Claus Kleber, seines Zeichens Jurist, Journalist, Buchautor und Fernsehmoderator im ZDF, hat Sonntagnacht, 19.06.2016, nach den EM-Fußballspielen über die "Schöne neue Welt" der Digitalisierung berichtet. Sein Reisebericht durchs Silicon Valley beginnt sehr dramatisch mit folgenden Worten: "Auf die Energie, mit der es hier Richtung Zukunft geht, war ich nicht vorbereitet. Aus einem Tal bei San Francisco kommt ein Tsunami von Innovationen in die Welt - er wird sie grundstürzend verändern".
Claus Kleber berichtet von UNICORNs (Einhörnern), das sind Startups, die über Nacht zu einer Milliarde Dollar Marktwert kommen, von Googles selbstfahrenden Autos, Facebooks Vision, die gesamte Welt mit Internet zu versorgen, von Mikrorobotern, die Krankheiten verhindern können, 3-D-Druckern, die Organe erstellen können und von Menschen, die Ihre Visionen schon umgesetzt haben.
Aber auch von Taxifahrern, die ihre Perspektive durch die UBER-App verloren haben. Hier in Silicon Valley spürt man die Kraft der Disruption und die eines Neubeginns mit unendlich vielen neuen Technologien, Produkten, Märkten und Möglichkeiten.
Aber das ist alles weit weg, in diesem Tal, dessen Name an ein Brustimplantat erinnert. Wie sieht es in Deutschland respektive in Europa aus, spüren wir die Disruption oder den Aufschwung?
Wie sieht es in Deutschland aus?
Die Banken spüren die Disruption der Digitalisierung sehr deutlich. In der Schweizer Handelszeitung war schon letztes Jahr zu lesen, dass mit der Umsetzung der Blockchain-Technologie -ohne die Bank als zentrale Abwicklungsstelle - Programme erstmals autonom und unkorrumpierbar mit Geld umgehen können. Die Disruption durch Digitalisierung in der Bankenwelt zeigt sich auch dadurch, dass sich große Banken zu einem Konsortium zusammenschließen, um gegen kleine FinTech-Firmen bestehen zu können.
Der Einzelhandel versucht Omni-Channel zu beherrschen - Amazon mietet Verkaufsflächen an. Es entstehen neue Märkte und Branchen.
Die Gesundheitsbranche darf sich in Zukunft auch so nennen, weil zum Beispiel digitale Helfer kleinste Veränderungen im gesamten Körper sofort erkennen können. Auch hier werden neue Märkte und Branchen entstehen.
In den meisten produzierenden Fabriken gibt es heute kaum noch Mitarbeiter. Digitalisierung beziehungsweise Industrie 4.0 bedeutet dort, dass das Werkstück mit der Montagelinie kommuniziert. Null-Fehler ist dann nicht mehr das Ziel, sondern der Normalfall. Individuell einsetzbare Roboter werden Eingriffe und Umbauarbeiten in der Fertigung beschleunigen. Die Mensch-Maschine-Kommunikation wird Neue Märkte und Branchen entstehen lassen.
Digitalisierung in der Automobilindustrie
Das Gros der Automobilhersteller kann Fahrzeuge nur begrenzt übers Netz updaten; entwickelt werden autonom fahrende Fahrzeuge. Das Verkehrskonzept der Zukunft wird aber - aller Wahrscheinlichkeit nach - auf selbstfahrenden Fahrzeugen aufgebaut. Claus Kleber dazu in seiner Reportage: "Selbstfahrende Autos stehen nicht im Stau und müssen nicht mehr Parken sondern sind ständig in Bewegung. Wenn sich dieses Konzept durchsetzt, müssen die Autobauer ihre Verkaufszahlen drastisch nach unten korrigieren" - eine gewaltige Disruption steht an.
Interessant finde ich, dass der ehemalige VW-Chef Winterkorn am 13.09.2015 um 11:01 Uhr veröffentlichte: "Eines Tages könnte ein Software-Experte Volkswagen führen. Im rasanten digitalen Wandel müssen sich Autobauer zumindest an vielen Stellen neu erfinden".
Nur eine Stunde und 8 Minuten später 12:19 Uhr postete der damalige Porsche-Chef und heutige VW Vorstandsvorsitzende Matthias Müller: "Ich frage mich immer wie ein Programmierer mit seiner Arbeit entscheiden können soll, ob ein autonom fahrendes Auto im Zweifelsfall nach rechts in den Lkw schießt oder nach links in einen Kleinwagen." Und bringt damit zum Ausdruck, dass er nichts von dieser Technik der selbstfahrenden Autos hält.
Herr Winterkorn hatte wohl schon so etwas wie eine Vorahnung, während Herr Müller erst erfahren musste, welche Auswirkung Software im Produkt auf ein Unternehmen haben kann. Der Betrieb von Software in Fahrzeugen, die millionenfach bei Kunden im Einsatz sind, ist eine der vielen Herausforderungen der Digitalisierung.
Basis-Technologien und Basis-Innovationen
Die Digitalisierung durchdringt die Unternehmen und über die Produkte und Dienstleistungen die Gesellschaft gleichermaßen stark. Basis Innovationen, wie zum Beispiel Cloud und Mobile Computing, Big Data und Analytics fördern die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen - neue Märkte und Branchen entstehen. Diese Basis-Innovationen wurden aber erst durch folgende Basis-Technologien ermöglicht:
Das Internet - die Vernetzung von Daten, Systemen, Produkten, Maschinen und Menschen
Das Breitbandnetz - der schnelle Zugriff auf Computer-Ressourcen. Alles ist immer und überall verfügbar.
Die Virtualisierung - Befreiung der Computerleistung aus dem engen Blechmantel. Computer-Leistung ist kopierbar, skalierbar, multiplizierbar und weltweit verfügbar.
Firmen, die diese Basis-Innovationen und -Technologien führend beherrschen und die notwendigen gesetzlichen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen vorfinden, werden die Wirtschaft über Jahrzehnte maßgeblich beeinflussen und beherrschen. Die Digitalisierung stellt sich so einfach und genial dar, wie ein neuer Kondratieff-Zyklus.
Die Kondratieff-Zyklen
Kondratieff-Zyklen sind 40-60 Jahre dauernde Langwellen der Konjunktur, die einen Reorganisationsprozess der gesamten Gesellschaft hervorrufen.
Ein Kondratieff-Zyklus ist durch gesamtwirtschaftliche Daten nachweisbar, zum Beispiel durch die amtliche Statistik der Konjunkturdaten.
Verschiedene Ebenen werden durch den Zyklus durchdrungen:
Technologische Ebene: Ein Bündel von vernetzten Technologien bestimmt das Innovationsgeschehen über Jahrzehnte. Immer neue Produkte und Dienstleistungen werden entwickelt.
Wirtschaftliche Ebene: Großer neuer Markt entsteht. Basis-Innovationen geben Innovationsimpulse. Hohe Wachstumsraten zeichnen sich über Jahrzehnte hinweg ab.
Gesellschaftliche Ebene: Diffusion der Basis-Innovationen in die Gesellschaft, was zu weitreichenden Reorganisationen führt. (sh. Leo A. Nefiodow, DER SECHSTE KONDRATIEFF)
Die Digitalisierung erfüllt diese Kriterien der Kondratieff-Zyklen. Dies hat zur Folge, dass die Digitalisierung - als 6. Kondratieff-Zyklus - wie auch die Kondratieff-Zyklen 1-5 vorher - uns 30-40 Jahre in Beschlag nehmen wird. Wir sollten uns darauf vorbereiten.
Der russische Wissenschaftler Nikolai D. Kondratieff (1892-1938) gilt als der Begründer der Theorie der langen Wellen. 1926 veröffentlichte er als Direktor des Moskauer Institutes für Konjunkturforschung seine Erkenntnisse. Kondratieff belegt darin, dass nicht Kriege oder Revolutionen, sondern die Dynamik der Marktwirtschaft die Ursache der langen Wellen ist.
Digitalisierung - der 6. Kondratieff?
It depends! Die Staaten mit den Firmen, die den Kondratieff führend beherrschen, werden die größte Wirtschaft aufbauen. Diese Staaten schaffen es Vollbeschäftigung zu erzeugen. Leider belegt Deutschland beziehungsweise Europa einen der letzten Plätze im Wettlauf um die Digitalisierung.
Vielleicht werden wir allenthalben in Europa die Disruption ganzer Branchen bemitleiden, statt den Aufschwung durch die Kraft der Digitalisierung zu gestalten. Die Politik ist gefordert, die Rahmenbedingungen zu setzen, den Ausbau des Breitbandnetzes zu beschleunigen und die notwendigen Gesetze zum Schutz der Privatheit ihrer Bürger zu beschließen, ohne die Digitalisierung dabei zu blockieren.