Klassische Geschäftsmodelle werden infrage gestellt, Newcomer sollen etablierte Branchengrößen schon bald in Gefahr bringen und frühere Gewinner könnten sich plötzlich zu Verlierern im Markt entwickeln. Die gegenwärtige Diskussion zur Digitalisierung mit Begriffen wie Industrie 4.0 oder Internet of Things (IoT) erzeugt nach Ansicht von Frank Zielke, Vorstand des Beratungshauses ITSM Group, einen überzogenen Handlungsdruck.
"Es entsteht unnötigerweise der Eindruck, als würde Ihr Business sofort einen erheblichen Schaden nehmen, wenn Sie nicht binnen kurzer Zeit vollständig auf digital umschalten", meint Zielke. Der Berater gibt folgende Tipps zur strategischen Ausrichtung der Digitalisierung:
Keine bewährten Regeln ohne Not außer Kraft setzen
Modern und gut sind Geschäftsmodelle nach dem aktuellen Diskussionstrend nur noch, wenn sie den Stempel der Digitalisierung tragen. Doch wer wirtschaftliche Maßstäbe heranzieht, kommt bei genauerem Hinschauen zu einem gegensätzlichen Ergebnis: Rentabel sind Geschäftsmodelle vor allem dann, wenn sie auf klassischen Business-Ansätzen beruhen. Kaum ein Startup-Konzept schreibt bereits schwarze Zahlen, stattdessen leben die Jungunternehmen von Investorengeldern und der Hoffnung auf eine zukünftige Rentabilität.
Dies spricht keineswegs gegen ein starkes Engagement in Richtung hochdigitalisierter Prozesse und digitaler Produkte beziehungsweise Dienste, doch wegen des Digitalisierungstrends sollten keinesfalls bewährte marktstrategische und betriebswirtschaftliche Regeln außer Kraft gesetzt werden. Dies gilt insbesondere für die Nutzenbewertung von Investitionen in Zukunftstechnologien.
Offene Fragen sind keine Entscheidungsgrundlage
Viele Fragen im Zusammenhang mit Digitalisierungsthemen sind noch ungeklärt. Beispielsweise fehlt es bei Industrie 4.0 noch an durchgängigen Modellen. Die komplexe Schnittstellenproblematik aufgrund der umfangreichen Vernetzung ist nicht gelöst und für die damit einhergehenden Sicherheitsaspekte sind noch keine ausreichenden Lösungen entwickelt worden. Nicht viel anders sieht es bei vielen weiteren technologischen Zukunftsthemen aus. Wer sich angesichts der gegenwärtigen Vielfalt an Unklarheiten vor den Investitionsrisiken scheut, sollte vorläufig noch die weitere Entwicklung für den richtigen Einstiegsmoment beobachten, diese Phase aber konstruktiv zur digitalen Strategiefindung und der internen Prozessdigitalisierung nutzen.
Transformation bei der Digitalisierung der Geschäftsprozesse beginnen
Die digitale Transformation wird in der öffentlichen Diskussion zwar gerne an Begriffen wir Internet der Dinge, Industrie 4.0 oder Big Data und Cloud festgemacht, tatsächlich beginnt sie aber schon beim digitalen Reifegrad der Unternehmen. Viele Prozesse in den Business-Abteilungen und der Produktion laufen noch manuell und papiergestützt. Oft sind sie von Medienbrüchen geprägt, so dass keine durchgängig digitalen und elektronisch integrierten Abläufe möglich sind.
- Big Data
Insgesamt 18 Prozent der Unternehmen wertet zur strategischen Unterstützung des Geschäftsbetriebs im Rahmen von Big Data Analysen große Mengen an Daten systematisch aus. Dabei setzten überdurchschnittlich viele große Unternehmen ab 500 Beschäftigten (58 Prozent) auf Big Data. - Industrie 4.0
Insgesamt ist 18 Prozent der Unternehmen der Begriff Industrie 4.0 bekannt. Vier Prozent der Unternehmen setzten bereits Industrie 4.0-Projekte um oder planen dies in naher Zukunft zu tun. - Cloud Computing
Im Fahrzeugbau nutzen 24 Prozent der Unternehmen Cloud Computing. In der Metallindustrie sind es nur 6 Prozent der Unternehmen. - Schnelles Internet
In der Branche Einzelhandel nutzen 20 Prozent der Unternehmen einen Internetanschluss mit mindestens 50 Mbit pro Sekunde. - Social Media
Social Media-Anwendungen wird von 79 Prozent der IT- und Telekommunikationsunternehmen und von 70 Prozent der Mediendienstleister eingesetzt.
Eine umfassende digitale Prozessinfrastruktur entlang der Wertschöpfungsketten ist jedoch Voraussetzung für eine agile Wettbewerbsfähigkeit, organisatorische Flexibilität und Reduzierung der Prozesskosten. Insofern sollten sich die Transformationsstrategien zunächst konsequent diesem Optimierungsbedarf widmen.
Auf Projektorgien verzichten
Allen aktuellen Studien zufolge weist der digitale Reifegrad in den Unternehmensprozessen noch erhebliche Defizite auf, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Digitalisierungsbestrebungen vielfältige Projekte erzeugen. Da die personellen Ressourcen jedoch begrenzt sind und die Realisierung der notwendigen Maßnahmen nicht zu weit in die Zukunft reichen darf, ist eine bewusste Beschränkung der Projektansprüche auf arbeits- und leistungsfähige digitale Prozesse mit der notwendigen Integration notwendig. Die Begrenzung der Ausbaustufe bewirkt, dass eine schnellere digitale Durchdringung der Organisation erreicht wird. Funktionale Erweiterungen können zu einem späteren Zeitpunkt realisiert werden.
Mut zu mehr zentraler Steuerung
Auch wenn viele Digitalisierungsthemen in den Fachbereichen der Unternehmen beheimatet sind oder sein werden, ist eine systematische Transformation nicht über dezentrale Einzelmaßnahmen zu erreichen. Hierfür bedarf es der Einrichtung eines Transformation Managements innerhalb der IT-Organisation, das für die Planung, Koordination und Realisierung der gesamten Digitalisierungsmaßnahmen verantwortlich ist. Zu seinen Aufgaben gehört insbesondere, gemeinsam mit den Geschäftsbereichen Initiativen zur Digitalisierung der Prozesse und digitale Produktinnovationen zu entwickeln. Eine wichtige Funktion besteht zudem darin, die Transformationserfahrungen intern zu transportieren, damit die Digitalisierungskultur im Unternehmen befruchtet wird.