Ob der IT-Selbständige mit einer Agentur, also mit einem Projektvermittler, zusammenarbeitet, ist selten seine eigene Entscheidung. Auch wenn der Freelancer Projektaufträge selbst akquiriert, ist es üblich, dass der Kunde nur über eine Agentur beauftragt wird. Eine direkte Beauftragung zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber ist in diesem Markt mittlerweile die Ausnahme. Agenturen sind der ausgelagerte Einkauf der Kunden für IT-Selbständige. Und genauso agieren sie auch. Sie arbeiten für die Auftraggeber und unterstützen vorrangig deren Ziele und Vorgaben.
Was Freiberufler von Agenturen erwarten
Wenn ich ins Träumen gerate, dann stelle ich mir eine Agentur vor, die sich um mich als Selbständigen kümmert. Einen Agenten, der mich persönlich gut kennt, mit meinen Stärken, Schwächen, Zielen und meiner Motivation. Der weiß, welche Leistungen ich erbringe und zu welchen Kunden ich am besten passe. Einen Agenten, der meine Leistung verkaufen kann. Der mit mir an meiner Positionierung und an dem dazu passenden Web-Auftritt arbeitet. Der mit mir auch an meinen Schwächen arbeitet und mir mein Entwicklungspotenzial aufzeigt.
Jemanden, der anstelle von Skills mit Nutzen argumentiert. Der mir rechtzeitig Anschlussaufträge und Projekte sucht. Der den Markt kennt, mich auf Trends und Entwicklungen aufmerksam macht, damit ich nicht den Anschluss verpasse. Eine Person, die sich um mein Wohlergehen sorgt und kümmert. Die Konditionen aushandelt und die Vertragsklauseln und gutes Geld verdient, wenn ich es auch tue. Dem es gut geht, wenn es mir auch gut geht. Ich kann mich währenddessen auf meine Arbeit und meine Kunden konzentrieren. Kann entspannt sein, denn der nächste Auftrag ist bereits in der Akquisition.
Das Leben von uns IT-Selbstständigen mag auf den ersten Blick traumhaft sein, die Honorare zum Schwärmen animieren. Bei näherem Hinschauen ist es aber eine Tretmühle, wollen wir innerhalb der Kundenprojekte eine gute Arbeit leisten. Häufiger als der typische Angestellte sind Freiberufler in neuen und auch angespannten Situationen tätig. Zwar hört sich das Honorar, das dafür gezahlt wird, nach einem Super-Einkommen aus. Aber dafür müssen auch die Leerlaufzeiten ohne Auftrag, Urlaube, Weiterbildung und vor allem die gesamte soziale Absicherung - aus versteuertem Geld - bestritten werden. Außerdem gelingt es uns nicht immer, einen Auftrag am Wohnort zu gewinnen. Dann fallen Reisekosten und damit verbundene Aufwände sowie Einbußen der Lebensqualität an. Wir müssen rechtzeitig erkennen, wann wir uns nach einem Anschlussauftrag kümmern sollten.
Nicht nur fachlich müssen wir up-to-date sein, sondern auch auf dem Gebiet Recht und Steuern. Eine 40-Stunden-Woche mag da manchmal wie Urlaub anmuten, denn meist reichen 60 oder 70 Stunden nicht aus, die ein Selbständiger beruflich tätig ist. Das hält kaum jemand mehrere Jahrzehnte aus, schon gar nicht den gesamten Zeitraum seiner Erwerbstätigkeit. Doch bietet die Selbständigkeit Vorteile. Sie ermöglicht ein Arbeiten in einem Aufgabengebiet, das man selbst ausgewählt hat. Auch die eigene Weiterentwicklung kann selbstbestimmt erfolgen. Häufige Veränderungen und Anpassungsfähigkeit sind gefragt. Sie lassen reifen und wachsen, aber auch ermüden.
Agenturen sollten sich thematisch spezialisieren
So ist der Traum nach einem Unterstützer und Agenten vielleicht sogar eine Notwendigkeit, um die Spezie der IT-Selbstständigen dauerhaft antreffen zu können. Damit die Agentur mir als Selbstständiger ein adäquater Sparringspartner sein kann, empfiehlt sich eine fachlich-thematische Ausrichtung. So könnte sich eine Agentur auf das Thema Security, die andere auf Cloud und die dritte auf Unified Communication ausrichten. Jede bündelt dann die dafür am Markt agierenden selbstständigen Experten. Das hat auch Vorteile für unsere Kunden: Bei Bedarf kontaktieren Sie die jeweilige Agentur und diese kann sowohl den Bedarf sehr viel genauer erfragen und klären, als auch den passenden Experten dafür ins Spiel bringen.
Je länger ich von dieser Agentur träume, desto mehr Gefallen finde ich an diesem Modell. Es würde endlich damit begonnen werden, den Menschen hinter dem Selbstständigen und dem Experten zu sehen. Wir alle wissen schließlich, dass die Unternehmen schon heute den Fachkräftemangel beklagen und Projekte nicht umsetzen können, weil sie das Know-how dazu nicht finden.
Ein Agenturmodell, dass uns Selbstständige, ähnlich einer Künstleragentur behandelt und vermittelt, könnte auf der einen Seite Entlastung bringen und auf der anderen Seite eine sehr viel genauere Zuordnung des passenden Experten zu der Kundenanforderung. Oft können unsere Kunden gar nicht beschreiben, was sie tatsächlich benötigen. Da macht es Sinn, wenn es Agenturen gibt, die ein Mehr an Qualität in den Auswahlprozess nach der externen Ressource bringen. Denn das heutige Agenturmodell des Zwischenhändlers arbeitet Quer-Beet über alle Fachbereiche hinweg und viele Branchen. Das heutige Modell ist auf Masse statt Klasse ausgelegt: es werden möglichst viele Selbstständige möglichst lange vermittelt.
Wir Selbstständige sind Künstler und Experten und können die deutschen Wirtschaft optimal unterstützen, wenn wir das tun, was wir am besten können: die Probleme unserer Kunden lösen. Wenn sich um den Rest der Selbstständigkeit eine Agentur kümmert, dann wird das Herz des Selbstständigen ruhiger und gelassener in die Zukunft blicken können. Denn nicht wenige Selbstständige beklagen den Stress und den Druck. Hier ist Unterstützung angebracht.
Das alles mag sich nach Wellness-Programm anhören. Für mich jedoch eine Notwendigkeit. Es stehen uns schließlich viele Änderungen bevor, die ein anderes zusammenarbeiten werden erforderlich machen. Wir werden uns bewegen müssen und sollten genau hinschauen, was der Gesetzgeber im Rahmen der Diskussion um Scheinselbstständigkeit von den Beteiligten erwartet. Noch mehr Druck auf die Selbstständigen? Das wäre kontraproduktiv und würde deren Wert für die Auftraggeber mindern. Das will schließlich keiner von uns.
- Freiberuflervermittler reden Klartext
Scheinselbständigkeit, Wachstumschancen 2016, Kandidatenmarkt - das waren nur einige der Themen, über die die rund 20 Personaldienstleister diskutierten, die die COMPUTERWOCHE im Oktober 2015 zum Freiberufler-Roundtable in die Redaktion geladen hatte. - Luuk Houtepen, Sthree
Luuk Houtepen ist Head of Business Development DACH bei Sthree. Das erste Wort, das er in Deutschland lernte, war "Passt ned!". Da sucht ein bayerischer Konzern händeringend IT-Spezialisten und bekommt einen Kandidaten aus Hamburg vorgeschlagen - die Antwort lautet "passt ned". - Andreas Krawczyk, Freelancer.Net
Andreas Krawczyk, Chief Operation Officer (COO) bei Freelancer.Net, beobachtet, dass die viel zitierte Offenheit durchaus auch auf Seiten der IT-Freien fehlt. "Freiberufler sind auch oft passiv", sagt er, "sie kümmern sich zu wenig um Akquise." - Marco Raschia, top itservices
Marco Raschia, Director des Global Competenc Center Finance bei top itservices, sagt über die konservative deutsche Unternehmenskultur: "Diese Thematik haben wir ja jetzt durch die aktuelle Flüchtlingskrise auf dem Tisch." Er begrüßt, dass viele Bildungsträger Sprachkurse anbieten. - Christian Neuerburg, DIS AG
Ein weiterer großer Schmerzpunkt ist die unklare Rechtslage, Stichwort Scheinselbständigkeit. Christian Neuerburg, Manager Operations bei der DIS AG, legt denselben Katalog an Prüfkiterien an Selbständige zugrunde wie die deutsche Rentenversicherung. Neuerburg weiß: Eben jener Katalog der Rentenversicherung ist keine Drohkulisse, sondern "gelebte Realität". - Nikolaus Reuter, Etengo
Nikolaus Reuter, Vorstandschef von Etengo, engagiert sich gemeinsam mit dem Deutschen Bundesverband Informationstechnologie für Selbständige (DBITS) und leistet Lobbyarbeit auf bundespolitischer Ebene. Er sagt: "Selbst Andrea Nahles hat mit dem Dialogprozess 'Arbeiten 4.0' verstanden, dass sie ein hundert Jahre altes Gesetzeswerk nicht einfach in neue Formen klopfen kann." - Michael Girke, Q-Perior
Wie Michael Girke, Partner bei Q-Perior, beobachtet, beschäftigt das Thema Scheinselbständigkeit ganze Compliance-Abteilungen. Manche Branchen allerdings wollen schon gar nicht mehr mit Freiberuflern zusammenarbeiten, etwa Risiko-averse Versicherungen. - Daniela Kluge, Gulp
„Wir Dienstleister haben es mit zwei herausfordernden Zielgruppen zu tun. Auf der einen Seite steht der selbstbewusste Freiberufler, der weiß, was er kann und was er wert ist. Auf der anderen Seite sind die Endkunden nicht mehr bereit, jeden Preis zu zahlen. Trotzdem ist der durchschnittlich erzielte Stundensatz der IT- und Engineering-Freiberufler in 2015 laut unserer Stundensatz-Umfrage um 50 Cent marginal auf 80,50 Euro gestiegen - ein Anzeichen für einen starken Kandidatenmarkt." - Andreas Dittes, Talentwunder
„Die Fachkräfte wissen um ihren Wert. Vor allem die jüngere Generation hat nicht nur finanzielle Ansprüche, sondern erwartet von ihrem Auftraggeber Flexibilität, etwa in Hinblick auf eine Vier-Tage-Woche oder eine Home-Office-Regelung.“ - Sven Herzberg, Goetzfried
„Diese Erwartungen der Generation Y (Teilzeiteinsatz, Home Office, etc) decken sich häufig aber nicht mit denen des Kunden. Ein IT-Freiberufler hat in der Regel vor Ort zu sein, auch anderswo werden keine Kompromisse gemacht: So gilt Deutsch nach wie vor als Projektsprache. Ohne Deutschkenntnisse wird es für Freiberufler schwierig, ein Projekt zu finden.“ - Carlos Frischmuth, Hays
„Deutsche Unternehmen wünschen sich zu einem überwiegenden Anteil den Einsatz deutschsprachiger Freiberufler in der IT - allerdings verzeichnen wir parallel dazu eine kontinuierliche Öffnung der internationalen Projektmärkte insbesondere für IT-Freelancer aus Deutschland!“ - Andreas Nader, Questax
„Unsere Kunden erwarten nach wie vor, dass der Freiberufler bei Ihnen vor Ort im Einsatz ist, zum einen weil die freiberuflichen Experten ihr Wissen an die Mitarbeiter weitergeben sollen. Zum anderen erfordern etwa agile Methoden wie Scrum, dass alle Entwickler präsent sind und sie sich mitunter täglich austauschen und untereinander abstimmen.“ - René Troche, Westhouse Consulting
„In großen Unternehmen entscheidet der Einkauf, welche Freiberufler beauftragt werden. Und sie arbeiten in der Regel nur noch mit vier bis fünf Personaldienstleistern zusammen. Mehr Offenheit und Breite findet man in kleinen und mittelständischen Betrieben.“ - Stefan Frohnhoff, emagine
„Das Thema Scheinselbständigkeit sorgt sowohl bei Unternehmen als auch bei Freelancern schon seit geraumer Zeit für Unsicherheit.“ - Shahin Rejaei Pour, iPAXX
„Ein IT-Experte ist ein Mensch, man kann ihn nicht wie eine Ware bestellen und aus dem Regal holen.“ - Maxim Zvezdan Probojcevic, SOLCOM
„Der Markt wächst auch deshalb, weil die Auftraggeber mit der Qualität, die deutsche Freelancer abliefern, sehr zufrieden sind.“ - Frank Shams, 1st Solution
"Ich habe den Eindruck, dass ein Freiberufler oft auf einen Skill reduziert wird. Dabei besteht das eigentliche „ Können" darin, ihn mit all seinen „Fähigkeiten" zu bewerten.“