Open Source

Deutschland nutzt seine Chancen nicht

17.12.2021
Von Redaktion Computerwoche
Eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass deutsche Unternehmen und Behörden in der Open-Source-Nutzung hinterherhinken. Lesen Sie, was jetzt passieren muss.
Ursula von der Leyen ist die Präsidentin der EU-Kommission und damit verantwortlich für eine Studie, die Deutschland großen Nachholbedarf in Sachen Open Source attestiert.
Ursula von der Leyen ist die Präsidentin der EU-Kommission und damit verantwortlich für eine Studie, die Deutschland großen Nachholbedarf in Sachen Open Source attestiert.
Foto: EU Kommission

Im Auftrag der EU-Kommission haben das Fraunhofer Institut ISI und das Open Forum Europe den Einfluss von Open Source auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, das Wirtschaftswachstum, die Startup-Szene und die technologische Unabhängigkeit in Europa untersucht. Die Studienergebnisse zeigen klar: Es lohnt sich, Open Source auf allen Ebenen zu fördern - von der Bildung über die Forschung und den öffentlichen Sektor bis hin zur Wirtschaftspolitik.

Für alle, denen 400 Seiten Lektüre zu viel sind, hat Manuela Urban, COO des Projekts "Sovereign Cloud Stack" (SCS) der OSB Alliance, die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst. Dabei zeigt sich vor allem, dass Deutschland besonders großen Nachholbedarf hat. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern gibt es hierzulande offenkundig keine konsistente Strategie von Bund, Ländern und Gemeinden.

Open-Source-Potenzial wird nicht ausgeschöpft

Die Studie stellt fest, dass es in Deutschland an einer übergreifenden Rahmensetzung für die öffentliche Beschaffung fehle und auch keine generellen Maßgaben für das Entwickeln und Nutzen von Open Source im öffentlichen Sektor vorhanden seien. Als wirtschaftspolitisches Instrument zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Innovationskraft hiesiger Unternehmen werde das Potenzial freier Software und Hardware nicht ausgeschöpft. Zwar seien einige Einzelmaßnahmen gestartet worden, doch es fehle hier die koordinierende Hand, weshalb kaum positive Effekte erzielt würden.

Die Studie moniert ferner, dass Open Source in der öffentlichen Beschaffung eine zu geringe Rolle spiele. Der Nutzung quelloffener Software werde sogar erschwert, weil bereitgestellte Vertragsmuster wie die EVB-IT-Vorlagen oder die vom BSI durchgesetzte Erfordernis von Support-Verträgen beim Kauf von Software die Besonderheiten von Open Source außer Acht ließen.

In der Wirtschaftspolitik gibt es laut Analyse zwar etliche Förderprogrammen mit dem Ziel der technologiegetriebenen Entwicklung von kleinen und mittelständischen Betrieben. In den beiden bedeutendsten Programmen - "Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand" (ZIM) vom Bundeswirtschaftsministerium und KMU-innovativ vom Bundesforschungsministerium - sei das Potenzial von Open Source jedoch überhaupt nicht repräsentiert. Es werde nicht erkannt, dass freie Software als Instrument für die kollaborative Entwicklung modularer Lösungen perfekt in die Struktur der deutschen Unternehmenslandschaft passe.

Vergaberechtliche Bestimmungen schränken Kommunen ein

Eine übergreifende Strategie sei auch im kommunalen Bereich überfällig. Zwar implementierten etliche Städte und Gemeinden Open-Source-Lösungen, und auch der kommunale IT-Dienstleister Vitako bemühe sich um gemeinsame, von allen verwendbare Lösungen. Doch die Kommunen seien in ihren Beschaffungsentscheidungen durch die gegenwärtigen vergaberechtlichen Bestimmungen eingeschränkt.

Generell kommt die Studie zu der Erkenntnis, dass Open Source die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen deutlich verbessern könnte und legt zum Beweis zahlreiche Berechnungen vor. Der große Pool an allgemein verfügbarer Open-Source-Software weise aufgrund des Mehr-Augen-Prinzips eine hohe Qualität auf und erleichtere Start-ups und Kleinbetrieben den Markteintritt beziehungsweise die digitale Transformation. Für die mittelständisch geprägte Wirtschaft in Deutschland sei quelloffene Software besonders interessant, sie könne der Treibstoff für einen innovationsgeprägten Strukturwandel hin zu einer digitalisierten Wirtschaft sein.

China und Südkorea haben Anreize geschaffen

Die Studie stellt dazu fest, dass Länder wie China und Südkorea ihre Stärken in der Softwareentwicklung auch der industriepolitischen Förderung von Open Source verdankten. Die Regierungen hätten wirtschaftliche Anreize geschaffen, um die Nutzung voranzutreiben. Auch könne die Mitwirkung an entsprechenden Projekten die negativen Folgen des Fachkra¨ftemangels mildern. Unternehmen und Organisationen könnten die Fähigkeiten ihres Personals besser up-to-date halten und Mitarbeitende durch ein vielseitiges Tätigkeitsspektrum binden.

Wie aus der Analyse weiter hervorgeht, würde im öffentlichen Sektor die Beschaffung von Open-Source- anstelle von proprietärer Software die IT-Gesamtkosten signifikant senken, zumal die Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern reduziert und die digitale Souveränität der Verwaltung gestärkt würde. Gelinge es, OSS als Kernkomponente in der Kultur der Behörden zu verankern, seien auch große Fortschritte im digitalen Wandel zu erwarten.

Die Studie gibt unter anderem folgende konkrete Empfehlungen an die Politik:

  • OSS stärker im öffentlichen Beschaffungswesen berücksichtigen und dabei die Bedürfnisse von Open-Source-basierten Kleinbetrieben berücksichtigen;

  • Integrieren von Open Source und Community Building in die Forschungs-, Wirtschafts- und Innovationspolitik;

  • Software- und Hardware-Stiftungen rund um Open Source finanziell fördern;

  • Einbinden von Open-Source-Stiftungen in Forschungs- und Innovationsprogramme;

  • bei künftigen Reformen der Urheberrechts- und Patentgesetzgebung Open Source besser berücksichtigen;

  • Open Source in Forschung, Bildung und Qualifizierung fördern;

  • mehr Fördermittel für Forschung und Entwicklung im Bereich Open-Source-Software und -Hardware für bestehende Programme wie zum Beispiel Horizon Europe;

  • Open Source sollte ähnlich wie Standardisierungsanstrengungen wesentlicher Bestandteil von Wissens- und Technologietransfer werden;

  • wirksame Anreize für das Veröffentlichen von Code schaffen, der in öffentlich finanzierten Forschungs- und Entwicklungs-Projekten entstanden ist. Dafür gibt es öffentlich zugängliche EU-basierte Open-Source-Repositorien;

  • Unterstützen der Entwicklung und Pflege von Plattformen und Repositorien sowie von in der EU angesiedelten Netzwerken;

  • Hochschulen sollten Studierenden unternehmerische Fähigkeiten vermitteln, die Open-Source-basierte Neugründungen erleichtern;

  • Open-Source-Beiträge von Einzelpersonen und Unternehmen, die einen Nutzen für die Allgemeinheit schaffen, sollten steuerlich als gemeinnützig anerkannt werden;

  • Soweit rechtliche Rahmenbedingungen die Nutzung und Entwicklung von Open-Source-Software und -Hardware behindern (zum Beispiel haftungsrechtliche Fragen für individuelle Entwickler), sollten diese beseitigt werden;

  • das Potenzial von Open Source, wesentliche Fortschritte bei der Nachhaltigkeit von Informationstechnik zu erzielen, sollte durch entsprechende Förder- und Anreizsysteme systematisch erschlossen werden. (hv)