Selten war so viel Bewegung im deutschen IT-Markt. Eine Übernahme folgt auf die andere. Host Europe hatsich die Telefonica Online Services einverleibt,Cancom hat bei Pironet zugeschlagen. Im Windschatten dieser Übernahmen steigen auch die Bewertungen der anderen IT-Provider immer weiter. Denn eine Frage elektrisiert die Finanzmärkte: Who´s next? Wer vor einem Jahr sein Geld in Aktien großer deutscher Player wie Bechtle, Cancom und Co. investiert hat, der kann sich über Zuwächse freuen, die es zuletzt während der Internet-Blase um die Jahrtausendwende gegeben hat. Allerdings sind die Gründe diesmal glücklicherweise andere. Die Vorstände der einzelnen Unternehmen haben zumeist offensichtlich einen guten Job gemacht. Trotzdem muss man sich fragen, inwieweit die Bewertungen gerechtfertigt sind, und ob nicht den Einen oder Anderen eine getätigte Übernahme mittels Wertberichtigung wieder einholen wird.
Enorme Börsenbewertungen
Die Bewertungen der börsennotierten Player sind mittlerweile so hoch, dass es in den meisten Fällen kaum noch lohnt zuzugreifen. Überall dort, wo der Finanzmarkt das Zauberwort Cloud Computing hört sind die Marktkapitalisierungen sagen wir mal "ambitioniert". Beispiel Bechtle: Dort liegt das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis auf dem Niveau von SAP, obwohl Bechtle in starkem Maße vom Handelsgeschäft abhängig ist.
Die Umsätze mit Cloud-Computing-Lösungen und -Services bewegen sich bei den meisten Anbietern ohnehin noch im homöopathischen Bereich. Die Märkte riskieren demnach eine große Wette, denn zum einen ist noch nicht klar, ob diese Unternehmen überproportional vom Cloud-Boom profitieren können. Zum anderen sollte man genau hinschauen, ob sich hinter dem Label Cloud Computing auch das verbirgt, was man vermutet.
Cloud-Umsatz: Es gibt viel Luft nach oben
Den Aktienkursen hat dies indes keinen Abbruch getan. Bechtle hat mittlerweile die eine Milliarde-Euro- Grenze bei der Bewertung überschritten. Da scheint nicht mehr viel Luft nach oben zu sein. Vor dem Hintergrund der noch dürftigen Cloud-Umsätze umso mehr. Crisp Research geht davon aus, dass Unternehmen wie Allgeier beim Cloud Computing gerade erst die ein-Prozent-Marke überschritten haben. Andere Player wie GFT oder Cenit nehmen das Wort Cloud erst lieber gar nicht in den Mund. Wer solche Unternehmen also übernehmen wollte, der sollte andere gute Gründe haben, als Cloud Computing Umsätze zu kaufen.
Abseits des Börsentrubels existieren glücklicherweise Dutzende kleiner und mittelgroßer Unternehmen, die ein attraktives Portfolio in Sachen Cloud Computing zu bieten haben. Hier lohnt in vielen Fällen ein genauer Blick in die Bücher und auf die Eignerstrukturen. Diese wissen zwar auch um ihren derzeitigen Wert, allerdings lassen sich abseits der Öffentlichkeit oftmals Verhandlungen führen, die nicht von den überzogenen Erwartungen der Finanzmärkte bestimmt werden. Für Unternehmen, die also anorganisch wachsen möchten, beziehungsweise sich strategisch in Richtung Cloud Computing verstärken wollen oder müssen, lohnt daher ein Blick in die zweite oder gar dritte Reihe.
Transformation durch Akquisitionen
Und für viele dieser Unternehmen wird der Weg nicht an einer Übernahme vorbeiführen, sind doch viele Anbieter nicht in der Lage aus eigener Kraft den nötigen Wandel schnell genug zu vollziehen. Und dieser kommt in großen Schritten. Konnte sich das ein oder andere Unternehmen in den letzten zwei Jahren noch hinter vollen Auftragsbüchern durch "Nach-Krisen-Sonderkonjunktureffekte" verstecken, so hat sich die Lage verändert. Die Kunden brauchen jetzt und heute Hilfe bei der Digitalen Transformation. Dieser Weg wird in vielen Fällen über das Cloud Computing in einer seiner Spielarten führen. Also müssen die meisten jetzt schnell handeln. Doch eine eigene Transformation zu gestalten ist alles andere als einfach. Das haben die großen IT-Majors wie Microsoft und HP bereits demonstriert. Insbesondere das Thema Skills steht vielen mittelständischen Anbietern dabei im Wege. Woher auf die Schnelle in einem solchen Marktumfeld gute Leute bekommen? Aber auch die notwendigen internen Veränderungen und Anforderungen sind für viele ein unüberwindliches Hindernis. Da ist in vielen Fällen eine Übernahme vielleicht der einfachste Weg, um die ersten Schritte zu tun. Oder aber auch die letzte Rettung. (jha)