Connectivity statt Hubraum

Disruption durch IT – die Automobilindustrie muss sich neu erfinden

16.12.2015
Connectivity statt Hubraum: Unter diesem Motto stand ein Experten-Dialog, den die COMPUTERWOCHE gemeinsam mit dem Beratungs- und IT-Dienstleistungsunternehmen Capgemini initiierte. Dabei prallten die Meinungen von Automobil- und IT-Experten aufeinander.

"Hubraum war gestern. Die Zukunft des Automobils ist digital und vernetzt. Das Internet of Things, die Cloud und Big Data sind die Aggregate des Connected Car". Um diese These drehte sich eine Expertendiskussion im Innovation Lab von Capgemini in München. Andreas Hein, Vice President für den Global Automotive Sector bei Capgemini, traf dabei auf den unabhängigen Berater Axel Deicke, der 33 Jahre lang bei BMW Management-Positionen in den Bereichen Forschung & Entwicklung, Industrialisation, Projekt Management und After Sales Management bekleidete. "Die neue IT-Industrie greift die alte Automobilindustrie an", lautete Heins Grundposition. Deicke gab sich gelassen und erklärte: "Die Automobilindustrie hat schon viele Angriffe überlebt und wird auch diese Herausforderung meistern."

"Mit 500 PS in der 30er Zone"

Für den Capgemini-Experten heißt das entscheidende Thema Disruption: "Die Automotive-Branche ist im Umbruch und steht vor völlig neuen Herausforderungen." Sie dürfe darauf nicht nur mit neuen Techniken und immer mehr Motorleistung reagieren, sondern müsse vor allem auch neue Business-Ansätze entwickeln. Die von den Herstellern gerne beworbenen Premium-Autos sind aus seiner Sicht nicht mehr zeitgemäß sondern schlicht "Over Performer", die sich mit 500 PS in der 30er Zone bewegten. Hein: "PS und Drehmoment sind etwas für alternde Machos".

Die Automobilbranche steht vor völlig neuen Herausforderungen, sagt Capgemini-Manager Andreas Hein.
Die Automobilbranche steht vor völlig neuen Herausforderungen, sagt Capgemini-Manager Andreas Hein.
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Deicke verwies hingegen auf zahlreiche technische Fortschritte und Innovationen in der Automobilindustrie, die längst nicht nur auf die Leistung zielten. So habe sich der Kraftstoffverbrauch über die Jahre halbiert, der Abgasausstoß sei sogar um 95 Prozent gesunken. Entscheidend verbessert habe sich zudem die Sicherheit der Fahrzeuge; die Anzahl tödlicher Unfälle sei dank aktiver und passiver Sicherheits- und Fahrerassistenzsysteme dramatisch zurückgegangen.

Dennoch, so Hein, hingen die Automobilhersteller noch viel zu stark an alten Denkmustern und versäumten es, von den großen Internet-Konzernen wie Google oder Apple zu lernen: "Die Autoindustrie tickt noch immer so wie im letzten Jahrhundert. In der Computerindustrie haben das Internet, Cloud Computing, Virtualisierung, Video Conferencing, Mobile Devices und Big Data Analytics die Art wie wir arbeiten, Geschäfte abschließen und miteinander kommunizieren, grundlegend verändert."

Die Automobilindustrie ist in mancher Hinsicht tatsächlich etwas konservativer, konzedierte Deicke. Allerdings sei sie auch wesentlich mehr internationalen Regelungen unterworfen - ganz im Gegensatz zur IT-Industrie, wo etwa das Thema Datensicherheit von großen Konzernen mit Füßen getreten werde. Trotzdem hätten viele IT-Technologien bereits Einzug ins Fahrzeug gehalten. Deicke: "Die deutsche Automobilindustrie hat übrigens auch tausende von IT-Mitarbeitern eingestellt. Big Data ist seit langem Tagesgeschäft und wird zum Beispiel intensiv zur Verbesserung der Qualität genutzt."

Big Data ist für deutsche Automobilbauer längst Tagesgeschäft, argumentiert der Automotive-Experte Axel Deicke.
Big Data ist für deutsche Automobilbauer längst Tagesgeschäft, argumentiert der Automotive-Experte Axel Deicke.
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Mobility as a Service und neue Geschäftsmodelle

Insbesondere die Generation Y und Wachstumsmärkte in Asien mit einer ausgeprägten IT-Affinität stellten heute ganz andere Anforderungen und akzeptierten auch neue Player in angestammten Märkten, argumentierte Hein weiter. Gleichzeitig gehe der Trend vom Besitzen zum Benutzen. Das Auto als Statussymbol trage nicht mehr überall und nicht mehr über alle Generationen: "Der Wunsch, seine eigene Mobilität individuell und 'on demand' zu gestalten, Mobilität 'as a Service' zu verstehen, bedeutet ein grundlegend anderes Geschäftsmodell, als Autos zu entwickeln, zu produzieren und zu verkaufen."

Die Realität sehe in etlichen Teilen der Welt aber noch anders aus, hielt Deicke dagegen. So sei beispielsweise der Besitz eines Autos in China sicher noch lange ein hohes Gut. Leasing und auch das Mieten von Fahrzeugen steckten dort noch in den Kinderschuhen. Deicke: "Carsharing kann ich mir zur Zeit in China nur schwer vorstellen." Dessen ungeachtet stelle sich die Automobilindustrie natürlich den neuen Herausforderungen und beschäftige sich etwa intensiv mit Mobilitäts-Services.

Am Ende waren sich die Diskutanten dann aber doch einig: Um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, bedürfe es gemeinsamer Anstrengungen von IT- und Automobilexperten. Entsprechende Szenarien müssten "cross industry" entstehen, denn künftig gelte es, ganzheitliche Mobilitätskonzepte über Branchengrenzen hinweg zu definieren. (wh)