Reet Hastings, CEO von Netflix, sagte neulich: "Unsere größten Konkurrenten sind YouTube, Facebook und der Schlaf." Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Wenn ich auf Netflix meine Lieblingsserie schaue, spielt die nächste Folge automatisch wenige Sekunden nach dem Ende der vorherigen weiter. Auch YouTube hat das Prinzip des Autoplay übernommen - selbstverständlich mit Unterbrechung einer kurzen Werbepause.
Und in der Timeline von Facebook springen mich Videos an, die loslegen, obwohl ich sie eigentlich gar nicht sehen will. Was soll diese automatische Berieselung?
Kampf um Marktanteile
Im Moment tobt ein gnadenloser Kampf um Marktanteile im Netz. Ausgetragen wird er über die Verweildauer der User auf der jeweiligen Plattform. Hierbei spielt Autoplay eine zentrale Rolle. Es führt dazu, dass viele Menschen in Inhalte hineingezogen werden, die zu konsumieren sie sich gar nicht bewusst entschieden haben.
Viele von uns vertreiben sich die Zeit beim Warten auf den Zug oder Flieger gern mit Facebook. Und auch abends auf dem heimischen Sofa, geht der Griff zum Smartphone oder zum Tablet. Dabei springen wir von einem Video zum nächsten und landen schließlich bei so überlebenswichtigen Themen wie fitten Menschen, die horizontal an einer Stange schweben, den neuesten Pranks aus Brasilien oder lustigen Tiervideos. Ganz zu schweigen von den vielen gesponserten Inhalten, die uns zum Download, Kauf oder Konsumieren von Produkten oder Dienstleistungen bewegen sollen. Die Bandbreite reicht von "Schlank in 8 Tagen" bis zu "Erziele endlich deinen persönlichen Durchbruch". Die einzigen, die damit einen Durchbruch erzielen, sind die Anbieter dieser halbseidenen Angebote.
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Der gläserne Mensch
Machen wir uns die Folgen dieses online-Turbokapitalismus klar, so entstehen Bilder, die alles, was George Orwell und Aldous Huxley jemals geschrieben haben, in den Schatten stellen. In Kontrollräumen der Social Media Companies sitzen hunderte Ingenieure, die mit ihren Algorithmen steuern, was Milliarden von Menschen denken. Sie legen niemandem Rechenschaft ab, außer den Werbepartnern und der von ihnen finanzierten Werbeindustrie.
So werden Milliarden von Menschen tagtäglich sanft manipuliert. Ironischerweise heißt die Arbeitsplatzbeschreibung dieser Ingenieure dann auch noch "Design Ethics". Man gaukelt sich selbst vor, dass das Ganze auch noch mit Ethik zu tun habe. Dass die meisten Konsumenten den Machern dabei freiwillig erlauben, ein Maximum an privaten Daten abzuzapfen, ist bittere Ironie der Geschichte. Auch ohne Diktatoren exhibitionieren wir uns vollkommen freiwillig in der digitalen Welt.
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So wird unsere Art zu denken immer mehr durch soziale Medien beeinflusst. Die US-Wahl im vergangenen Jahr hat gezeigt, dass sogar demokratische Abstimmungen durch Social Bots beeinflusst werden können.
Und unsere Kommunikation und unser Umgang miteinander haben sich schon lange gewandelt. Dazu genügt ein Blick in unsere Innenstädte und U-Bahnen, die von Mutanten bevölkert zu sein scheinen, die mit ihrem Smartphone verwachsen sind. Wir sind zu Konsumierenden in den Fängen globaler Konzerne geworden, die sich zu Tode amüsieren.
- Tabus für Bewerber in Social Media-Profilen
Mit unbedachten Äußerungen oder provokativen Fotos rücken sich Bewerber schnell ins schlechte Licht, wie eine Umfrage von CareerBuilder runter 400 Arbeitgebern in Deutschland zeigt. - An schlechten Kommunikationsfähigkeiten...
... des Kandidaten stören sich 35 Prozent der befragten Arbeitgeber. - Informationen über Drogen- und Alkoholkonsum...
... sind für 33 Prozent der Arbeitgeber ein Grund, den Bewerber nicht zu berücksichtigen. - Provokative oder unangemessene Fotos....
.... in Social-Media-Profilen kommen bei 32 Prozent der befragten Unternehmen schlecht an. - Ebenso so viele stören sich an...
... diskriminierenden Kommentaren der Kandidaten in Bezug auf ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht oder Religion. - Macht ein Kandidat falsche Angaben..
... zu seiner Qualifikation, ist das für jeden vierten Arbeitgeber ein Grund abzusagen. - Wer über seinen Arbeitgeber schlecht spricht,...
... kommt auch bei potenziellen neuen Arbeitgebern nicht gut an, sagen 19 Prozent der befragten Arbeitgeber. - 18 Prozent der Personaler stört es,
... wenn der Kandidat zu häufig in sozialen Netzwerken postet. - 17 Prozent der befragten Arbeitgeber sehen es nicht gerne,
wenn der Kandidat falsche Angaben über Abwesenheiten gemacht hatte. - Auch eine Präsentation unter unprofessionellem Namen....
... in Social Media-Profilen stört 17 Prozent der Unternehmen. - 10 Prozent stört es, ...
...wenn sich der Kandidat mit kriminellen Handlungen in Verbindung bringen ließ.
Neue Aufklärung tut Not
Aus meiner Sicht tut eine neue Aufklärung Not. Dazu gehört die bittere Erkenntnis, dass wir durch soziale Medien zusehends manipulierbarer geworden sind. Dies zu erkennen und uns einzugestehen, ist der erste wichtige Schritt. Dann erst können wir ins Handeln kommen.
Denn nur wir selbst können über das Wann, das Wie und Wieviel entscheiden. Das Jammern über digitale Fremdbestimmung erinnert mich an die Entrüstung bei Aufkommen des Privatfernsehens in den späten 80er und 90er Jahren. Alle diejenigen, die sich damals über das flache Niveau von Tutti Frutti beschwerten, übersahen dabei ganz offensichtlich, dass sie die Fernbedienung fürs heimische TV selbst in der Hand hielten. Da tut's nur "Abschalten", das wusste schon Peter Lustig von der Kinderserie Löwenzahn.
Einfach mal abschalten
Also, Autoplay lässt sich abstellen, wenn man sich erst einmal durch die komplizierten Einstellungen bei Facebook und andernorts gefummelt hat. Die allermeisten Handys verfügen auch heute noch über einen Aus-Knopf. Und schließlich können wir uns selbst beherrschen. Kein Mensch zwingt uns dazu, in jeder freien Minute zum Smartphone zu greifen. Wir könnten auch einfach mal das Erlebnis erleben, anstatt alles festzuhalten, um es zu posten, damit Andere etwas erleben können.
- Second Screen
Höflich ist nur, wer den anderen in diesen Diskurs mit einbezieht. Sonst verschwindet das Gemeinschaftsgefühl. Der Knigge-Rat empfiehlt Second Screen auf einem Tablet statt dem Smartphone, damit der andere bequemer mithineinschauen kann - sofern er das möchte. Falls nicht, sollte das Smartphone einfach ausgeschaltet bleiben, oder der Abend eben nicht als eine gemeinschaftliche Aktion definiert werden. - In der Bahn
Laut Knigge-Rat darf das Smartphone hier sowie in jeder anderen "Wartezeit" genutzt werden. Allerdings sollte es lautlos geschaltet werden. Auch von langen Telefonaten in der Gegenwart anderer ist aufgrund der Lärmbelästigung abzusehen. - Im Restaurant
Daher gibt der Deutsche Knigge-Rat für das Verhalten im Restaurant klare Regeln vor. Wie im Kino oder Theater hat das Telefon hier nichts zu suchen. Sowohl das Licht als auch das Klingeln, Piepen oder Brummen würden andere Menschen in diesen Situationen stören. Ausnahmen gestattet Knigge, wenn ein Gastgeber noch auf Gäste wartet. Hier wäre es unhöflich das Telefon auszustellen, so dass der Gastgeber nicht mehr erreichbar ist. - Im direkten Gespräch
Wer sich in einem Dialog befindet, sollte nicht einfach so einen eingehenden Anruf beantworten. Höflich ist laut Knigge, wer genau erklärt, warum es so wichtig ist, das Gespräch anzunehmen oder eine Nachricht zu lesen. Außerdem sei es angebracht, um Erlaubnis zu bitten, ob man rangehen darf. - Im Meeting
Der Deutsche Knigge-Rate hat für den Umgang mit dem Smartphone eine einfache allgemeingültige Regel: Grundsätzlich sind Nicht-Anwesende zugunsten der Anwesenden zu vernachlässigen. Entsprechend hat das Smartphone im Meetings nichts verloren.
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Das Zitat von Hastings ließ mich aufhorchen. Ich bezweifle, dass die Marktführer ein echtes Interesse an Ethik haben. Ich zweifele daran, dass sie jemals in aller Offenheit Rechenschaft ablegen und Verantwortung übernehmen. Ich glaube nicht daran, dass sie Timelines entwickeln werden, die die User empowern, anstatt sie zu verführen. Folglich ist und bleibt der beste Schutz gegen ungewollte Inhalte: Unsere digitale Selbstbestimmung. Und eine der besten Optionen im Menü unserer Smartphones und Tablets findet sich unter dem Punkt "Verzicht".