswahlkriterien sind zum Beispiel die Mitarbeiterstruktur, die bislang übliche Form der Zusammenarbeit sowie das bereits vorhandene Know-how im Team. Selbst wenn in zwei unterschiedlichen Unternehmen oder Abteilungen die exakt gleichen Ziele erreicht werden sollen, müssen die bestmöglichen Maßnahmen und favorisierten Werkzeuge keinesfalls identisch sein.

Praxisbeispiel: Die Unterstützung von Mitarbeitern gewinnen

Wie wichtig es ist, den Support der Angestellten selbst bei auf den ersten Blick marginalen Veränderungen zu gewinnen, und zu welch positiven Resultaten eben diese Herangehensweise führt, zeigt ein Beispiel aus der Praxis. Die Entwicklungsabteilung des Kunden arbeitet in Wochenzyklen, wobei jeden Montag eine Bestandsaufnahme erfolgt und neue Arbeitspakete verteilt werden.

Damit die Qualität der geleisteten Arbeit gewährleistet werden kann, setzt das Team auf ein Vier-Augen-Prinzip. Dabei wird eine standardisierte Checkliste abgearbeitet, die Aufschluss darüber geben soll, ob tatsächlich sämtliche zugeteilten Aufgaben sachgemäß erledigt wurden. Um eine möglichst hohe Transparenz zu gewährleisten, liegt die Liste sowohl dem Kontrollierenden als auch dem Entwickler während ihrer Arbeit vor. Normalerweise würde im Verlauf des Review-Prozesses ein Abnahmeprotokoll erstellt werden, worauf die Verantwortlichen in diesem Unternehmen aber verzichtet haben.

Um ein entsprechendes Dokument nicht ohne die Zustimmung der Mitarbeiter einzuführen, beschloss das Qualitätsmanagement, die auszuführenden Aufgaben systematisch zu erfassen und die Ergebnisse auf Effizienz und Güte hin zu prüfen.
Dabei wurde schnell deutlich, dass die Fehlerquote trotz des Reviews mit Checkliste deutlich über einem akzeptablen Wert lag. Da viele Arbeitsschritte aufeinander aufbauten und die Entwicklung bis zur Behebung der Mängel nicht fortgesetzt werden konnte, kam es so wiederholt zu Verzögerungen.

Mögliche Ursachen waren:

  • die Liste wurde nicht konsequent genutzt

  • die Liste wurde überhaupt nicht genutzt

  • in der Liste fehlten wichtige Punkte, die somit nicht abgefragt werden konnten.

Ohne Protokoll war es jedoch nahezu unmöglich, einen kausalen Zusammenhang zwischen den immer wieder auftretenden Diskrepanzen zu entdecken. Nachdem diese Problematik an diversen Beispielen demonstriert worden war, wurde die Notwendigkeit einer schriftlich dokumentierten Abnahme nicht nur anerkannt, sondern von einigen Entwicklern selbst eingefordert. In den folgenden Wochen konnten mittels des im Anschluss eingeführten Protokolls diverse Fehlerquellen identifiziert und eliminiert werden, sodass sowohl der Output des Teams als auch die Qualität der geleisteten Arbeit deutlich stiegen.

Partizipation fördert Qualitätsdenken

Dieses Beispiel zeigt: Weitaus erfolgsversprechender als Qualitätsziele zu definieren und anschließend auf Maßnahmen zu deren Einhaltung zu bestehen, ist es, Mitarbeiter möglichst frühzeitig in die Lösungssuche einzubeziehen. Denn entscheidend bei der Auswahl der Maßnahmen und der Werkzeuge ist nicht nur die Zielsetzung, sondern auch die individuelle Unternehmenskultur, die Teamstruktur, bestehende Kommunikationswege sowie die Erwartungshaltung der Team-Mitglieder. Damit sich ein Quality-Mindset entwickeln kann, sollten diese Faktoren unbedingt berücksichtigt werden.

Darum gilt es, Maßnahmen zu gestalten, die tatsächlich von Mitarbeitern innerhalb eines Unternehmens getragen werden. Erst im Anschluss daran sollte gemeinsam nach Werkzeugen gesucht werden, mit denen sich diese umsetzen lassen. Zudem steigt die Motivation der Mitarbeiter, ein Tool zu nutzen, durch deren Beteiligung am Auswahl- und Entscheidungsprozess enorm. Dies gilt selbstverständlich auch dann, wenn sich die Qualitätsziele im Laufe der Zeit ändern und Maßnahmen und Hilfsmittel angepasst werden müssen.