Ruhe bewahren

Digitalisierung verträgt keinen blinden Aktionismus

19.11.2015
In Zeiten des allgemeinen Aufbruchs in die digitale Zukunft gibt es auch mahnende Stimmen. So rät die ITSM Group nichts zu überstürzen. Vorstand Frank Zielke hat "alternative Tipps" zur digitalen Strategie parat.

Klassische Geschäftsmodelle werden infrage gestellt, Newcomer sollen etablierte Branchengrößen schon bald in Gefahr bringen und frühere Gewinner könnten sich plötzlich zu Verlierern im Markt entwickeln. Die gegenwärtige Diskussion zur Digitalisierung mit Begriffen wie Industrie 4.0 oder Internet of Things (IoT) erzeugt nach Ansicht von Frank Zielke, Vorstand des Beratungshauses ITSM Group, einen überzogenen Handlungsdruck.

Frank Zielke, Vorstand der ITSM Group, empfiehlt Anwendern mehr Gelassenheit im Umgang mit der digitalen Transformation.
Frank Zielke, Vorstand der ITSM Group, empfiehlt Anwendern mehr Gelassenheit im Umgang mit der digitalen Transformation.
Foto: Frank Zielke ITSM Nord

"Es entsteht unnötigerweise der Eindruck, als würde Ihr Business sofort einen erheblichen Schaden nehmen, wenn Sie nicht binnen kurzer Zeit vollständig auf digital umschalten", meint Zielke. Der Berater gibt folgende Tipps zur strategischen Ausrichtung der Digitalisierung:

Keine bewährten Regeln ohne Not außer Kraft setzen

Modern und gut sind Geschäftsmodelle nach dem aktuellen Diskussionstrend nur noch, wenn sie den Stempel der Digitalisierung tragen. Doch wer wirtschaftliche Maßstäbe heranzieht, kommt bei genauerem Hinschauen zu einem gegensätzlichen Ergebnis: Rentabel sind Geschäftsmodelle vor allem dann, wenn sie auf klassischen Business-Ansätzen beruhen. Kaum ein Startup-Konzept schreibt bereits schwarze Zahlen, stattdessen leben die Jungunternehmen von Investorengeldern und der Hoffnung auf eine zukünftige Rentabilität.

Die verschiedenen Branchen sind unterschiedlich weit fortgeschritten auf dem Weg in die digitale Zukunft.
Die verschiedenen Branchen sind unterschiedlich weit fortgeschritten auf dem Weg in die digitale Zukunft.
Foto: ZEW

Dies spricht keineswegs gegen ein starkes Engagement in Richtung hochdigitalisierter Prozesse und digitaler Produkte beziehungsweise Dienste, doch wegen des Digitalisierungstrends sollten keinesfalls bewährte marktstrategische und betriebswirtschaftliche Regeln außer Kraft gesetzt werden. Dies gilt insbesondere für die Nutzenbewertung von Investitionen in Zukunftstechnologien.

Offene Fragen sind keine Entscheidungsgrundlage

Viele Fragen im Zusammenhang mit Digitalisierungsthemen sind noch ungeklärt. Beispielsweise fehlt es bei Industrie 4.0 noch an durchgängigen Modellen. Die komplexe Schnittstellenproblematik aufgrund der umfangreichen Vernetzung ist nicht gelöst und für die damit einhergehenden Sicherheitsaspekte sind noch keine ausreichenden Lösungen entwickelt worden. Nicht viel anders sieht es bei vielen weiteren technologischen Zukunftsthemen aus. Wer sich angesichts der gegenwärtigen Vielfalt an Unklarheiten vor den Investitionsrisiken scheut, sollte vorläufig noch die weitere Entwicklung für den richtigen Einstiegsmoment beobachten, diese Phase aber konstruktiv zur digitalen Strategiefindung und der internen Prozessdigitalisierung nutzen.

Transformation bei der Digitalisierung der Geschäftsprozesse beginnen

Die digitale Transformation wird in der öffentlichen Diskussion zwar gerne an Begriffen wir Internet der Dinge, Industrie 4.0 oder Big Data und Cloud festgemacht, tatsächlich beginnt sie aber schon beim digitalen Reifegrad der Unternehmen. Viele Prozesse in den Business-Abteilungen und der Produktion laufen noch manuell und papiergestützt. Oft sind sie von Medienbrüchen geprägt, so dass keine durchgängig digitalen und elektronisch integrierten Abläufe möglich sind.

Eine umfassende digitale Prozessinfrastruktur entlang der Wertschöpfungsketten ist jedoch Voraussetzung für eine agile Wettbewerbsfähigkeit, organisatorische Flexibilität und Reduzierung der Prozesskosten. Insofern sollten sich die Transformationsstrategien zunächst konsequent diesem Optimierungsbedarf widmen.

Auf Projektorgien verzichten

Allen aktuellen Studien zufolge weist der digitale Reifegrad in den Unternehmensprozessen noch erhebliche Defizite auf, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Digitalisierungsbestrebungen vielfältige Projekte erzeugen. Da die personellen Ressourcen jedoch begrenzt sind und die Realisierung der notwendigen Maßnahmen nicht zu weit in die Zukunft reichen darf, ist eine bewusste Beschränkung der Projektansprüche auf arbeits- und leistungsfähige digitale Prozesse mit der notwendigen Integration notwendig. Die Begrenzung der Ausbaustufe bewirkt, dass eine schnellere digitale Durchdringung der Organisation erreicht wird. Funktionale Erweiterungen können zu einem späteren Zeitpunkt realisiert werden.

Mut zu mehr zentraler Steuerung

Auch wenn viele Digitalisierungsthemen in den Fachbereichen der Unternehmen beheimatet sind oder sein werden, ist eine systematische Transformation nicht über dezentrale Einzelmaßnahmen zu erreichen. Hierfür bedarf es der Einrichtung eines Transformation Managements innerhalb der IT-Organisation, das für die Planung, Koordination und Realisierung der gesamten Digitalisierungsmaßnahmen verantwortlich ist. Zu seinen Aufgaben gehört insbesondere, gemeinsam mit den Geschäftsbereichen Initiativen zur Digitalisierung der Prozesse und digitale Produktinnovationen zu entwickeln. Eine wichtige Funktion besteht zudem darin, die Transformationserfahrungen intern zu transportieren, damit die Digitalisierungskultur im Unternehmen befruchtet wird.