Kaum ein Mittelstandskongress, kaum ein Wirtschafts-Interview, kaum ein Unternehmensbericht kommt ohne das Thema Digitalisierung aus. Alles ist 4.0, oder soll zumindest 4.0 werden, vom elektronischen Bestellsystem bis hin zur virtuellen Fabrik. Doch je mehr unter das Schlagwort fällt, umso schwammiger wird der Begriff. Aber wenn man ehrlich ist, ist es doch eher so: Die Digitalisierung läuft seit Jahrzehnten, sie ist ein langer Prozess und keine Errungenschaft unserer Zeit. Sie ist allerdings präsenter denn je, weil in den vergangenen Jahren so viel Innovationskraft, so viel Bewegung wie noch nie in die Branche gekommen ist. Doch ist das überhaupt gut?
Ohne Frage hat die Digitalisierung viel Positives mit sich gebracht. Das World Wide Web zum Beispiel, Computer und Smartphones, vor allem intelligente Systeme in so wichtigen Bereichen wie Medizin und Forschung, Mobilität, Sicherheit. Die Digitalisierung ist in allen Bereichen präsent, sie bringt Fortschritt, Wachstum und schafft Perspektive.
Fluch und Segen der Digitalisierung
Sie findet jedoch auch auf dem Rücken Anderer statt, die für die Fertigung neuester Technologien und ihre spätere Entsorgung ausgebeutet werden. Sie macht krank, weil alles noch schneller - manchmal viel zu schnell - vorangeht, weil sie Welten erschafft, in denen alles möglich ist, dabei aber gleichzeitig auch Arbeitskräfte und menschliche Beziehungen ersetzt. Die Digitalisierung ist Fluch und Segen zugleich - sie repariert und zerstört.
Ein Blick auf den Markt zeigt, dass die Digitalisierung überhand nimmt. Eines der bekannteren Beispiele ist die 400 Dollar teure Saftpresse von Juicero, die - über WLAN-Anbindung - Saft aus Tüten in Gläser presst. Als herauskam, dass sich die Tüten auch einfach mit den Händen ausdrücken lassen, ging das millionenschwere Startup pleite. Aber das ist noch harmlos im Vergleich zu den sinnlosen Gadgets, mit denen der Markt überschwemmt wird.
Es gibt smarte Flip-Flops, die die Schrittzahl messen - und gleichzeitig das Bewegungsprofil zu Werbezwecken erfassen. Kartons, die via App-Verbindung mitteilen, wenn die Eier zuneige gehen. Sofakissen, die eine eingebaute Fernbedienung für den Fernseher im Bezug haben, und jedes Mal umschalten, wenn man es sich mit ihnen bequem macht. Smarte Salzstreuer, bei denen vorher das Essen in der App angewählt werden und anschließend die perfekte Menge Salz auf den Teller gegeben werden kann. 100-Dollar-Toaster, die genau den Bräunungsgrad erwirken, der auf dem Smartphone eingestellt wurde. Und, jetzt kommt's: Smarte Kondome, die aufzeichnen, wie viel Kalorien man beim Sex verbrennt.
Das ist der Teil der Digitalisierung, der mit einem Augenzwinkern betrachtet werden kann. Schließlich muss niemand solche Produkte kaufen, und wahrscheinlich wird sich in ein paar Jahren keiner mehr an sie erinnern. Kritisch wird es hingegen an Stellen, wo der Digitalisierungsdrang die Gesellschaft verändert. Zum Beispiel im Bankenwesen.
Die Banken - vor allem die deutschen - haben erst sehr spät damit begonnen, ihr Angebot zu digitalisieren. Und seitdem werfen sie ein Produkt nach dem anderen auf den Markt. Interfaces von Mobile-Banking-Applikationen verändern sich fortlaufend, Funktionen werden ergänzt und wieder genommen, der Kunde in seinem Nutzungserlebnis immer wieder gestört. Service und Beratung werden in Chatrooms ausgelagert und Filialen im Gegenzug geschlossen. Und das alles bei dem sensiblen Thema Geld und einer Zielgruppe, die sich durch alle Altersklassen der Gesellschaft zieht. Das Problem ist: Das digitale Angebot sollte das bestehende ergänzen, ersetzt es jedoch zunehmend. Dafür ist es aber an vielen Stellen noch immer nicht ausgereift genug. Das schadet der Kundenbeziehung und dem (durch die Krise sowieso schon erschütterten) Vertrauen in die Banken.
Digitale Einkaufserlebnisse
Eine ähnliche Entwicklung lässt sich im Handel beobachten. Smart Mirrors, mit denen sich virtuell Kleidung anprobieren lässt, um Lager- und Mietkosten zu sparen. Heatmap Tracking der Kundenströme, um das Einkaufsverhalten der Kunden zu beobachten und sie in ihrer Kaufentscheidung zusätzlich zu manipulieren. Immer mehr Bildschirme und Scanner halten Einzug in den Verkaufsräumen, dafür gibt es weniger oder günstigeres Personal. Das Einkaufserlebnis hat sich verändert, und auch hier hat die Digitalisierung nicht nur Positives beigetragen.
Und dann wäre da noch das Thema Künstliche Intelligenz. Noch so ein Schlagwort, das die Massen begeistert und einen Hype in der Tech-Branche erfährt. Und eines, dass für viele Entwicklungen herhalten muss, die weit weniger smart sind, als sie beworben werden. Ganze Zukunftsszenarien werden zusammengesponnen, in denen Roboter, die heutzutage noch nicht wesentlich mehr können als einprogrammierte Bewegungen abzuspulen, zur Gefahr für den Menschen werden.
- KI im Unternehmen und Personalmanagement
Künstliche Intelligenz (KI) birgt ein enormes Potenzial für Unternehmen, zum Beispiel beim Einsatz im Personalmanagement. Joachim Skura, Thought Leader Human Capital Management bei Oracle, nennt Vorteile der KI sowie wichtige Faktoren, die bei der Planung sowie Nutzung zu beachten sind. - Kooperation der Führungskräfte
Da die KI-Technologie heute alle Unternehmensebenen durchdringt, müssen HR-Verantwortliche mit den anderen Führungskräften zusammenarbeiten, um Automatisierungsstrategien für die einzelnen Teams zu entwickeln. - Intelligenz kombinieren
KI muss zu einem Umdenken in Bezug auf die Belegschaft führen: Es geht nicht mehr nur darum, Mitarbeiter einzustellen. Vielmehr müssen menschliche und künstliche Intelligenz kombiniert werden, um die Produktivität zu maximieren. - Sinnvolle Prozessautomatisierung
Ein ganz wesentlicher Aspekt der Nutzung von KI ist, das Streben nach mehr Effizienz in Relation zu den tatsächlichen Möglichkeiten zu setzen. Nur weil sich ein Prozess automatisieren lässt, heißt das noch lange nicht, dass man das auch tun sollte. Das gilt auch im Personalwesen. - Keine Big-Brother-Atmosphäre schaffen
KI kann für die Sicherheit des Unternehmens sehr hilfreich sein. Viele Betriebe nutzen KI-Technik, um Anwendungen, Systeme und Infrastruktur ständig zu überwachen und anomales Verhalten in Echtzeit zu erkennen und zu bewerten. Hier sollten Unternehmen aber unbedingt darauf achten, dass keine „Big-Brother-Atmosphäre“ geschaffen wird. Der Personalabteilung kommt dabei eine wichtige Rolle zu. - Daten und Technik ausschöpfen
KI sollte bei Einstellungs- und Besetzungsplänen zur Anwendung kommen. Der Grund: Es gilt, kontextbezogene Daten und Technologien auszuschöpfen, um Probleme wie hohe Fluktuationsraten in Angriff zu nehmen, Mitarbeiter besser zu verstehen und den vorhandenen Pool an Talenten effektiver zu nutzen. Nur so lässt sich Arbeit intelligenter, angenehmer und kollaborativer gestalten – und letztendlich auch wertschöpfender. - KI im Recruiting nutzen
Künstliche Intelligenz wird derzeit auch im Recruiting immer wichtiger. Recruiter nutzen KI, um herauszufinden, welche Skills das Unternehmen aktuell benötigt, und wo passende Kandidaten zu finden sind. - Bewerbungsmanagement automatisieren
Mit Hilfe von KI lassen sich zeitaufwendige Aufgaben wie das manuelle Screening von Lebensläufen und Bewerber-Pools automatisieren. - Candidate Experience aufbauen
Leistungsstarke und integrierte KI-Funktionen sowie klare Abläufe helfen, im Personalmanagement eine benutzerfreundliche und personalisierte Candidate Experience vom Erstkontakt bis hin zur Einstellung und Eingliederung zu schaffen. - Mehr Effizienz durch Machine Learning
Modernste Machine-Learning-Anwendungen unterstützen das Personalwesen, die Time-to-Hire zu verkürzen, indem sie proaktiv eine Vorauswahl der geeignetsten Kandidaten treffen und Empfehlungen geben. - Chatbots einsetzen
Ein Chatbot kann eine Datenquelle sein, mit deren Hilfe Unternehmen mehr über ihre Mitarbeiter erfahren. Machine-Learning-Analysen von Fragen und Gesprächen können einzigartige und bisher nicht mögliche Einblicke liefern. So lassen sich zugrundeliegende Probleme aufdecken – und das vielleicht noch, bevor sich der Mitarbeiter dieser überhaupt bewusst ist.
Auch wenn die Digitalisierung zur Folge hat, dass Maschinen immer mehr können: Sie werden einen Menschen niemals ersetzen können. Denn sie sind vielleicht intelligent, besitzen aber noch immer kein Bewusstsein, kein Erfahrungswissen und keine Gefühle, sondern folgen in ihrem Entscheidungsprozess immer nur logischen Ablaufketten.
Digitalisierung als Selbstzweck
In manchen Bereichen ist Digitalisierung hilfreich, um Fehler zu minimieren, gefährliche Aufgaben zu übernehmen und menschliche Kräfte zu entlasten. Braucht es jedoch Barkeeper-Roboter, die zwar Drinks mixen, aber keine Konversation aus Mitgefühl führen können? Arztmaschinen, die Wahrscheinlichkeiten errechnen, statt alles in der Macht stehende zu tun, um ein Menschenleben zu retten? Pflegeroboter, die zwar füttern und waschen können, aber deren Hände sich immer nach kaltem Metall anfühlen?
Die Tech-Branche neigt dazu, auf der Suche nach der nächsten Unicorn-Idee die Orientierung zu verlieren. Das zeigt sich auch auf dem schier unendlichen App-Markt: Es gibt für fast alles eine Applikation, von Tools, die ans Wassertrinken erinnern bis hin zu Handwärmer-Apps, die den Akku des Smartphones so stark belasten, dass dieser sich erhitzt (und rasend schnell entleert). Der Innovationsdrang treibt die Branche zu Höchstleistungen in den digitalen Bereichen. Doch nicht alles, was smart ist, ist auch intelligent.
Die Digitalisierungs-Hysterie muss endlich ein Ende nehmen. Es muss besser geprüft werden, welche Form der Digitalisierung angemessen ist, und wie diese einer durchdachten Strategie folgend umgesetzt werden kann. Das gilt für Unternehmen, die viel zu oft blind den Empfehlungen externer Berater folgen oder sich Digitalisierungsideen abgucken. Und das gilt für Produkte. Nicht alles in unserem Alltag muss eine digitale Komponente haben.
Detoxing unumgänglich?
Klar: Der Markt bietet noch immer Wachstumspotenziale. Aber der Konsument ist übersättigt - auch, wenn sein Kauf- und Nutzungsverhalten das nicht unbedingt zeigt. Immer mehr Verbraucher verordnen sich eine Pause und verordnen sich ein Digital Detoxing, vor allem wenn es um Social-Media-Plattformen und Smartphone-Nutzung geht. Unser Alltag ist von vorne bis hinten durchdigitalisiert: Laut einer Studie von Deloitte wirft jeder Zweite innerhalb von fünf Minuten nach dem Aufwachen einen Blick aufs Handy. Der durchschnittliche Internet-Nutzer verbringt 116 Minuten auf Social-Media, 60 Milliarden Nachrichten werden weltweit über Facebook und Whatsapp verschickt.
Informationsüberflutung, Überreizung, digitales Desaster - und ein neues Geschäftsfeld: Es gibt jetzt Instagram-Sitter, die den Account im Urlaub betreuen, Digital-Detox-Urlaubsschnäppchen und vieles mehr. Die Digitalisierung ist eine gute Idee, wenn sie intelligent eingesetzt wird. Aber was Mensch und Wirtschaft aus ihr machen, kann in einer Katastrophe enden, wenn nicht endlich wieder der ursprüngliche Kern der Digitalisierung in den Fokus rückt, nämlich Gesellschaft, Zusammenleben und Alltag durch smarte Innovation zu verbessern. (mb/fm)