OpenText

ECM als zentrales IT-System

16.02.2016
Von 
Harald Weiss ist Fachjournalist in New York und Mitglied bei New York Reporters.
Mit einem Umsatz von rund zwei Milliarden Dollar ist OpenText Kanadas größtes Softwarehaus. Das Unternehmen ist ein Spezial-Anbieter von Software zum Dokumenten-Management. Das erscheint nicht sonderlich spektakulär - doch diese Plattformen schicken sich an, den bisherigen Mega-Business-Anwendungen wie ERP und CRM ernsthafte Konkurrenz zu machen.
  • Seit vier Jahren arbeitet man bei OpenText intensiv am Auf- und Ausbau der Cloud-Angebote und der zugehörigen Infrastruktur.
  • Heute verfügt das Unternehmen über 37 Rechenzentren weltweit, davon sechs in Europa und zwei in Deutschland.
  • Die gute Position als anerkannter ECM-Plattform-Lieferant will CEO Mark Barrenechea als Basis für neue Geschäftsfelder im Anwendungs- und Analyticsbereich nutzen.

Enterprise Content Management (ECM) war einst eine Art bessere Papierablage. Doch mit dem Aufziehen von Bilder-, Ton- und Video-Dokumenten bekam das Managen, Suchen und Finden von zusammengehörenden Dokumenten eine neue Dimension. Inzwischen gehören auch die unstrukturierten Daten aus den Social-Media-Seiten zu ECM, und damit bekommen die zugehörigen Programme einen zentralen Stellenwert. Das trifft umso mehr zu, wenn alles in der Cloud gemanagt werden kann.

Cloud und Analytics - die größten IT-Veränderer

Ein solcher Spezialanbieter ist OpenText. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz im kanadischen Waterloo, in der Nähe von Toronto. Chef ist Mark Barrenechea, der 2012 als CEO zu OpenText kam. Zuvor war er CEO beim Grafik-Spezialisten Silicon Graphics und CTO bei CA Technologies - beides Unternehmen, die eine bewegte Vergangenheit hinter sich haben. Und diese Erfahrung scheint ihm jetzt besonders gut zu helfen. "In den 30 Jahren, in denen ich in der IT-Welt tätig bin, sind Cloud und Analytics die größten Veränderungen, die ich jemals erlebt habe", sagt er über die beiden Top-IT-Trends.

OpenText-CEO Mark Barrenechea sieht die Branche durch Cloud und Analytics vor entscheidenden Umwälzungen.
OpenText-CEO Mark Barrenechea sieht die Branche durch Cloud und Analytics vor entscheidenden Umwälzungen.
Foto: Harald Weiss

Sein Marketing-Chef Lubor Ptacek erläutert die Cloud-Probleme. "Für uns als traditioneller Anbieter von Software-Lizenzen ist der Wechsel auf eine Multi-Tenant-Cloud mit gewaltigen Änderungen verbunden. Doch die Umwälzungen betreffen nicht nur uns als Anbieter - auch bei den Kunden bedeutet der Wechsel auf die Cloud völlig neue Nutzungsmodelle und eine ebenso neuartige Budgetierung", sagte er in einem Gespräch mit der Computerwoche.

Von Null auf 700 Millionen in vier Jahren

Seit vier Jahren arbeitet man bei OpenText intensiv am Auf- und Ausbau der Cloud-Angebote und der zugehörigen Infrastruktur. Heute verfügt das Unternehmen über 37 Rechenzentren weltweit, davon sechs in Europa und zwei in Deutschland. "Unsere umfangreiche globale Infrastruktur gibt unseren Kunden viel Freiheitsgrade bei der Wahl des für sie optimalen Rechenzentrums - also dem Ort, wo die Firmendaten gespeichert sind und unter welchem rechtlichen Rahmen sie dort gelagert werden", sagt Gary Weiss, bei OpenText zuständig für das Cloud-Geschäft, dessen Erlöse er in den letzten vier Jahren von Null auf 700 Millionen Dollar hochschrauben konnte. Das ist heute mehr als ein Drittel des Gesamtumsatzes und bis 2020 soll der Cloud-Anteil sogar auf über die Hälfte der Gesamterlöse ansteigen.

Viele Finanz-Analysten stufen diesen Kurs als überlebenswichtig ein. "2016 wird für OpenText das Jahr der Entscheidung; rasantes Cloud-Wachstum und strategische Akquisitionen könnten OpenText zu einem Mega-Player im weltweiten Software-Markt machen, doch wenn sie das nicht schaffen, werden sie in der Bedeutungslosigkeit versinken", warnt Richard Tse, Analyst bei Cormark Securities.

ERP und CRM war gestern

Abgesehen von den Problemen mit der Bereitstellungs-Form ist für Barrenechea die IT-Welt ganz klar geordnet. Da gibt es die alten ERP-Systeme, die etwas moderneren CRM-Anwendungen - und dann gibt es die hochmodernen ECM-Lösungen, die sich anschicken, das zentrale Herzstück der Digitalisierung zu werden. Was die über Jahrzehnte gewachsenen großen IT-Systeme angeht, so sieht er nicht deren Ende (zumindest nicht unmittelbar). "ERP ist gut für die Finanzleute und die allgemeine Verwaltung, doch ECM ist weitaus mehr, denn wir können auch alle unstrukturierten Daten managen", lautet sein Hinweis. Damit erübrigt sich auch ein vordergründiger Konkurrenzkampf. "Wir werden zwar noch viele Akquisitionen vornehmen, doch ein ERP-Anbieter wird bestimmt nicht dabei sein", sagte er in der Pressekonferenz anlässlich der Hausmesse "Enterprise World".

Das ist auch kaum notwendig, denn die ECM-Plattform von OpenText kann an viele ERP-Suiten angebunden werden und eine solche Verbindung schafft viele Vorteile. "ECM plus ERP ist besonders vorteilhaft, weil es eine ganze Reihe an Datenüberlappungen gibt, wie Mitarbeiter, Lieferanten, Kunden, Zulieferer und Infrastruktur-Objekte. Deshalb haben wir viel in eine nahtlose Integration mit SAP und anderen ERP-Suiten investiert", sagt Barrenechea über die scheinbare friedliche Kooperation.

Herzstück ECM

Auch einem anderen großen IT-Anwendungsbereich spricht er seine zentrale Funktion ab. "ECM ist das Herzstück von Prozess-Management und Kunden-Kommunikation - also bietet sich eine Integration mit CRM förmlich an", sagt er über die jüngst bekannt gegebene Kooperation mit Salesforce. In beiden Fällen sieht er jedoch ECM als die zentrale IT-Komponente - und alle anderen Systeme übernehmen nur noch die von ECM zugewiesenen Teilaufgaben.

Damit noch nicht genug. Auch für die Entwicklung von individueller Software sieht er sich mit seiner Plattform in einer führenden Position. "Unser ECM ist eine hervorragende Plattform für die Software-Entwickler, weil wir ein immenses Portfolio an Entwicklungs-Tools und -Funktionen bereitstellen", schwärmt er über sein Flaggschiff-Produkt.

Lob von Gartner

Gartner bestätigt die OpenText-Qualität. Ende Oktober setzte es deren Produkte im Magischen Quadrant für ECM auf den besten Platz. Die Gartner-Analysten teilen in ihrem Bericht auch die Anwendungs-Einschätzung von Mark. "ECM kann als strategisches Framework die gesamte IT-Struktur entscheidend verbessern. Das gilt insbesondere für alle transaktionsorientierten Prozesse, für Compliance und für strukturierte Daten; aber auch für die neuen Sharing- und Social-Media-Anwendungen", heißt es in deren Bericht.

Die gute Position als anerkannter ECM-Plattform-Lieferant will Barrenechea als Basis für neue Geschäftsfelder nutzen. "Wir sind zwar derzeit noch überwiegend ein Plattform-Provider, doch wir wollen ein bedeutender Anwendungs-Provider werden", sagt er über die neue strategische Ausrichtung. Ansatzpunkte dafür sind Analytics und die angrenzenden Gebiete, wie Vertrags-Management, Rechtsfälle und alle Arten von interaktiven Dokumenten. Hierbei sind Analytics ein besonderer Schwerpunkt. Das geht zurück auf die Akquisition von Actuate im vergangenen Januar.

"Big Analytics nicht unsere Spielwiese"

Allen Bonde, Vice President für Marketing bei Actuate, erläuterte in einem Gespräch mit der COMPUTERWOCHE das Produkt- und Anwendungs-Spektrum dieses Bereiches. "Alle reden von Big Data und den Big Analytics, das ist nicht unsere Spielwiese. Wir sind in dem Bereich aktiv, wo es um schnelle und weniger komplexe Entscheidungen geht - Small and Medium Sized Data - wenn man so will", lautet seine Positions-Beschreibung.

Insbesondere sind die OpenText-Analytics Easy-to-Use und ausdrücklich nicht für Daten-Wissenschaftler gedacht. "Wir sprechen direkt die Fachbereichs-Verantwortlichen an, denen wir unmittelbare Auswertungshilfen bieten, mit denen sie sofort loslegen können", so Bonde weiter. So sind bei deren Business Analytics Suite die Algorithmen praktisch "festverdrahtet" und werden über APIs aufgerufen - eine freie Programmierung, beispielsweise in R oder in einer anderen Analytics-Sprache ist nicht möglich.

Das bedeutet, dass diese Lösungsform in vielen Punkten ähnlich zu dem ist, was man früher "Business Intelligence" nannte. "Heute sind alle Statistiken ‚Analytics‘ - manche davon sind schwächer als das, was Excel bietet", sagt er über die neue Hype.

Doch während Bonde einerseits akzeptiert, dass es bei seinen Produkten eine Überlappung von BI und BA gibt, weist er deutlich darauf hin, dass die zugehörigen echten Analytics-Tools sehr umfassend und leistungsstark sind. "Unsere Analytics sind hervorragende Werkzeuge bei der Bewältigung von allen alltäglichen Entscheidungen im Marketing, im Finanzwesen oder im Service", lautet sein Hinweis. Technisch sieht deren Lösung so aus, dass man in der neuen Analytics Suite das Reporting und die Visualisierung von iHub mit den bestehenden Predictive Analytics integriert hat. (sh)