Broadcom-VMware-Deal

Dieses Mal soll alles anders laufen

26.09.2022
Von 
Jeff Vance ist Gründer von Startup50.com, einer Webseite, die junge Tech-Unternehmen analysiert und rankt. Er schreibt für unsere US-Schwesterpublikation Networkworld.
Chip-Gigant Broadcom beteuert, aus den Übernahmefehlern der Vergangenheit gelernt zu haben. VMware soll es demnach nicht wie CA Technologies und Symantec ergehen.
Übernahme durch Broadcom: Ein Glücksfall für VMware-Kunden und -Mitarbeiter oder der Anfang vom Ende?
Übernahme durch Broadcom: Ein Glücksfall für VMware-Kunden und -Mitarbeiter oder der Anfang vom Ende?
Foto: Michael Vi - shutterstock.com

Halbleiterschwergewicht Broadcom will bekanntermaßen den Virtualisierungspionier VMware für 61 Milliarden Dollar übernehmen. Angesichts der nicht gerade glänzenden Erfolgsbilanz von Broadcom bei früheren Übernahmen (CA Technologies im Jahr 2018 und Symantec im Jahr 2019) sind die Unternehmenskunden von VMware - verständlicherweise - besorgt.

"Nach den Übernahmen von CA und Symantec hat Broadcom die Preise erhöht, die Support-Leistungen verringert und Investitionen in Innovationen gestoppt", erinnert sich Tracy Woo, Senior Analystin bei Forrester. "VMware-Kunden wären gut damit beraten, einen Exitplan parat zu haben", warnt sie. IDC-Analyst Stephen Elliot sieht das anders: "Meiner Meinung nach sollten die Kunden ihre Beziehungen zum Anbieter intensivieren und eine strategische Partnerschaft anstreben."

Der Deal wird voraussichtlich nicht vor Ende des Jahres 2023 offiziell abgeschlossen - Unternehmen haben also noch etwas Zeit, bevor sie eine wie auch immer geartete Entscheidung treffen.

Broadcom beschwichtigt VMware-Kunden und -Mitarbeiter

Sowohl die Broadcom- als auch die VMware-Führungskräfte sind sich oben genannter Bedenken bewusst und versprechen, dass bei diesem Übernahme-Deal alles anders laufen wird. So heißt es seitens Broadcom etwa in einem Blogbeitrag: "Wir gehen die Planungsphase des Transaktionsprozesses nach dem Abschluss unvoreingenommen an und ziehen dabei die Lehren aus unseren früheren Übernahmen von CA und Symantec Enterprise."

In einem kürzlich abgehaltenen Town-Hall-Meeting suchte VMware-Präsident Sumit Dhawan zudem, die Sorgen der mehr als 35.000 VMware-Mitarbeiter zu zerstreuen: "Sie sollten nicht davon ausgehen, dass sich die Vorgänge der Übernahmen von Symantec und CA wiederholen. Für VMware bestehen solche Pläne nicht, zumindest haben wir bisher nur Gegenteiliges gehört", sagte der Manager.

Und auch seitens Broadcom wird betont, wie sehr man die Technologien von VMware sowie die starken Beziehungen des Unternehmens zu Enterprise-Kunden, Hyperscalern, Systemintegratoren und Channel-Partnern schätze: "Daran wollen wir nichts ändern. Im Gegenteil, wir wollen diese Beziehungen noch ausbauen." Der Deal sei letztlich ein Segen für die VMware-Kunden, da er ihnen eine größere Auswahl und Flexibilität biete, um traditionelle und moderne Applikationen zu erstellen, auszuführen, zu managen, zu integrieren und abzusichern.

Bremst Broadcom VMwares Innovationskraft aus?

Ein potenzielles Warnsignal ist das erklärte Ziel von Broadcom, den Jahresgewinn von VMware innerhalb von drei Jahren von 4,7 Milliarden auf 8,5 Milliarden Dollar zu steigern. Erreicht werden soll das laut Broadcom, indem doppelte allgemeine und administrative Funktionen in den Bereichen Personalwesen, Finanzen, Recht, Assets und IT "beseitigt werden". Forrester-Analystin Woo ist skeptisch: "Doppelte Back-Office-Funktionen zu streichen, reicht nicht aus, um die angestrebten zusätzlichen Gewinne von fast vier Milliarden Dollar zu erzielen. Die Frage ist, wo wird noch eingespart?" Die Befürchtung: Broadcom könnte den Rotstift zusätzlich in anderen Bereichen ansetzen, etwa beim Kundensupport oder Forschung und Entwicklung.

Wenn Broadcoms Vision eines umfassenden Mainframe-to-Edge-Computing-Kraftwerks Wirklichkeit werden soll, muss das Unternehmen nicht nur in hochwertige Projekte investieren, sondern auch in VMware-Initiativen, die gerade erst an Fahrt gewinnen - etwa die Container-Management-Software Tanzu. Möglicherweise werden das umfangreiche Produktportfolio, die bestehenden Abhängigkeiten von Unternehmen und die kombinierten Vertriebskanäle es VMware in seiner neuen Form ermöglichen, den schnellen Wachstumsschub ohne Personalkürzungen, Support- oder Innovationseinsparungen zu erreichen. Dennoch: Eine Verdopplung der Gewinne innerhalb von drei Jahren bleibt ein aggressives Ziel.

Hinzu kommt die Tatsache, dass Broadcom nach Übernahmen bisher immer die Preise erhöht, das operative Budget gekürzt und den Support reduziert hat. Eine Bilanz, die laut einer Umfrage von 451 Research bestehende VMware-Kunden beunruhigt. Die Umfrage unter mehr als 300 Technologieunternehmen wurde nach Ankündigung der Übernahme durchgeführt. Ein Ergebnis: Zwar glauben viele Tech-Führungskräfte, dass es tatsächlich Synergien zwischen Broadcom und VMware geben könnte - dennoch stehen 40 Prozent der Befragten der geplanten Übernahme negativ gegenüber. Die größte Sorge der Befragten war dabei, dass Broadcom die Innovationskraft von VMware ausbremsen könnte.

Wird bei diesem Broadcom-Deal wirklich alles anders?

Mehrere Faktoren deuten jedoch darauf hin, dass Broadcom tatsächlich nicht dem Muster früherer Übernahmen folgt. Zum einen ist die Übernahme von VMware mit einem Volumen von 61 Milliarden Dollar die bisher größte der Unternehmensgeschichte. Das setzt Broadcom unter Druck, aus VMware ein wachsendes, nachhaltiges Unternehmen zu machen, statt es im Stil von CA und Symantec trockenzulegen. Ein weiterer Faktor: das starke Partner-Ökosystem von VMware. Broadcom muss Beziehungen zu Vertriebspartnern aufbauen, sonst könnte sich ein großer Teil des Werts von VMware schnell in Luft auflösen.

Auch der Zeitpunkt der Übernahme spielt eine Rolle: VMware hat sich von einem Anbieter von Servervirtualisierungslösungen auf Container, Multi-Cloud-Angebote und Hyperscaler-Produkte verlagert. Eine Roadmap, die Broadcoms vorhandene Ressourcen in den Bereichen Netzwerk, Sicherheit und AIOps in das VMware-Portfolio integriert, baut also auf einem Übergang auf, der bereits im Gange ist. Ein wesentlicher Unterschied bei dieser Übernahme ist, dass die Produkte von VMware nicht mit denen von Broadcom konkurrieren. "Es gibt nicht viele Überschneidungen in den Portfolios dieser beiden Unternehmen", bestätigt IDC-Analyst Elliot. "Für Broadcom ist alles, was VMware auf den Tisch bringt, ein Zusatznutzen. VMware-Technologien sind in den meisten Unternehmen bereits tief verwurzelt, und die Kundenbeziehungen des Unternehmens sind in der Regel gut angesehen. VMware ist sehr gut positioniert", fasst er zusammen. "Dessen ist sich Broadcom bewusst und möchte darauf aufbauen."

Die einzigartige Position von VMware als Virtualisierungspionier mit einem riesigen, loyalen Kundenstamm unterscheide diesen Deal nach Meinung des Experten von früheren Broadcom-Akquisitionen, die mehr Überschneidungen aufwiesen und in eher standardisierten Marktsektoren stattgefunden hätten. "Man macht so einen Deal, um sein Geschäft zu transformieren, das Wachstum voranzutreiben und eine bessere Beziehung zu den Kunden aufzubauen. Broadcoms Einstellung ist, viel von VMware lernen zu können, das die Zukunft von Broadcom beeinflusst."

Dazu kommt: Sollte Broadcom VMware in seine Einzelteile zerlegen, werden Ingenieure, Support-Spezialisten sowie Vertriebs- und Marketingexperten von Weltrang das Unternehmen verlassen. Betsy Sutter, Chief People Officer von VMware, sieht dieses Szenario nicht: "Die Übernahme könnte sowohl für die Mitarbeiter als auch für die Kunden neue Möglichkeiten eröffnen", sagte die Managerin im Rahmen eines VMware-Meetings. Fakt ist jedoch, dass einige VMware-Topmanager das Unternehmen bereits verlassen haben. Auch die Anwerber der Konkurrenten sollen bereits ihre Kreise gezogen haben - und es gibt viele Gerüchte über eine bevorstehende Abwanderung von Mitarbeitern bei VMware. "Die Übernahme soll bis Ende 2023 abgeschlossen werden, ist also noch lange nicht beschlossene Sache. Interne Unruhen bei VMware könnten zu Problemen führen", analysiert Forrester-Frau Woo.

Broadcom & VMware - mögliche Synergieeffekte

Ein Indiz dafür, dass es Broadcom mit der Investition in VMware ernst meint, ist die Ankündigung des Chipherstellers, die Broadcom Software Group nach Abschluss der Transaktion in VMware umbenennen zu wollen. "Wenn Broadcom und VMware ihre Kräfte bündeln können, wird nicht nur die Integration des Portfolios den Kunden zugutekommen. Die Synergien könnten auch neue Geschäftsmodelle eröffnen", kommentiert Elliot.

Broadcom hat die Vision, sich in ein Software-Powerhouse zu verwandeln, auf das sich Unternehmenskunden verlassen können - egal ob es dabei um Mainframes, Netzwerke, Security, Virtualisierung oder Edge Computing geht. VMware hat bereits Multi-Cloud- und Container-Initiativen unterstützt, die auf diese Vision einzahlen - etwa Project Arctic oder Tanzu Kubernetes. Nun sollen die bestehende Software-Suite von Broadcom, die Lösungen für AIOps, Cybersicherheit und Automatisierung umfasst, eng mit VMware-Lösungen für Cloud-Infrastrukturen und moderne Anwendungen integriert werden.

"Da diese beiden Portfolios so groß und wichtig für die Produktionsumgebungen von Unternehmen sind, schafft die Übernahme eine Gelegenheit, stärkere Kundenbeziehungen aufzubauen. Die Breite des Portfolios ist von großem Wert, vor allem wenn sie diese verschiedenen Produkte zu einem kohärenten Ganzen zusammenfügen können", meint Elliot.

Was VMware-Kunden jetzt tun sollten

Viele Unternehmenskunden sind in Sachen Cloud- und Anwendungsinfrastruktur stark von VMware-Produkten abhängig. Eine Abkopplung wäre in vielen Fällen nicht so einfach möglich. Dennoch kann es nicht schaden, eine Exit-Strategie für den Fall zu entwerfen, dass sich die schlimmsten Befürchtungen in Zusammenhang mit dem Broadcom-VMware-Deal bewahrheiten. Für die meisten VMware-Kunden ist es jedoch wahrscheinlich am klügsten, erst einmal abzuwarten.

IDC-Mann Elliot empfiehlt VMware-Kunden, sich auf die Produktplanung, künftige Roadmaps und eine bessere Kommunikation zu konzentrieren, um eine strategischere Geschäftspartnerschaft aufzubauen. Dieser Ansatz ist wahrscheinlich nur für sehr große Unternehmen geeignet. Nach den vorangegangenen Übernahmen von CA und Symantec hat Broadcom kleinere Kunden im Regen stehen lassen.

Dennoch wird die Broadcom Software Group nicht nur in VMware umbenannt, sondern der Chiphersteller zahlt auch einen Aufpreis für VMware: Als das Geschäft angekündigt wurde, entsprach der Preis von 61 Milliarden Dollar einem Aufschlag von 44 Prozent auf den Schlusskurs der VMware-Stammaktien. Es wäre ein merkwürdiger Schritt seitens Broadcom, diesen Aufschlag für ein Unternehmen zu zahlen, das es in seine Einzelteile zerlegen will.

Welchen Weg Broadcom auch immer für VMware wählt - Bestandskunden sollten sich alle Optionen offenhalten. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Network World.