Heutzutage zählt Microsoft zum erlauchten Kreis der wertvollsten Unternehmen der Welt. Vor rund 20 Jahren sah die Sache noch ein bisschen anders aus - 2001 entkam Microsoft nur knapp der Zerschlagung. Im Jahr 2000 hatte US-Bezirksrichter Thomas Penfield Jackson im Prozess des US-Justizministeriums gegen Microsoft entschieden, dass der Konzern ein Monopol geschaffen hat und in zwei Unternehmen aufgespalten werden soll. Wäre der letztgenannte Teil der Entscheidung nicht im Jahr 2001 aufgehoben worden, würden wir heute in einer anderen (Tech-)Welt leben.
Die Hauptursache für die damalige Entscheidung des Richters lag in der Tatsache, dass Microsoft sein Windows-Monopol genutzt hatte, um den Webbrowser-Konkurrenten Netscape aus dem Markt zu drängen. Das Urteil, gemeinhin als Ohrfeige für den Redmonder Konzern angesehen, sollte Microsoft verpflichten, künftig auch anderen Browsern die Chance zu geben, sich auf der Windows-Plattform behaupten zu können. Nach 20 Jahren scheint sich inzwischen niemand mehr an den Prozess und das Urteil zu erinnern.
Internet Explorer lässt grüßen …
Anders ist es nicht zu erklären, dass nun ein neuer Windows 11 Insider Preview-Build die Benutzer daran hindert, andere Webbrowser als Standard festzulegen: Alle Links werden in dieser Version immer mit Microsoft Edge geöffnet, auch wenn Sie lieber Chrome oder Firefox verwenden wollen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Microsoft versucht, seinen Kunden den Edge-Browser aufzudrängen - ganz ähnlich wie der Windows-Konzern es bereits in den 1990er Jahren mit dem Internet Explorer "getrieben" hat. Mit der Windows 10 Insider Preview Build 17623 im Jahr 2018 begann Microsoft "eine Änderung zu testen, bei der Links, auf die in der Windows Mail-App geklickt wird, in Microsoft Edge geöffnet werden."
Dabei handelt es sich allerdings nicht um einen Einzelfall: Öffnen Sie zum Beispiel in Windows 10 einen MSN-Artikel, wird die Seite standardmäßig in Edge angezeigt. Die Nutzer beschweren sich immer wieder darüber, dass sie gezwungen werden, Edge zu verwenden. Letztes Jahr, nicht lange nachdem Microsoft seine Chrome-basierte Version von Edge eingeführt hatte, forcierte es diese Version auf alle Systeme, die auf Version 2004 aktualisiert wurden. Selbstredend kam das nicht besonders gut bei den Kunden an.
"Eindeutig ein benutzerfeindlicher Schritt"
In der Vergangenheit konnten Sie Edge immerhin als Standard-Browser ersetzen. Was nicht möglich ist: Microsoft Edge komplett zu deinstallieren. Laut Daniel Aleksandersen, der die kostenlose App "EdgeDeflector" entwickelt hat (die die in Windows üblichen, eingebetteten microsoft-edge://-Links abfängt und sie auf reguläre https://-Links umleitet) können auch die rund 500.000 Nutzer seiner Software Edge nun nicht mehr umgehen. Diese Funktionen wird Microsoft auch für die kommenden Versionen von Brave und Firefox blockieren.
Aleksandersen hat die Details des Microsoft-Gebahrens analysiert und schreibt dazu in einem Blogbeitrag: "Windows 10 und 11 kümmern sich nicht mehr um die Webbrowser-Standardeinstellung. Bei Windows 11 hat Microsoft diese sogar entfernt. Stattdessen sind die Kunden gezwungen, individuelle 'Link-Zuordnungen' für http- und https-Protokolle sowie Dateizuordnungen für den Dateityp .html festzulegen. Das ist ein gewaltiger Sprung in Sachen Komplexität und eindeutig ein benutzerfeindlicher Schritt.
Damit beeinträchtigt Microsoft die Benutzerfreundlichkeit seines eigenen Produkts, um die Verwendung von Konkurrenzprodukten zu erschweren." Was den Benutzern bleibt, formuliert der Experte ganz unverblümt: "Am besten beschweren Sie sich bei Ihrer örtlichen Kartellbehörde oder Sie wechseln zu Linux. Ihr Webbrowser ist wahrscheinlich die wichtigste - wenn nicht sogar die einzige - Anwendung, die Sie regelmäßig benutzen. Microsoft hat deutlich gemacht, dass seine Prioritäten für Windows nicht mit denen seiner Nutzer im Einklang stehen."
Zugegeben, es handelt sich um ein Preview-Build - es ist also möglich, dass das Feature so nicht in das Produkt Einzug hält. Aber es ist durchaus damit zu rechnen, dass es so kommt. Wenn es das tut, würde Microsoft einen riesigen Fehler begehen, der sich in der Vergangenheit schon einmal als herber Rückschlag erwiesen hat. (fm)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.