Im Interview: Professorin Anette Weisbecker

"Die Digitalisierung krempelt unsere Gesellschaft um"

02.06.2014
Von 
Peter Ilg ist freier Journalist in Aalen.
Die digitale Revolution und ihren Folgen für unsere Gesellschaft ist das Kernthema des Wissenschaftsjahres 2014. Wie weit ist der Prozess in Deutschland vorangeschritten, wo stehen wir im internationalen Vergleich? Wie sieht die Zukunft unserer Kommunikation, Industrie und Arbeitswelt aus? Professorin Anette Weisbecker, stellvertretende Institutsleiterin am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, weiß Antworten.

COMPUTERWOCHE: Wo steht Deutschland im Wettbewerb mit anderen Ländern, was den Wandel hin zur digitalen Gesellschaft anbelangt?

Weisbecker: Wenn man den IT-Markt in Deutschland als Basis nimmt, steht Deutschland ganz gut da. Laut Studien des IT-Branchenverbands Bitkom und dem Monitoring-Report des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie liegt Deutschland nach den USA, Japan und China auf dem vierten Platz nach Umsätzen mit IT-Produkten und –Dienstleistungen. Es steht also ganz gut um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im internationalen Vergleich.

Professorin Anette Weisbecker, Fraunhofer IAO: "Wenn Deutschland im IT-Bereich wettbewerbsfähig bleiben will, braucht es qualifizierte, gut ausgebildete Mitarbeiter."
Professorin Anette Weisbecker, Fraunhofer IAO: "Wenn Deutschland im IT-Bereich wettbewerbsfähig bleiben will, braucht es qualifizierte, gut ausgebildete Mitarbeiter."
Foto: Fraunhofer

Wie gut beherrschen wir neue Technologien, um diese nutzbringend für uns einzusetzen?

Weisbecker: Da muss man unterscheiden zwischen Unternehmen und Privatanwendern. In den Unternehmen klappt die Umstellung auf neue Technologien wie Cloud Computing, Big Data und Industrie 4.0. Bei den Privatnutzern sieht es nicht so rosig aus, wenn man Deutschland im weltweiten Vergleich betrachtet. Die Deutschen sind mit neuen IT-Technologien zurückhaltender als die Bürger anderer Länder. E-Government ist noch ausbaufähig. Bei der elektronischen Verwaltung mangelt es noch an der Akzeptanz und Durchgängigkeit der Dienste, die angeboten werden.

Was braucht Deutschland, dass es hinsichtlich IT wettbewerbsfähig bleibt und eventuell sogar stärker wird?

Weisbecker: Die Unternehmen brauchen qualifizierte Mitarbeiter, das setzt eine gute Ausbildung voraus. Qualifikation bezieht sich aber nicht nur auf die Erstausbildung. Lebenslanges Lernen sind keine Schlagwörter, sondern Notwendigkeiten.

Haben wir gute Hochschulen, an denen modern unterrichtet wird?

Weisbecker: Auf jeden Fall. Wir haben hier sehr gute Hochschulen, die eine gute Ausbildung vorantreiben. Auch dazu gibt es Befragungen. Die kommen zu dem Ergebnis, dass Deutschland weltweit auf Platz 6 liegt und damit im guten oberen Mittelfeld. An der Spitze liegen Finnland, Südkorea und die Niederlande. Die Qualität der Ausbildung halte ich in Deutschland für sehr gut und auch die zahlreichen MINT-Initiativen, die es über Jahre hinweg gibt, zeigen Wirkung. Die Zahl der Ausbildung junger Menschen in den MINT-Berufen, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, steigt an.

Warum sind solche Initiativen überhaupt notwendig, woher kommt die ablehnende Haltung gegenüber diesen Fächern?

Weisbecker: Der Knackpunkt ist der, dass man sehr früh ansetzen muss, um das Interesse zu wecken. Das muss in der Schule beginnen – und wird auch schon mit Initiativen wie dem Girls‘ und Boys‘ Day getan. In der Schule kann beispielsweise auch die Experimentierfreudigkeit geweckt und damit gezeigt werden, wie interessant Technik sein kann. Die Schwierigkeit ist, dass das Interesse an technischen Fächern grundsätzlich gering ist.

Deutschland ist Vorreiter bei Industrie 4.0

In welchen Punkten ist Deutschland im internationalen Vergleich stark?

Weisbecker: Auf jeden Fall stark ist Deutschland im Bereich IT als Querschnitttechnologie und deren Nutzung in anderen Branchen, aktuellstes Beispiel dafür ist Industrie 4.0. Bei diesem Thema ist Deutschland in einer internationalen Vorreiterrolle, IT-Dienste und Dienstleistungen anzubieten. Und in Lösungen zum wirksamen Datenschutz und Datensicherheit sind wir stark.

Und wo muss eventuell nachgebessert werden? Sie sagten bereits, dass Deutschlands Privatnutzer im internationalen Vergleich nachhinken.

Weisbecker: Die Jungen sind gut verankert, sie nutzen das Internet auf vielfältige Art und Weise. Man sollte mehr Technikfreundlichkeit hinbekommen, um mehr Akzeptanz für neue Technologien in der gesamten Bevölkerung zu finden.

Wie erreicht man Technikfreundlichkeit, wie schafft man Akzeptanz für IT bei Älteren?

Weisbecker: Im Vordergrund steht die Benutzbarkeit. Die Produkte müssen einfach, verständlich und leicht bedienbar sein. Um das zu erreichen gibt es viele Initiativen, in denen es um Benutzerfreundlichkeit der Produkte geht. Der zweite Teil ist der Aufbau von Vertrauen, beziehungsweise dem Abbau von Ängsten, die Menschen im Hinblick auf Datenschutz und Datensicherheit haben. Da wirken Fälle wie Snowden und Abhören durch die USA sicherlich kontraproduktiv. Solche Skandale nähren die Ängste was Datenschutz und Datensicherheit betrifft.

Dabei ist Deutschland doch gerade auf diesem Gebiet stark, wie Sie eben sagten.

Weisbecker: Die Technologien haben wir und die Unternehmen können diese Technologien und Dienstleistungen im professionellen Bereich vermarkten. Rechenzentren, die in Deutschland stehen und die Daten nach deutschem Recht verarbeiten und speichern, sind sehr sicher. Aber Privatanwender müssen für Datenschutz und Datensicherheit erst einmal sensibilisiert werden: welche Gefahren gibt es und wie können die umgangen werden. Privatpersonen müssen wissen und verstehen, welche technologischen Möglichkeiten sie nutzen können, um Datenschutz und Datensicherheit für sich selbst zu gewährleisten. Sensibilisierung und Know-how-Aufbau sind vonnöten.

Die bekannten Unternehmen aus der internationalen IT-Branche sind allesamt amerikanische Firmen: Microsoft, Google, Facebook. Deutschland hat mit SAP nur ein bekanntes IT-Unternehmen. Wenn wir doch im Markt weit vorne liegen, womit werden dann Umsätze generiert?

Weisbecker: Die Amerikaner sind führend mit Basistechnologien. Deutschland hat seine Stärken in der anwendungsorientierten Software. SAP zum Beispiel für betriebswirtschaftliche Software. Und es gibt viele mittelständische Softwareunternehmen bei uns, die für bestimmte Branchen Applikationen entwickeln. Das ist eine große Stärke Deutschlands.

Wie weit vorangeschritten ist Deutschland beim Ausbau von Infrastruktur und Bandbreite?

Weisbecker: Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass zum Ende diesen Jahres 75 Prozent aller Haushalte mit Breitbandanschlüssen versorgt sind. Ich denke, dass wir dabei auf einem ganz guten Weg sind.

Das Wissenschaftsjahr 2014 steht unter dem Motto ‚Die digitale Gesellschaft‘. Meinen Sie, dass diese Initiative Deutschland weiter voran bringt? Soll sie das oder wofür ist sie gedacht?

Weisbecker: Das Wissenschaftsjahr ist dafür gedacht, weiter zu sensibilisieren, dass die Digitalisierung unser Leben komplett verändert und zwar im privaten Bereich als auch in der Arbeitswelt. Die Digitalisierung krempelt unsere Gesellschaft um. E-Health und Mobilität zum Beispiel werden im Wissenschaftsjahr bekannt gemacht. Und ja, ich denke schon, dass diese Initiative hilft, unsere Marktposition zu festigen.

Zur Person

Professorin Anette Weisbecker ist stellvertretende Leiterin am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und dem Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement an der Universität Stuttgart. Darüber hinaus leitet sie am Fraunhofer IAO das Geschäftsfeld ‚Informations- und Kommunikationstechnik‘, das Unternehmen bei der Konzeption und Erstellung komplexer software-technischer Produkte und Dienstleistungen unterstützt. Weisbecker hat Informatik studiert.