FTX-Insolvenzverwalter

"Ein Versagen diesen Ausmaßes habe ich noch nicht erlebt"

18.11.2022
Von Redaktion Computerwoche
Wenn sich ausgerechnet der ehemalige Insolvenzverwalter von Enron über die Unregelmäßigkeiten bei der bankrotten Kryptobörse FTX schockiert zeigt, ist das vielsagend.
Nach der Implosion von FTX kommen neue dubiose Details über das Geschäftsgebahren von Ex-CEO Bankman-Fried & Co. ans Licht.
Nach der Implosion von FTX kommen neue dubiose Details über das Geschäftsgebahren von Ex-CEO Bankman-Fried & Co. ans Licht.
Foto: Dkoi - shutterstock.com

Nach dem Kollaps der ehemals mit 32 Milliarden Dollar bewerteten Kryptobörse FTX gewährt ein Gerichtsdokument (PDF) Einblicke in das Geschäftsgebaren von Ex-CEO Bankman-Fried und seinen Vertrauten. Mittlerweile hat der Insolvenzverwalter John J. Ray das Ruder übernommen. Er verschafft sich derzeit einen Überblick über die (finanzielle) Lage bei FTX. Was er dabei bislang gesehen hat, schockiert den Chief Restructuring Officer - und das will etwas heißen: Ray war auch Insolvenzverwalter beim Energiekonzern Enron, der nach zahlreichen Bilanzskandalen eine der spektakulärsten Pleiten in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte hingelegt hatte.

"Buchhaltung nicht existent"

Im Gerichtsdokument wird Ray mit den Worten zitiert: "In meiner beruflichen Laufbahn habe ich ein Versagen dieses Ausmaßes bislang noch nicht erlebt. Unternehmerische Kontrollen und vertrauenswürdige Finanzinformationen sind quasi nicht existent. Dazu kommen kompromittierte Systeme, mangelhafte regulatorische Kontrollen im Ausland und eine Machtkonzentration zugunsten einer kleinen Gruppe von unerfahrenen, unbedarften und potenziell nicht vertrauenswürdigen Personen. Die Situation ist beispiellos."

Das (Finanz-)Chaos bei FTX kannte dem Insolvenzverwalter zufolge keine Grenzen: "Die FTX-Gruppe hatte keine zentrale Kontrolle über ihre Barmittel. Zu den Verfehlungen in Sachen Cash Management zählen unter anderem, dass kein vollständiges Verzeichnis von Bankkonten und Bevollmächtigten vorhanden war und dass die Bankpartner die Kreditwürdigkeit des Unternehmens kaum geprüft haben. Eine Buchhaltung war nicht existent."

Und damit nicht genug der Intransparenz: "Im Personalbereich kombinierte die FTX-Gruppe beliebig die Mitarbeiter verschiedener Unternehmen und externer Auftragnehmer. Einzelheiten sind unklar, die Verantwortlichkeiten wurden nur ungenau oder gar nicht festgehalten und sind deswegen unklar. Bis jetzt war FTX nicht in der Lage, eine vollständige Liste seiner Mitarbeiter zu erstellen. Wiederholte Versuche, mutmaßliche Angestellte ausfindig zu machen, um ihren Status zu bestätigen, blieben bislang erfolglos."

Im Zuge der Analyse der FTX-Finanzen musste Ray auch feststellen, dass Firmengelder für zweifelhafte Zwecke verwendet wurden: "Soweit mir bekannt ist, wurden auf den Bahamas Unternehmensgelder der FTX-Gruppe zum Kauf von Häusern und anderen persönlichen Gegenständen für Mitarbeiter und Berater verwendet. Einige dieser Transaktionen wurden offenbar nicht dokumentiert."

Auf Dokumentation zu verzichten scheint bei FTX Methode gehabt zu haben - und vom Management vorgelebt worden zu sein: "Einer der gravierendsten Mängel des Geschäfts von FTX.com ist, dass die Prozesse der Entscheidungsfindung nicht nachvollziehbar sind. Mr. Bankman-Fried kommunizierte oft über Apps, die so eingestellt waren, dass sich die Nachrichten nach dem Empfang automatisch löschten. Er ermutigte seine Mitarbeiter dazu, es ihm gleichzutun."

Das ehemalige Krypto-"Wunderkind" Bankman-Fried hält sich derzeit auf den Bahamas auf. In einem Interview mit Vox.com äußerte er unverhohlene Kritik an den Regulatoren und deutete an, die nun folgende juristische Aufarbeitung für sich entscheiden zu wollen. Das blieb auch dem Insolvenzverwalter nicht verborgen: "Mr. Bankman-Fried gibt weiterhin unberechenbare und irreführende öffentliche Statements ab. Kürzlich erklärte er gegenüber der Presse 'F*** die Regulierungsbehörden, sie machen alles nur schlimmer.'" (fm)