CeBIT Digitalisierung

Digitales Wirtschaftswunder trotz schlechter CeBIT Slogans

24.03.2015
Von 
Dr. Carlo Velten schreibt als Experte zu den Themen Cloud-Platforms und -Developers, Enterprise Cloud Management und Digital Business. Dr. Carlo Velten ist CEO des IT-Research- und Beratungsunternehmens Crisp Research AG. Seit über 15 Jahren berät Carlo Velten als IT-Analyst namhafte Technologieunternehmen in Marketing- und Strategiefragen.
d!conomy – wieder einmal eine neue Wortschöpfung der Cebit-Macher mit der gerade ausländische Gäste nur wenig anfangen können. Und das obwohl viele Aussteller in diesem Jahr gezeigt haben, wie sich die digitale Transformation und das „Internet der Dinge“ in der unternehmerischen Praxis konkret umsetzen lassen.

d!conomy -Die CeBIT-Macher versuchen offensichtlich mit einer kryptischen Wortschöpfung vom schleichenden Relevanzverlust der ehemaligen Technologie-Leitmesse abzulenken. Anstatt das Offensichtliche zu tun, nämlich die Digitale Transformation und das "Internet der Dinge" in den Mittelpunkt zu stellen, versucht der Veranstalter sich an Begrifflichkeiten die wenig Sinn und gar keine Praxisrelevanz haben. Und das, obwohl es gerade in diesem Jahr viele Aussteller geschafft haben, den Trendthemen Digitalisierung und "Internet der Dinge" (IoT) ein konkretes Gesicht zu geben. Immerhin lag die Besucherzahl mit rund 221.000 wieder leicht über dem Vorjahr (208.000) und konnte den Negativtrend der letzten Jahre brechen. Auch wenn die Anzahl der Austeller weiter schrumpfte.

"Internet der Dinge" und digitale Transformation - in der Unternehmenspraxis angekommen

Eines haben die IT-Anbieter auf der Cebit klar und deutlich gemacht - die Diskussionen und Projekte der kommenden Jahre werden von den Themen "Internet der Dinge" und "Digitale Transformation" beherrscht. Die Frage, wie Industrie- und Dienstleistungsunternehmen jeglicher Couleur ihre Fertigungs- und Logistikprozesse sowie Kunden- und Support-Beziehungen digitalisieren und effizienter gestalten können, beschäftigt derzeit neben CIOs auch Geschäftsführer und Vorstände. Die IT ist damit (mal wieder) auf der Vorstandsetage gelandet und muss in den kommenden Jahren unter Beweis stellen, dass man den digitalen Wandel erfolgreich unterstützen und vorantreiben kann. Immerhin 39% der deutschen Unternehmen sehen sich in diesem Wandel als aktive Gestalter und Profiteure, wie eine aktuelle Studie von Crisp Research zeigt.

Digitalisierung konkret - Deutsche Telekom legt vor

Im Unterschied zu den Vorjahren waren in diesem Jahr erstmals fast überall echte Use Cases und Kundenprojekte zu erleben. In der Disziplin, die Digitalisierung zu konkretisieren und erlebbar zu machen, lagen die Deutsche Telekom AG und ihre Tochtergesellschaften klar vorne. Nirgendwo sonst, gab es so viel Digitalisierung "zum Anfassen" und Testen. Vor allem die sogenannten "Digitalisierungspakete" machten deutlich, dass auch kleine und mittelständische Unternehmen ohne großanlegte Beratungs- und Integrationsprojekte ihre Digitalisierungsinitiativen starten können. Mit dem Paket "Hotspot Plug'n'Play" können Geschäftsinhaber ihren Kunden kostenlos und ohne Haftungsrisiko WLAN zur Verfügung stellen. Dies war für die meisten aufgrund der sogenannten "Störerhaftung" bislang nur mit erheblichem Aufwand und rechtlichem Risiko möglich. Ein guter Schritt in Richtung mehr "Digital Customer Experience" für die Betreiber von Cafés, Boutiquen oder Bibliotheken.

Wie Cloud und Digitalisierung den Wandel in der IT-Anbieterlandschaft forcieren

Auch war die diesjährige Cebit geeignet, um die tektonischen Verschiebungen zu beobachten, die für neue Kräfteverhältnisse sowie neue Wettbewerbskonstellationen sorgen. Während Public Cloud-Pionier Amazon Web Services sich mit einem eigenen Truck bis vor die Tore der Hallen der etablierten Enterprise-IT-Player gewagt hat, ist der chinesische Ausrüster Huawei mittlerweile eine dominante Größe in Halle 2 und sorgt dafür, dass viele IBM-Vertreter mit Platzangst zu kämpfen hatten. So machte Huawei nicht nur durch eine Reihe von Großaufträgen von Telekom & Co von sich reden, sondern darf mit knapp 46 Milliarden Dollar Umsatz in 2014 auch zu den absoluten Schwergewichten der Branche zählen, das neben Handys mittlerweile auch hochkomplexe Infrastrukturen für Cloud- und Unternehmensrechenzentren bereitstellt.

Es zeigt sich deutlich, dass der Trend zu cloud-basierten Infrastruktur- und Plattformdiensten nicht mehr aufzuhalten ist. So waren fast alle Exponate und Use Cases Apps und Dienste "aus der Wolke". Und im Zeitalter des "Internet der Dinge" wirken "On-Premise"-Architekturen ohnehin schon anachronistisch.

T-Systems, Unify & Co haben Strategiewechsel eingeläutet

Dem fundamentalen Wandel sind einige IT-Schwergewichte mit radikalem Strategiewechsel begegnet. Und dies ist auch dringend notwendig, wenn sich der Charakter von IT-Projekten, das Sourcing-Verhalten und die IT-Betriebskonzepte so dramatisch in Richtung IT-as-a-Service verändern. Dies lässt sich besonders gut am Beispiel von T-Systems illustrieren, die derzeit einen radikalen Umbau von klassischen Outsourcer (der in individuellen Deals und Projekten gefangen ist) hin zum Cloud-Ecosystem- und Platform Provider vollziehen.
So schafft T-Systems einerseits einen zentralen Hub für eine ganze Reihe globaler Cloud Service Provider wie Cisco, VMware oder Salesforce. Diese können via Betrieb in T-Systems Rechenzentren ihre Cloud-Dienste nun "made in Germany" vertreiben und miteinander vernetzen. Das sollte die Cloud-Integration gerade für Großunternehmen wesentlich vereinfachen. Andererseits entwickelt T-Systems mit Partnern erstmals komplette IT-Betriebs- und Datenmanagement-Plattformen für verschiedene IoT- und Industrie 4.0-Einsatzszenarien. Geht diese Strategie auf, transformiert sich T-Systems vom IT-Provider zum New Business Enabler. Das ist mit Sicherheit die richtige, langfristige Strategie, auch wenn sie hohe Risiken birgt. Immerhin hat T-Systems mit der klaren Aufteilung der Organisation nach IT, TK und Digital die richtigen Voraussetzungen auf Managementseite geschaffen. Auch im Betrieb von klassischen IT-Umgebungen setzt T-Systems - analog zum standardisierten Betrieb von SAP - auf den Plattformgedanken. Vereinheitlichung, Automatisierung und Cloud-Betrieb sollen Anwendern zukünftig auch beim Betrieb von Desktops oder Server-Umgebungen zugute kommen.

Ähnlich radikal fällt der Umbau bei Unify aus. Bis 2013 unter dem Namen "Siemens Enterprise Communications" noch als eher behäbiger Communications-Anbieter mit hohem Hardware-Geschäftsanteil bekannt, wandelt sich Unify konsequent zum Software- und Service Provider bei dem Offenheit und User Experience an erster Stelle stehen sollen. So wurde das Design-Büro "Frog Design" mit der Gestaltung der aktuellen Produktversion beauftragt und Ex-Forrester Analyst Dr. Stefan Ried als CTO verpflichtet. Der Betrieb der neuen Produktgeneration erfolgt natürlich in der Cloud.

Ausblick - Plattformauswahl für IoT, Industrie 4.0 und Digitalisierung

Dass das "Internet der Dinge" langsam Unternehmensrealität wird, zeigen nicht nur die Use Cases der etablierten Anbieter. Auch der Startup-Wettbewerb "code_n" hat insgesamt 50 Finalisten präsentiert, die alle mit interessanten IoT-Anwendungen, -Produkten und Services überzeugen konnten. Hinzu kamen Projekte von ausgewählten Industrieunternehmen wie Bosch SI oder auch Volkswagen, die in diesem Jahr auf der Cebit vertreten waren. Dennoch muss man sich fragen, welches zukünftig die Technologie-Leitmesse sein wird, wenn IoT und Industrie 4.0 die zentralen Themen sind. Werden die Industrieunternehmen von der Hannover Messe nun auch die Cebit besuchen oder die Cebit ein Begleitevent für die weltgrößte Industriemesse am gleichen Standort?

Sicher scheint nur eines - in den kommenden 24 Monaten werden sich viele Unternehmen entscheiden müssen, auf welcher der hunderten an IoT-Plattformen sie ihre ersten Projekte realisieren und betreiben wollen. Keine leichte aber sicherlich eine spannende Aufgabe für CIOs und IT-Manager. Denn ohne deren fundiertes Know-How werden auch engagierte "Chief Digital Officers" keinen Erfolg haben. (bw)