Bereits seit Oktober 2018 sind öffentliche Einrichtungen in Deutschland verpflichtet, die Ausschreibungs- und Vergabeverfahren für Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge ab einer gewissen Größenordnung rein elektronisch abzuwickeln. Ziel des Gesetzgebers ist es, den Kosten- und Zeitaufwand für die Ausschreibungsprozesse und für den Informationsaustausch mit den Lieferanten zu senken.
Statt Papierberge hin und her zu schicken, sollen die Abläufe schnell und einfach vernetzt werden. Zudem könnten die Ausschreibungsverfahren durch die Automatisierung vereinheitlicht sowie transparent und nachvollziehbar gestaltet werden - ein wichtiges Argument, um beispielsweise Unregelmäßigkeiten und Korruption zu vermeiden. Da auch immer mehr Unternehmen diese Vorteile nutzen wollen, hat sich der Ausschreibungsmarkt in den vergangenen Jahren zunehmend digitalisiert.
Zu komplex, zu rudimentär
Was mit dieser Entwicklung allerdings nicht Schritt gehalten hat, ist die Benutzerfreundlichkeit der im Markt verfügbaren Ausschreibungs-Tools. So sind die Ausschreibungsbelege vieler Lösungen derart komplex, dass sich nicht nur die Lieferanten, sondern auch die Einkäufer selbst überfordert fühlen. Ähnliches trifft für die Ausschreibungsfunktionen in SAP Supplier Relationship Management (SRM) zu, die den Nutzer mit unzähligen - oft unnötigen - Eingabefeldern strapazieren.
Wenig Perspektiven bietet in diesem Zusammenhang auch der Umstieg auf die neue S/4HANA-Business Suite, der bis 2025 erfolgt sein muss und in vielen Unternehmen bereits in Planung ist. So stellt S/4HANA Sourcing & Procurement nur rudimentäre Ausschreibungsprozesse zur Verfügung. Viele SAP-basierte Einkaufsorganisationen stehen also vor der Frage, ob sie für Angebotsaufforderungen auf die Kollaborationsplattform SAP Ariba ausweichen sollen, die die entsprechenden Prozesse in der Cloud bereithält.
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Doch nicht für alle Unternehmen und öffentliche Einrichtungen ist Ariba eine Option. Dies liegt zum einen daran, dass die Public-Cloud-Lösung eher für standardisierte Beschaffungsprozesse als für Einkaufsorganisationen in Frage kommt, die vielen brancheneigenen und regionalen Besonderheiten Rechnung tragen müssen. Zudem haben viele Unternehmen Bedenken, geschäftskritische Daten in einer öffentlichen Cloud wie SAP Ariba abzulegen.
eRfx-Werkzeuge bieten Lösung
Einen Lösungsansatz versprechen moderne eRfx-Werkzeuge (Electronic Request für x), wobei der Buchstabe "x" als Platzhalter zum Beispiel für den Preis oder für konkrete Angebote zu angefragten Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen stehen kann. eRfx-Tools vereinfachen die operativen Ausschreibungsprozesse für beide Seiten, denn sie beschränken sich auf den notwendigen Informationsaustausch und stellen übersichtliche Benutzeroberflächen mit intuitiven Funktionen bereit.
Flexibel gestaltbare Textfelder mit Fragebogefunktionen erlauben es den Einkäufern beispielsweise, schnell und einfach ihre Anforderungen zu formulieren und an ausgewählte Lieferantenkreise zu versenden. Per E-Mail zeitnah über neue Ausschreibungen informiert, klicken sich die Zulieferer in wenigen Schritten durch die Anfragen und geben bei Interesse ihr Angebot mit den benötigten Informationen ab - wozu der Preis, aber auch Auskünfte zu Firma, Bonität, Produktionskapazitäten, Lieferfristen und vielem mehr zählen können. Besteht Zugriff auf einen gemeinsamen elektronischen Ordner, können die Lieferanten dort zusätzlich wichtige Dokumente oder Konstruktionszeichnungen herunterladen, die die Anforderungen der Einkäufer näher spezifizieren.
Sobald alle verfügbaren Angebote zu einer Ausschreibung an die Beschaffungsabteilung zurückgespielt worden sind, wertet die eRfx-Lösung diese automatisch aus und filtert den optimalen Zulieferer heraus. Spielen neben dem Preis weitere Kriterien für die Beurteilung eine Rolle, zum Beispiel bestimmte Zertifizierungen oder die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit eines Lieferanten, fließen diese in Summe in eine Matrix ein, die eine gezielte Auswahl bis auf Positionsebene erlaubt. Da sämtliche Schritte elektronisch erfolgen, wird der Zeit- und Kostenaufwand für die operativen Ausschreibungsprozesse erheblich gesenkt, so dass sich die Einkaufsorganisationen verstärkt ihren strategischen Aufgaben widmen können. Gleichzeitig steigen Transparenz und Nachvollziehbarkeit, was mögliche Risiken der Bestechung und Bestechlichkeit minimiert.
SAP Add-on oder Stand-alone?
eRfx-Tools mit SAP-Integration können als Add-on zu SAP SRM, ERP oder S/4HANA genutzt werden, entfalten jedoch auch als eigenständige Software (Stand-alone) ihr Potenzial. In die vorhandene SAP-Einkaufslösung eingebunden, ermöglichen sie eine medienbruchfreie Kommunikation zwischen Auftraggebern und Lieferanten: von der Bedarfsdefinition auf Basis der ERP-Leistungs- und -Materialstämme über die Ausschreibung und Angebotsabgabe bis hin zur Bestellung und Leistungserfassung.
Dies ist gerade für kleinere Bieter sehr hilfreich, die in der Regel nicht über kostspielige EDI-Software (Electronic Data Interchange) verfügen, um sich nahtlos mit dem ERP-System ihrer Kunden verbinden zu können. Sie müssen ihre Angebote üblicherweise per E-Mail oder Post versenden, was enorm zeitaufwändig ist und eine manuelle Erfassung und Bearbeitung beim Kunden notwendig macht. Gleichzeitig verringert dies die Datenqualität und erhöht die Fehlerquoten. Mit eRfx-Werkzeugen hingegen bieten die Einkaufsorganisationen den Zulieferern die Möglichkeit, ihre Anfragen auf Basis vorgefertigter Fragebögen zu beantworten. Die Lieferanten genießen dabei einen Benutzerkomfort, wie sie ihn von ihren Smartphones und anderen mobilen Endgeräten gewohnt sind.
Moderne eRfx-Tools eignen sich auch für Anwender, die sich von SAP SRM lösen, aber nicht auf S/4HANA Sourcing & Procurement migrieren wollen. Diese Unternehmen können die Ausschreibungs-Software als Ausgangspunkt nutzen, um schrittweise die SAP-Einkaufsprozesse abzulösen und auf Non-SAP-Systeme für die Beschaffung und das Lieferantenmanagement umzusteigen. So lässt sich eine konsequente Digitalisierung des Einkaufs umsetzen, wie sie in SAP-Anwenderunternehmen derzeit kaum möglich ist. Dies liegt zum einen daran, dass mit S/4HANA Sourcing & Procurement künftig nur noch ein funktional abgespecktes Beschaffungsmodul zur Verfügung steht. Zudem bindet die bevorstehende Migrationswelle zu S/4HANA so viel Personal und Budget, dass die digitale Transformation insgesamt nur schleppend vorankommt.
"Der Digitalisierung fehlt in vielen Unternehmen die Serienreife", lautet das Fazit einer aktuellen Umfrage der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e.V. (DSAG), "Der Status der digitalen Transformation hinkt in den DSAG-Mitgliedsunternehmen den Erwartungen aus dem Vorjahr hinterher." Mit der Einführung innovativer eRfx-Lösungen kann der Einkauf einen ersten Meilenstein setzen, um diesem Defizit in seiner eigenen Organisation wirksam zu begegnen.