Auf den ersten Blick lässt sich natürlich kaum irgendwo treffender von einer Customer Journey sprechen als bei einer Airline. Und die Lufthansa muss - wie andere - ihren Kunden ein digitales Passagiererlebnis verschaffen. Obwohl am Fliegen selbst, wie Roland Schütz betont, eigentlich fast gar nichts digital ist. Dafür umso mehr bei den Prozessen drum herum: Preise vergleichen, buchen, einchecken, abfertigen - nichts von alldem ist heute ohne PC, ohne Internet und ohne automatisierte Datenverwaltung vorstellbar.
Digitale Loyalität gibt es nicht
"Unsere Horrorvorstellung ist der autonome Kunde, der selbstständig alle Entscheidungen trifft", so der Lufthansa-CIO in seltener Offenheit. Gemeint ist damit ein Fluggast, der sämtliche für Preisermittlung und Buchung verfügbaren Kanäle nutzt - und nicht nur den direkten Weg zur Lufthansa. Wobei die meisten dieser Kanäle für die Kranichlinie Wettbewerber und Vertriebspartner zugleich sind - Google Flights zum Beispiel.
Von digitaler Loyalität - also von der Treue zu einem einzigen Online-Vertriebsweg - sei auch seine Branche mittlerweile sehr weit entfernt. Und diese Untreue der Kunden hat den Nachteil, dass auch ihre Daten untreu werden, und die sind für die Airlines von unschätzbarem Wert. Roland Schütz: "Wir transportieren 130 Millionen Passagiere pro Jahr, die zum Beispiel 700 Millionen Mahlzeiten zu sich nehmen. Und alles, was wir tun, produziert natürlich Daten, die wir auswerten wollen, um relevant und erfolgreich zu bleiben."
Geld verdienen fällt in der Branche schwer
Wobei das mit dem Erfolg in der Branche so eine Sache sei. Warren Buffet habe gesagt, in der Luftfahrtbranche sei bisher unter dem Strich nichts verdient, sondern nur Geld verbrannt worden. Man hätte die Brüder Wright besser rechtzeitig erschießen sollen, so zitiert Schütz Buffet weiter, dann wäre den Investoren vieles erspart geblieben …
Und weil es oft so schwierig war, mit dem Fliegen Geld zu verdienen, hätten alle Airlines in der Vergangenheit viel optimiert - und viel outgesourced. Das galt auch für die Lufthansa.
"Dadurch verliert man nicht nur Skills, sondern auch die Datenhoheit. Beides mussten wir uns erst wieder aneignen", berichtet der Lufthansa-CIO, "auch, um für die richtigen Bewerber interessant zu sein."
Fliegen ist zu komplex für eine einzige App
Zwischenzeitlich arbeitete die Airline mit mehr als 2.000 Dienstleistern zusammen, eine Landschaft, die man gerade zu verkleinern versucht, was aber ziemlich aufwändig oder, wie Roland Schütz es passend zur Branche ausdrückt, "noch eine längere Reise ist."
Zumal der Prozess, der heute hinter jeder Flugreise steckt, so komplex ist, dass er sich nicht mithilfe einer einzigen Killer-App abwickeln lässt - und auch nicht ausschließlich mit der Unterstützung von zwei oder drei Partnern. Denn auch die digitale Journey ist eine weite Reise.
Vom Entschluss, zu reisen bis zum Ankommen am Zielort braucht es eine Vielzahl von Entscheidungen - und vielfältige Unterstützung dabei. Vor allem wenn Dinge nicht so laufen wie erwartet. Für die Unterstützung braucht Lufthansa die Fähigkeit, mit dem Kunden auf vielfältige Weise zu interagieren. Zu diesem Zweck laufen aktuell etwa 200 Projekte, die das Unternehmen intelligenter, digitaler machen sollen.
Digitalisierung kann sogar Enttäuschungen beschleunigen
CIO Roland Schütz: "Beispielsweise sollen Sie nicht erst erfahren, dass ihr Gepäck verschwunden ist, nachdem Sie schon eine halbe Stunde am Band gestanden haben. Und wir möchten es auch schon vorab wissen, dass Sie zu spät kommen werden zu ihrem Flug. Dann laden wir Ihr Gepäck nämlich gar nicht erst ein. Sollten sie dann doch noch im letzten Moment auftauchen und mitfliegen, dann erfahren Sie am Ziel wenigstens sofort, dass Sie Ihr Gepäck nicht haben. Das heißt Digitalisierung beschleunigt in diesem Fall zumindest Ihre Enttäuschung." (An dieser Stelle hatte Schütz viele Lacher auf seiner Seite.)
Außerdem habe die Lufthansa natürlich mit noch weniger Vorhersehbarem umzugehen, mit Unwettern etwa oder mit Streiks. Aber auch dort hilft die Digitalisierung, genauer gesagt künstliche Intelligenz. Sie macht es möglich, dass sechs Mitarbeiter ausreichen, um hunderttausend Passagiere innerhalb von zwei Stunden umzubuchen.
Am Ende seines Statements beschrieb der Lufthansa-CIO die wichtigsten Herausforderungen und Learnings auf dem Weg zu einer durchgängig digitalen Customer Journey.
Erstens: "Wir müssen überall präsent sein, brauchen Schnittstellen in sämtliche vorhandene Systeme."
Zweitens: "Die IT alleine kann kein Change Management auslösen, weil es dabei nie ausschließlich um technische Lösungen geht. Sondern Innovationen müssen auch aus den Fachbereichen kommen, deshalb muss die IT auch deren Sprache sprechen."
Drittens: "Man braucht immer auch eigene Ressourcen, vor allem in komplexen Change-Prozessen." Genau deshalb hat die Lufthansa in den zurückliegenden zwei Jahren an verschiedenen Standorten 1.200 zusätzliche Leute eingestellt.