Als Gerard O'Neill vor 20 Jahren nach München zog, war er zunächst "not amused" über die hohen Steuern und Sozialabgaben, die von seinem Gehalt abgingen. Schon bald wurde ihm jedoch klar, dass man hierzulande weniger Geld braucht, um ein gutes Leben zu führen. "Die Lebensqualität ist viel höher als in meiner Heimat", vergleicht der Ire, der als Head of Marketing Manufacturing die Vermarktung von BTs Portfolio für die Fertigungsindustrie verantwortet. "Auch wenn es den Deutschen nicht so erscheinen mag: Alles funktioniert - egal ob Straßenreinigung, öffentlicher Nahverkehr oder das Gesundheitssystem."
Mehr soziale Gerechtigkeit, weniger Statusdenken
Auch die bayerische Gemütlichkeit trifft seinen Geschmack: "Im Biergarten kommen Menschen aus allen Schichten zusammen, trinken Bier und bringen sich Essen von zuhause mit. So demokratisch geht es in Irland nicht zu." Und obwohl die Münchner nicht gerade für ihren Hang zum Understatement bekannt sind, lobt O'Neill die Bescheidenheit der Deutschen: "Besitz und Status werden hier nicht so offensiv zur Schau gestellt wie in meiner Heimat."
Für Iren, die ohnehin als besonders flexibles, anpassungsfähiges Volk gelten, ist es daher wesentlich einfacher, sich in Deutschland zu integrieren als umgekehrt, meint O'Neill: "Als Urlaubsziel ist die grüne Insel wunderschön. Aber dort zu leben und zu arbeiten ist nicht so einfach. Vor allem wenn man so eine hohe Lebensqualität gewohnt ist, wie München sie bietet." Allerdings ist dem Iren auch bewusst, dass es nicht überall so beschaulich zugeht wie in seinem Münchner Wohnviertel. "Zur Frankfurter Bahnhofsgegend passt mein positives Deutschland-Bild natürlich nicht so ganz."
Manko Servicementalität
Und perfekt ist Deutschland in seinen Augen auch nicht. Speziell die hiesige Servicementalität kann der Marketing-Experte nicht nachvollziehen. Sie habe sich zwar in den letzten Jahren schon gebessert. " Aber dass der Kunde König ist - davon ist man hierzulande noch meilenweit entfernt." Vor allem unfreundliche Verkäufer und rigide Ladenschlusszeiten ärgern ihn: "Dass die Geschäfte sonntags zu bleiben müssen, ist verglichen mit anderen Ländern rückständig."
Und noch etwas passt für O'Neill nicht zu seinem Bild vom gut organisierten Deutschland: "Warum sind die Bezeichnungen der Münchner U-Bahnstationen nicht deutlich sichtbar oben am Eingang angebracht?", fragt sich der Ire. "Das ist doch unpraktisch. In Großstädten wie London oder Paris sieht man von der Straße aus, an welcher Station man sich gerade befindet - und kann sich auf diese Weise orientieren."
Du oder Sie? Ein kultureller Stolperstein
Doch ansonsten fühlt sich O'Neill in seiner Wahlheimat München ausgesprochen wohl. An gewisse Gepflogenheiten - etwa das förmliche Sie oder die deutsche Pünktlichkeit - habe er sich natürlich erst gewöhnen müssen. In einem internationalen Unternehmen wie BT gebe es aber ohnehin keine großen Unterschiede im Umgang miteinander. "Bei uns herrscht eine relativ lockere Atmosphäre, das ist Teil der Firmenkultur." Anfangs musste er allerdings aufpassen, nicht auch die Kunden mit "Du" anzusprechen. "Das ist für uns Angelsachsen schon ein kultureller Stolperstein."
Home Office zu wenig etabliert
Was O'Neill wundert, ist die geringe Verbreitung von Home-Office-Arbeitsplätzen hierzulande. In Großbritannien sei es mittlerweile in den meisten Firmen üblich, dass die Angestellten auch von zuhause arbeiten. "Auch bei BT Germany bieten wir unseren Mitarbeitern diese flexible und familienfreundliche Möglichkeit. Dank der modernen Kommunikationslösungen ist das ja heute auch kein Problem. Trotzdem ist Home Office in deutschen Unternehmen immer noch eine Ausnahme."
- Wie wird Arbeiten im Home Office effizient?
Unify gibt einige praktische Tipps, mit denen Mitarbeiter auch ihr Home Office möglichst produktiv gestalten können. - Grenzen setzen - auch zu Hause
Im eigenen Heim lauern zahlreiche Ablenkungen: Nicht abgespültes Geschirr, der Kühlschrank, Radio oder Fernseher üben ungeahnte Anziehungskräfte aus und stören die produktive Arbeit. - Ein festgelegter Arbeitsbereich, ...
... der vom übrigen Wohnraum abgetrennt ist, verhilft auch zu klaren Grenzen im Kopf. Die Gefahr der Ablenkung wird geringer. - Einen Fensterplatz buchen
Stress bremst die Produktivität. Ein Blick aus dem Fenster bietet Abwechslung, noch mehr wenn er direkt ins Grüne geht. Außerdem ist es für Bildschirmarbeiter sinnvoll, regelmäßig in die Ferne zu sehen, zumindest einige Meter hinter den Monitor. - Ein Fensterplatz ...
... verringert die Belastung der Augen und damit auch den Arbeitsstress. Tipp für alle, die keinen Platz am Fenster haben: Auch Zimmerpflanzen oder ein Zimmerbrunnen sorgen für entspannte Atmosphäre. - Mit Farben spielen
Farbe ist ein wichtiger Faktor für jeden Büroraum, egal ob in der Firma oder zu Hause. Farben beeinflussen die Stimmung wesentlich. - Neutrale Farben wirken beruhigend, ...
... während manche Orange- und Gelbtöne sogar das Hungergefühl fördern. Besonders zu empfehlen für eine produktive Arbeitsumgebung sind Zitronentöne, Pastellblau oder Cremefarben. - Auf einen ergonomischen Arbeitsplatz achten
Mitarbeiter können nur produktiv sein, wenn sie gesund sind und einen komfortablen Arbeitsplatz haben. - Das Büro zuhause ...
... soll auch nach ergonomischen Vorgaben eingerichtet werden, um gesund und leistungsfähig zu bleiben. Hier sind ebenfalls die Arbeitgeber gefragt: Sie sollten unbedingt dafür sorgen, dass alle ihre Mitarbeiter die nötigen Informationen zur Ergonomie am Arbeitsplatz bekommen. - Für Flexibilität sorgen
Auch wenn das Home Office seinen festen Platz in der Wohnung haben sollte: Stuhl und Schreibtisch festzuschrauben, hilft auch nicht weiter. - Dagegen fördert es die Kreativität ...
... gelegentlich die Position und damit den Blickwinkel auf die aktuelle Arbeit zu wechseln. Es ist ebenfalls hilfreich, Dinge neu sortieren zu können oder die Arbeit anders anzuordnen - dafür sollte auch im Home Office Platz sein.
Das Klischee vom kühlen, reservierten Deutschen kann der Wahlmünchner nur bedingt bestätigen: "Es ist schon etwas dran, dass die Iren mehr Wert auf die Beziehungseben legen und emotionaler mit einander umgehen. Aber in meinem Umfeld hier sind die Menschen alle herzlich und gastfreundlich." Selbst den legendären Humor seiner Landsleute sowie ihre Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, vermisst O'Neill nicht. "Die Deutschen haben auch Humor, der ist nur etwas anders. Auf jeden Fall kann man mit ihnen Spaß haben."
Kulturelle Vielfalt
Sehr angetan ist O'Neill von der Gastronomie in München: "Als ich vor 20 Jahren in die bayerische Landeshauptstadt kam, gab es nur wenige asiatische Restaurants, viel mehr als die Chinapfanne war nicht geboten. Heute ist die Bandbreite riesig - von Thais und Vietnamesen über Koreaner und Inder bis hin zu Sushi", schwärmt der Manager. "Die Deutschen reisen ja viel und wissen, wie die Gerichte im jeweiligen Land schmecken. Daher rührt wahrscheinlich ihr hoher Anspruch. Die indischen Lokale in München sind teilweise sogar besser als in England."
Professionell, bodenständig und bescheiden - die Eigenschaften, die O'Neill seinen deutschen Mitbürgern bescheinigt, schlagen sich seiner Meinung nach auch in Wirtschaft und Politik wieder: "Ich glaube, dass die großen Unternehmen hierzulande stabiler sind, weil sie nicht so quartalsgetrieben agieren wie in England und Irland." Die zurückhaltende Mentalität der Deutschen habe aber auch Nachteile: "Bestimmt würden sich viele europäische Länder wünschen, dass die Bundesrepublik eine führende Rolle in der EU übernimmt. Doch die Deutschen sind daran offensichtlich gar nicht interessiert", wundert sich der Manager, der seine Herkunft nicht verleugnen kann, wenn es um eines geht: Ohne die tägliche Tasse Tee kommt O'Neill nicht aus. Da ist er ganz der Tradition des Königsreichs verpflichtet. (kf)