"Wir müssen automatisieren, weil wir schlichtweg kaum noch neue Mitarbeiter finden, zugleich spielt die Digitalisierung auch für unsere Mandanten eine immer wichtigere Rolle", berichtet Michael Gärtner, Steuerberater in der Kanzlei Schmidt & Partner im nordrhein-westfälischen Hüllhorst. Gärtner gehörte zu den frühen Usern der Software "Addison OneClick" von Wolters Kluwer. Die Online-Collaboration Plattform soll bis September weiter ausgebaut werden. "Die Aufgaben werden sich verschieben, klassische Buchhaltung und der Lohnbereich deutlich abnehmen", ist sich Gärtner sicher, dessen Kanzlei 23 Mitarbeiter beschäftigt. Doch auch wenn automatische Belegerfassungs-Apps Vorschläge für die Verbuchung machen - deren Korrektheit müsse die Kanzlei beurteilen. Vor allem seien automatisierte Prozesse aber eine Chance für mehr qualifizierte Beratungstätigkeit.
Noch ist das Tagesgeschäft der Kanzleien von analogen Prozessen geprägt, dazu gehören der sprichwörtliche Schuhkarton mit Quittungen und die Organisation per Aktenordner. Doch der Markt für Apps, die bei der Vereinfachung der Buchhaltung helfen, wächst derzeit rasant. Die Anbieter versprechen, den Steuerberater zumindest teilweise überflüssig zu machen. Viele Unternehmen wollen auf die smarten Helferlein nicht mehr verzichten, zum Beispiel um ihre Belege per Smartphone-Foto zu erfassen. "Die Mandanten lassen sich nicht mehr aufoktroyieren, welche Lösungen sie benutzen - gleichzeitig sind deren Daten essentiell für den Steuerberater", konstatiert Stefan Wahle, Managing Director Tax & Accounting bei Wolters Kluwer.
Belege digitalisieren per App
Auch selbst gescannte Belege sind ein Anachronismus, denn die Daten zum Beispiel bei Paypal und in Rechnungsportalen liegen ja bereits digital vor. Selbst das Exportieren von Daten läuft nicht immer flüssig, bedeutet Aufwand für Mandanten. In die neue Online-Plattform sind Apps von Premiumpartnern wie sevDesk standardmäßig eingebunden. Die App sorgt für die einfache Belegdigitalisierung und -verwaltung. Zudem sind beispielsweise Getmyinvoices.com für die Bereitstellung von Rechnungen aus über 2.500 Portalen und clockodo zur cleveren Zeiterfassung für KMU integriert worden.
Weil zudem viele (Stamm-)Daten aus Branchenanwendungen oder zur Erstellung von Rechnungen in unterschiedlichsten Formaten kommen, wird es schnell unübersichtlich - eine echte Herausforderung für die Berater. Online-Apps für das tägliche Business von KMUs können Steuerberater via API mit geringem Aufwand in ihr Leistungsportfolio einbinden, verspricht der Softwareanbieter deshalb. Der Steuerberater müsse in Zukunft auch Community-Manager werden und die Rolle des zentralen Informationsbrokers einnehmen, wenn er kein Geschäft verlieren wolle, glaubt man bei Wolters Kluwer.
Mandantendialog über das Portal
Kern der neuen Lösung ist ein zentrales Belegarchiv, in dem alles zusammenläuft, jederzeit bis auf Belegebene online recherchierbar für Berater und Mandanten. In der Diskussion über Disruption habe sich herumgesprochen, dass der Portalanbieter den direkten Kontakt zum Kunden behält, meint Wahle. Deshalb wolle man das Feld den Steuerberatern überlassen: Sämtliche Interaktion zwischen der Kanzlei und den Mandanten kann in Zukunft über ein Portal laufen, das nicht nur Logo, Design und Links, sondern auch die News der jeweiligen Kanzlei erhält. Mit der offenen Systemplattform kann sich der Steuerberater als zeitgemäßer Lösungsanbieter für Mandanten präsentieren.
6.000 Steuerkanzleien nutzen hierzulande Addison-Software von Wolters Kluwer. Damit ist das Softwarehaus der wichtigste Player neben dem Platzhirsch Datev. "Die Zeit der monolithischen Lösungen ist vorbei. Wir glauben an offene Welten mit bidirektionalen Schnittstellen", sagt Wahle. Schon 2015 hatte Wolters Kluwer Addison OneClick auf den Markt gebracht, in der die Kommunikation mit den Mandanten in der Cloud stattfindet. Sicherheit hat dabei Vorrang, Daten werden verschlüsselt und ausschließlich in deutschen Rechenzentren verarbeitet.