SAP-basierter Einkauf in der Autoindustrie

E-Mobilität erfordert Umdenken

30.08.2021
Von   IDG ExpertenNetzwerk
Thomas Herbst ist Geschäftsführer der apsolut GmbH, die er 2005 mit Tim Kollmeier gründete. Der Autor ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und studierte an der Fachhochschule Esslingen. Er arbeitete als Consultant bei Hewlett-Packard und verantwortete später den gesamten SAP SRM-Consulting-Bereich der Heiler Software AG.
Die boomende Elektromobilität und der Umstieg auf S/4HANA stellen die SAP-basierte Beschaffung in der Autoindustrie vor große Herausforderungen. Der Einsatz von S/4HANA Central Procurement (CP) kann helfen, diese zu meistern.
Der Autoindustrie steht ein Strukturwandel bevor. Auch die SAP-basierten Einkaufsorganisationen sind gefordert.
Der Autoindustrie steht ein Strukturwandel bevor. Auch die SAP-basierten Einkaufsorganisationen sind gefordert.
Foto: Craveleo - shutterstock.com

Der Ausbau der Elektromobilität läutet eine Trendwende im Produktportfolio der Automobilindustrie ein. So wird ein Großteil der Technik von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor nicht mehr gebraucht und muss durch eine andere ersetzt werden. Da viele Autohersteller, Autozulieferer und OEMs die erforderliche Transformation nicht aus eigener Kraft bewältigen können, steht eine Welle von Mergers & Acquisitions (M&A) ins Haus. Viele Automobilunternehmen werden versuchen, sich durch Zusammenschlüsse oder Zukäufe geeigneter Produktionsbetriebe auf die zunehmende Elektrifizierung einzustellen.

Einkauf durch Organisationswandel gefordert

Auch der Einkauf ist bei dieser Entwicklung gefordert, nimmt er doch eine Schlüsselrolle für den Unternehmenserfolg ein. So muss er in der Lage sein, die ERP-Systeme der neuen Geschäftseinheiten schnell und reibungslos in die eigenen Systeme und Prozesse einzubinden. Dies verstärkt den hohen IT-Integrationsaufwand, den die Beschaffungsorganisationen in den Automotive-Unternehmen ohnehin zu leisten haben. Denn die meisten von ihnen bieten eine große Bandbreite an Produkten an, die von Fahrzeuglampen und Scheibenwischern über Zündkerzen und Kraftstoffpumpen bis hin zu Lenksystemen und Filtern reichen können.

Um die Herstellungsprozesse zu optimieren, werden die einzelnen Produkte meist in separaten Divisionen mit eigenen ERP-Anwendungen abgebildet. SAP-basierte Beschaffungsorganisationen in Automobilunternehmen müssen also bereits heute Bestellanforderungen aus äußerst heterogenen SAP- und Non-SAP-Systemlandschaften verarbeiten. Der notwendige organisatorische Wandel wird diese Komplexität noch steigern.

Mit SAP S/4HANA Central Procurement können Beschaffungsfunktionen aus heterogenen SAP- und Non-SAP-ERP-Systemlandschaften zentralisiert werden.
Mit SAP S/4HANA Central Procurement können Beschaffungsfunktionen aus heterogenen SAP- und Non-SAP-ERP-Systemlandschaften zentralisiert werden.
Foto: apsolut GmbH

Parallel dazu muss sich der SAP-basierte Einkauf auf einen Technologiewechsel vorbereiten. Obwohl das SAP ERP-Wartungsende bis 2027/2030 verlängert wurde, erwägen viele SAP-Kunden schon früher einen Umstieg auf die neue Anwendungssuite S/4HANA. Dies gilt auch für Beschaffungsorganisationen, die die herkömmlichen SAP-Einkaufslösungen - SAP Supplier Relationship Management (SAP SRM) oder SAP Materialwirtschaft (SAP MM) - einsetzen. Sie planen den Umstieg auf eine SAP HANA-basierte Beschaffungslösung, um die Digitalisierung ihrer Prozesse vorantreiben und von Neuerungen in Bereichen wie KI, Machine Learning, Big Data oder Robotic Process Automation (RPA) profitieren zu können.

Integrationsschicht fördert Zentralisierung

In Automotive-Unternehmen empfiehlt sich der Einsatz von SAP S/4HANA Central Procurement (CP), und zwar aus mehreren Gründen. Zum einen wirkt CP als Integrationsschicht, die eine Zentralisierung der Einkaufsprozesse über die heterogenen SAP- und Drittanbietersysteme hinweg unterstützt. Dabei werden die einkaufsrelevanten Dokumente und Stammdaten direkt in den zugehörigen ERP-Systemen angelegt und gespeichert. Wollen Einkäufer die einzelnen Bestellanforderungen oder Bestellungen in CP anschauen und bearbeiten, werden die entsprechenden Datensätze zur Laufzeit aus den Quellsystemen gelesen und Änderungen wieder zurückgeschrieben. Das heißt konkret: Die Bedarfe werden von den ERP-Systemen ins CP geladen und gehen als Bestellungen dorthin zurück.

Eine redundante Datenhaltung ist damit nicht erforderlich. Da alle Prüfungen und Validierungen in den ERP-Systemen erfolgen, wird der Aufwand für Daten-Harmonisierungen minimiert. Das bedeutet gegenüber herkömmlichen SAP SRM-Systemen einen deutlichen Vorteil. Denn hier war die Konsolidierung von Stammdaten aus mehreren ERP-Systemen nicht selten mit misslichen Datenschiefständen verbunden.

Zum anderen ist CP innerhalb kurzer Zeit einsatzbereit, da die Lösung losgelöst von den anderen Geschäftsprozessen und -funktionen läuft. Während die üblichen S/4HANA-Transformationsprojekte oft mehrere Jahre in Anspruch nehmen, kann die Beschaffungsorganisation mit CP sehr schnell auf die neue SAP-Technologieplattform umgestellt werden. In CP werden die Einkaufsprozesse zusammengeführt und können von einem zentralen Punkt aus gesteuert werden. So lassen sich in internationalen Automotive-Konzernen globale Lead-Buyer-Konzepte für die lokale Beschaffung von Materialien und Rohstoffen umsetzen. Ebenso ist ein gezieltes Workload Balancing von Einkaufsvorgängen auf mehrere Systeme möglich.

Auch das zentrale Vertragsmanagement von CP kann für die Automobilbranche von großem Nutzen sein. Da die Betriebe beim Direktmaterial einen hohen Prozentsatz an Zukaufteilen und Lohnbearbeitungen haben, unterhalten sie viele Verträge mit Lieferanten und Dienstleistern. Mit CP ist es möglich, die Verträge zentral zu verwalten, aber gezielt zu verteilen. So kann ein und derselbe Vertrag mehreren Werken oder Geschäftseinheiten bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt werden. Vorausgeplante Quotierungen legen den Anteil am Vertragsvolumen fest, zum Beispiel erhält Werk A insgesamt 80 Prozent, Werk B davon 20 Prozent. Auf diese Weise können Automotive-Unternehmen auch die zu erwartenden Zukäufe in ihr zentrales Vertragsmanagement mit S/4HANA CP integrieren.

Lesetipp: SAP-S/4HANA-Transformation - Enterprise-Architekten wollen mitreden

Roadmap für erfolgreiche CP-Implementierung

Eine CP-Implementierung kann nur mit der richtigen Strategie gelingen. Hier ein paar Tipps für einen erfolgreichen Projektverlauf:

  • Integrieren Sie Ihr CP-Projekt in eine laufende S/4HANA-Transformation: Obwohl CP auch im Nachgang zu einem bereits erfolgten S/4HANA-Umstieg eingeführt werden kann, empfiehlt sich die Einbindung in ein laufendes Transformationsprojekt. Während sich der Rollout der SAP ERP-Anwendungen schrittweise gestaltet und meist über mehrere Jahre hinzieht, integriert CP die alte mit der neuen Systemwelt innerhalb kurzer Zeit.

  • Binden Sie die richtigen Stakeholder in Ihr CP-Einführungsprojekt ein: Wie alle Fertigungsbetriebe haben Automotive-Unternehmen einen hohen Bedarf an Direktmaterialien für die Produktherstellung. Daher müssen die Einkaufsabteilungen bei CP-Projekten nicht nur eng mit der internen IT- und SAP-Basis zusammenarbeiten, sondern auch mit Produktionsplanung, Produktionssteuerung, Logistik und Plant Maintenance. Zwecks Kontierungsinformationen sind zudem Finance/Controlling ins Boot zu holen, während die HR relevante Organisationsdaten liefern muss, Stichwort: Delegation of Authorities (DoA).

  • Agile oder Wasserfall-Methode? Entscheiden Sie nach dem Individualisierungsgrad: Wenn Sie bei der CP-Implementierung nahe am SAP-Standard bleiben, bietet sich die klassische Wasserfall-Methode an. Da keine größeren unvorhersehbaren Ereignisse zu erwarten sind, kann der Ablauf von Design- und Entwicklungsphase bereits zu Projektbeginn festgelegt werden. Anders bei Automotive-Kunden mit individualisierten Einkaufsprozessen. Hier hilft die agile Herangehensweise, den Projektfortgang in kurzen Zeitabständen an die speziellen Kundenanforderungen anzupassen. (bw)

Lesetipp: Stakeholder-Analyse - So identifizieren Sie Projektbeteiligte