Wie 5G sein volles Potenzial erreicht

Die Rolle von Edge Computing beim 5G-Ausbau

31.12.2019
Von 
Tobias Regenfuß ist Leitender Geschäftsführer Technology der Ländergruppe Deutschland, Österreich, Schweiz bei Accenture
Damit 5G sein volles Potenzial ausschöpfen kann, ist die Datenverarbeitung am Rande (Edge) des Netzwerks von essentieller Bedeutung. Das müssen Unternehmen und Anwender zum Thema Edge Computing und 5G wissen.

Vorhersagen gehen davon aus, dass in Zukunft die Hälfte des weltweiten Datenvolumens nicht mehr von oder zwischen Menschen erzeugt wird, sondern durch Fahrzeuge, Sensoren und diverse Arten vernetzter Geräte. Und das Datenvolumen steigt weiter dramatisch an. Der TK-Ausrüster Ericsson schätzt, dass sich der weltweite Datenverkehr innerhalb der nächsten fünf Jahre im Vergleich zu heute auf 136 Exabyte pro Monat verfünffacht. Die Erwartung ist, dass ein typischer End-Anwender pro Tag bis zu 1,5 Gigabyte an Daten erzeugt, ein Fahrzeug mit etwa 4 Terabyte bereits ein Mehrfaches davon.

Die Themen 5G und Edge Computing eröffnen im Zusammenspiel neue Möglichkeiten und Einsatzgebiete für die Unternehmen.
Die Themen 5G und Edge Computing eröffnen im Zusammenspiel neue Möglichkeiten und Einsatzgebiete für die Unternehmen.
Foto: Alexander Supertramp - shutterstock.com

Das für Standardisierungen im Mobilfunk zuständige Gremium 3GPP hatte diese Entwicklung schon im Blick, als es das Mobilfunknetz der fünften Generation definierte. Es ging bei 5G im Kern darum, signifikant höhere Datenraten zu bieten (5G soll den 100-fachen Durchsatz von LTE liefern), Latenzzeiten im Millisekunden-Bereich zu ermöglichen und eine deutlich höhere Verfügbarkeit und Verlässlichkeit des Netzes zu bieten.

5G-Anwendungsfälle und die Rolle von Edge Computing

Die für den Aufbau von 5G-Netzen erforderlichen Milliarden-Investitionen stellen eine große Wette der Telcos auf die Zukunft dar. Dies betrifft sowohl Services für den Endkonsumenten als auch die Unterstützung neuer IoT-Geschäftsmodelle (Internet of Things). Vier wesentliche Anwendungsfälle für die 5G-Technologie werden typischerweise unterschieden:

  1. Super-Breitband-Erfahrung für den mobilen Nutzer (mit 8K-Video-Streaming, High Definition Mobile Gaming und Virtual-Reality-Anwendungen);

  2. Kabellose stationäre Breitband-Anschlüsse mit weit über 100 Mbit/s Durchsatz;

  3. IoT-Anbindungen, etwa für Haushaltsgeräte, Gebäudesteuerung oder die intelligenten Städte der Zukunft;

  4. Zeitkritische Steuerungssysteme, etwa beim autonomen Fahren und in der Automation von Industrieanlagen;

Allerdings ist die 5G-Technologie nur eine der wichtigen Voraussetzungen für die Umsetzung solcher Smart-Services und -Produkte. Die signifikante Erhöhung der Zahl von Endgeräten, die Explosion der ausgetauschten Datenmengen und die Notwendigkeit minimaler Latenzzeiten stellen neue Anforderungen an die Transportnetze der Telcos, aber auch an die der Unternehmen, die die 5G-Technologie alleine nicht erfüllen kann.

So soll sich die Anzahl der sogenannten Edge Devices, wie mobile Endgeräte, Fahrzeuge, Haushaltsgeräte, Drohnen, Infrastruktur-Komponenten, mittelfristig dramatisch erhöhen: Schätzungen zufolge werden in fünf Jahren 75 Milliarden dieser Geräte weltweit im Einsatz sein. Somit entstehen einerseits neue Herausforderungen in der Bewältigung der anfallenden Datenmengen, anderseits limitieren die heutigen Ende-zu-Ende-Laufzeiten (Roundtrip Time) von mehr als 50 Millisekunden zwischen dem mobilen Endgerät und der zentralen Cloud (oder zentralen Rechenzentren) die Umsetzung zeitkritischer Anwendungen, wie beispielsweise in der Industrie-Robotik-Steuerung.

Das Konzept des Edge Computing liefert hier einen Lösungsansatz. Die Idee dahinter ist einfach: Man bringt die Cloud mit ihrer Rechenkapazität näher an die Nutzer und erreicht damit Laufzeiten von unter 10 Millisekunden - ohne sie dabei jedoch ihrer Vorteile (Skalierbarkeit, Agilität, Bezahlung per Nutzung, verteilte Ressourcen, Innovationskraft) zu berauben.

Es gibt drei grundsätzliche Optionen, wo Edge Computing angesiedelt werden kann: im Netz des TK-Anbieters, an spezifischen Edge-Lokationen der Cloud-Provider oder bei den Unternehmen selbst (Büro, Fabrik, Außenstelle).
Es gibt drei grundsätzliche Optionen, wo Edge Computing angesiedelt werden kann: im Netz des TK-Anbieters, an spezifischen Edge-Lokationen der Cloud-Provider oder bei den Unternehmen selbst (Büro, Fabrik, Außenstelle).
Foto: Accenture

Datenvorverarbeitung zwischen Endgerät und Cloud

Edge Computing heißt aber auch, dass es sinnvoll sein kann, diese leistungsintensiven Rechenaktivitäten nicht im Endgerät selbst (Fahrzeug, Maschine, Infrastruktur-Komponente, Drohne) zu verorten. Ein Edge Computing Device steht also innerhalb eines Netzes so dicht am Ort der Datenentstehung, dass sich Antwortzeiten von wenigen Millisekunden realisieren lassen.

Es agiert als (Vor-)Verarbeitungs-Hub zwischen dem Endgerät und der Cloud und stellt eine sichere und standardisierte Umgebung für die Ausführung kundenspezifischer Logik zur Verfügung. In diesem Device werden Daten nach einer vordefinierten Business-Logik verarbeitet und/oder verdichtet und der Verbraucher erhält gegebenenfalls direkt Rückmeldung. So lässt sich gewährleisten, dass mobile Endgeräte trotz immer höheren Funktionsumfangs nicht zugleich immer komplexer werden und sich auch Energieverbrauch, Gewicht und nicht zuletzt die Kosten minimieren lassen.

Als relevanter Anwendungsfall von Edge Computing wird oft die Verarbeitung der Fahrzeugdaten im Umfeld des autonomen Fahrens genannt. Autos stehen im Durchschnitt 96 Prozent ihrer Lebenszeit still – hier wird der Lastverteilungsvorteil von Edge Computing sehr deutlich: Man muss teure Komponenten nicht zwingend in jedes Fahrzeug einbauen, sondern verlagert die Logik in ein Edge Computing Device, das eine Vielzahl von Fahrzeugen bedienen kann.

Das Potenzial von Gewichts- und Kostenreduktion durch Edge Computing Devices lässt sich zum Beispiel anhand der komplexen Bildverarbeitung und Videoanalyse von Kameradrohnen verdeutlichen. Und man kann die Anwendungsszenarien quasi unendlich erweitern: von der Implementierung von Blockchain-Logik in Produktions-, Logistik- und Nutzungsketten über die komplexe Berechnung von Augmented/Virtual Reality-Modellen, beispielsweise für Anlagentechniker bei Installations- oder Wartungsarbeiten bis hin zur Echtzeitsteuerung von Produktionsanlagen.

Hierbei ist anzumerken, dass für die Überbrückung der „Letzten Meile“ zum mobilen Endgerät nicht zwingend 5G-Technologie zum Einsatz kommen muss. In industriellen Anlagen sind auch alternative Technologien wie der neue WiFi-6-Standard denkbar, der ähnliche Performance-Charakteristika wie 5G aufweist.

Ausblick und Erfolgsfaktoren

Der 5G-Ausbau wird global stark vorangetrieben und die Zahlen sind eindrucksvoll: Goldman Sachs erwartet bis zum Jahr 2025 Investitionen in Höhe dreistelliger Milliardenbeträge (Dollar), von denen allein 150 Milliarden Dollar auf China entfallen sollen. Diese Investitionen fließen zuerst in den Erwerb von Spektrum-Lizenzen und dann in den Ausbau von Funknetz und Mobilzellen, der Glasfasernetzwerke sowie in ein agiles, software-definiertes Core-Netz. Die TK-Unternehmen werden hierbei ihre Investitionen und die Ablösung ihrer 3G/4G-Komponenten immer wieder neu gegenüber Marktannahme, Wettbewerbssituation und den Mehrerlösen, die sich durch 5G-Services erzielen lassen, anpassen.

Quasi im Windschatten des 5G-Ausbaus wird auch das Edge-Computing stark wachsen. Die Marktforscher von Gartner erwarten, dass künftig 75 Prozent der Daten „on the Edge“ verarbeitet werden. Demzufolge werden dem Edge-Computing-Markt jährliche Wachstumsraten von 50 Prozent vorhergesagt. 2025 erwartet man seitens Grand View Research ein Marktvolumen von knapp 30 Milliarden Dollar. Kein Wunder also, dass Mobilfunkanbieter ihrerseits an entsprechenden Edge-Computing-Produkten und -Services arbeiten.

Der Erfolg der Carrier-Bemühungen, sich als zentraler Anbieter im Edge Computing zu positionieren, wird wesentlich davon abhängen, inwieweit Standards etabliert und akzeptiert werden, die ein einfaches Deployment unternehmensspezifischer Anwendungen auf dem Mobile Edge erlauben. An diesem Punkt müssen offene (Open Source-)Standards zum Einsatz kommen, damit sich Edge-Workloads „Carrier-agnostisch“ und international standardisiert installieren lassen. Ein Beispiel hierfür ist der von AT&T und China Mobile vorangetriebene ONAP-Standard. Und auch die Deutsche Telekom bringt sich mit dem Launch einer entsprechenden Open-Source-Initiative in Stellung.

Auf dem Feld des Edge Computing tummeln sich neben den Telcos aber auch die Cloud-Anbieter mit ihren teilweise konkurrierenden Ansätzen, wie Microsoft Azure IoT Edge, Amazons AWS Outpost und Greengrass oder Googles Coral und Edge TPU. Hier ergibt sich Potenzial für mögliche Kooperationsmodelle der Carrier (Stärke: Präsenz in der Fläche) mit den Public-Cloud-Providern (Stärke: Ökosystem, Kapitalkraft, Innovation und Software-Entwicklung) – entsprechende Optionen hierzu werden an diversen Stellen bereits evaluiert.

Das sollten Unternehmen und Anwender jetzt tun

Die Themen 5G und Edge Computing eröffnen im Zusammenspiel neue Möglichkeiten und Einsatzgebiete für die Unternehmen. 5G als hochleistungsfähige mobile Kommunikationstechnologie und Edge Computing mit seinen von der verwendeten Netzwerktechnologie (beispielsweise 5G, WiFi 6, NB IoT, LoRaWAN) unabhängigen Möglichkeiten für die Entwicklung neuer Smart Services. Es ist also höchste Zeit, sich mit der Thematik, den gegenwärtig zur Verfügung stehenden technischen Konzepten und der Anbieterlandschaft auseinanderzusetzen.

Auch sollten sich Unternehmen mit der Analyse potenzieller Geschäftsmodelle und Leistungsversprechen, die 5G und Edge Computing ermöglichen, beschäftigen. Innerhalb der IT- und Digitalisierungs-Abteilungen ist es wichtig, sich mit der Weiterentwicklung der Enterprise-Architektur um Edge-Komponenten zu befassen und möglichst bald bei der Planung und Durchführung entsprechender Piloten erste Erfahrungen zu sammeln. (mb)