Jahresrückblick 2017

Der Star des Jahres: Künstliche Intelligenz

07.12.2017
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

Streit - zwischen Optimisten und Pessimisten

Über die Folgen und Auswirkungen, die KI auf die weitere menschliche und gesellschaftliche Entwicklung nehmen könnten, streiten sich Prominente aus IT, Technik und Wissenschaft schon lange. Richtig in die Haare gekriegt haben sich im Sommer Facebook-Chef Mark Zuckerberg und Tesla-Gründer Elon Musk. Zuckerberg hatte in einem Video-Post im weltgrößten Social Network Musk und andere KI-Kritiker als "ziemlich unverantwortlich" kritisiert und sich betont optimistisch zur Zukunft von KI geäußert. Nein-Sager und Beschwörer von Endzeit-Szenarien könne er nicht verstehen. Der Facebook-CEO verwies beispielsweise auf die Möglichkeiten, mit Hilfe von KI Autounfälle zu vermeiden und so Menschenleben zu retten.

Nein-Sager und Beschwörer von Endzeit-Szenarien könne er nicht verstehen, sagte Facebook-Gründer Mark Zuckerberg.
Nein-Sager und Beschwörer von Endzeit-Szenarien könne er nicht verstehen, sagte Facebook-Gründer Mark Zuckerberg.
Foto: IDGNS

Musk konterte Zuckerbergs Kritik postwendend und twitterte, er habe mit dem Facebook-Gründer über das Thema gesprochen. "Sein Verständnis dieser Sache ist begrenzt", lautete Musks Fazit. Der Tesla-Chef reklamiert für sich, als CEO verschiedener Hightech-Unternehmen tiefe Einblicke in aktuelle KI-Entwicklungen zu haben und daher das daraus resultierende Risiko fundiert einschätzen zu können. Er bezeichnet KI als "fundamentale Bedrohung der Existenz menschlicher Zivilisation".

Der von Zuckerberg gescholtene Tesla-Chef Elon Musk glaubt indes nicht, dass Zuckerberg das notwendige Verständnis mitbringt, um die technischen Zusammenhänge richtig beurteilen zu können.
Der von Zuckerberg gescholtene Tesla-Chef Elon Musk glaubt indes nicht, dass Zuckerberg das notwendige Verständnis mitbringt, um die technischen Zusammenhänge richtig beurteilen zu können.
Foto: Helga Esteb - shutterstock.com

Um dem entgegenzuwirken hat sich Musk an dem Unternehmen Neuralink beteiligt. Die Wissenschaftler arbeiten dort an Elektroden, um das menschliche Gehirn direkt mit Computern zu vernetzen. Diese Techniken könnten Menschen dabei helfen, mit KI mitzuhalten, glaubt Musk und spricht von einem direkten Interface zur Hirnrinde. Noch ist allerdings unklar, wie viel von diesen Ideen Fantasie beziehungsweise reales Projekt ist.

Musk steht mit seinen Warnungen nicht allein. Auch der bekannte Physiker Stephen Hawking, der Anfang 2017 seinen 75. Geburtstag feierte, wird nicht müde, vor den Gefahren Künstlicher Intelligenz zu warnen. "KI wird entweder das Beste sein, was der Menschheit jemals widerfahren ist - oder das Schlimmste", sagte der Wissenschaftler auf dem Web Summit Anfang November 2017 in Lissabon. KI habe das Potenzial, ganze Volkswirtschaften auf den Kopf zu stellen. Oder die Technik könne für autonome Waffensysteme und zur Unterdrückung missbraucht werden, mahnte Hawking. "Wir können nicht vorhersehen, was passiert, wenn wir den menschlichen Geist mit der KI verbinden."

Angst - was wird aus meinem Job

Angesichts der neuen Möglichkeiten durch KI wuchs vielerorts die Verunsicherung, wie die Folgen für die Arbeitswelt von Morgen aussehen könnten. Für Aufsehen sorgte eine Meldung Anfang des Jahres: Das japanische Versicherungsunternehmen Fukoku Mutual Life Insurance gab bekannt, 34 Mitarbeiter in der Abteilung Schadensbemessung durch ein KI-System ersetzen zu wollen. Deren Arbeit soll künftig IBMs Watson-Technik übernehmen. Watson werde die verbliebenen Fukoku-Mitarbeiter ab Ende Januar dabei unterstützen, die Auszahlungen an Versicherungsnehmer richtig zu kalkulieren, lautete der Plan. Dafür analysiert die künstliche Intelligenz Unterlagen von Hospitälern sowie Ärzten und prüft, ob deren Angaben schlüssig und richtig sind. Allerdings, so betonten die Verantwortlichen des japanischen Versicherers, würde die Auszahlung der Versicherungsprämie schlussendlich nach wie vor von einem Menschen und nicht von einer Maschine veranlasst. Watson helfe lediglich, Daten und Informationen zu prüfen.

Davon verspricht sich Fukoku eine um 30 Prozent bessere Produktivität sowie handfeste finanzielle Vorteile. Das IBM-System soll 2,36 Millionen Dollar sowie weitere 177.000 Dollar pro Jahr an Wartung kosten. Angesichts der jährlich eingesparten Personalkosten in Höhe von 1,65 Millionen Dollar habe sich die Investition innerhalb von rund zwei Jahren amortisiert, rechneten die Japaner vor. Fukoku ist nicht das einzige Versicherungsunternehmen in Japan, das sich bereits aktiv mit KI-Systemen beschäftigt. Etliche andere Versicherer wie die Nippon Life Insurance setzen ebenfalls vergleichbare Lösungen ein, um beispielsweise ihre Versicherungsverträge zu prüfen.

Dieses Szenario dürfte kein Einzelfall bleiben. Kai-Fu Lee, der frühere Chef von Google Research in China und heute einer der bekanntesten Technologie-Investoren des Landes, erwartet, dass KI bald viele Millionen Büro-Beschäftigte in seinem Land ersetzen wird. "Diese Ablösung passiert jetzt, und sie bringt eine echte, vollständige Dezimierung. Meiner Meinung nach werden Büro-Arbeiter zuerst dran sein, und erst später die Produktionsarbeiter", sagte Lee Anfang November auf einer Konferenz des Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Wie sich KI auf die künftige Arbeitswelt auswirken wird, darüber gab es auch im ablaufenden Jahr wieder eine ganze Reihe von Studien - mit unterschiedlichen Ergebnissen. In einer Umfrage der IT-Consultingfirma Capgemini unter 993 Firmen antworteten 83 Prozent, der KI-Einsatz habe sogar neue Aufgaben geschaffen. Alle neuen Jobs erfordern jedoch hoch qualifizierte Arbeitskräfte. Immerhin erklärten mehr als sechs von zehn befragten Unternehmen, dass im Zuge der KI-Nutzung gar keine Arbeitskräfte weggefallen seien.

Zu einem ganz anderen Ergebnis kamen gerade erst kürzlich die Experten von McKinsey. Ihrer Einschätzung nach wird die durch KI vorangetriebene Automatisierung und Maschinisierung von Arbeit gerade die Arbeitswelt in Deutschland drastisch umkrempeln. Bis 2030 könnte ein Viertel aller Arbeitsstunden, die dann hierzulande geleistet werden, aus menschlicher in maschinelle Obhut übergehen. Bis zu zwölf Millionen Beschäftigte, also bis zu einem Drittel aller Arbeitskräfte, müssten sich neue Fähigkeiten aneignen oder eine Stelle in einer anderen Branche suchen. Für die USA taxiert McKinsey dieses Potenzial auf 23 Prozent, in China auf 16 und in Indien auf neun Prozent.

Angesichts dieser Zahlen verwundert es nicht, dass die Bevölkerung das Thema KI mit durchaus gemischten Gefühlen betrachtet. Zwar erhofft sich die Mehrheit der Deutschen von KI in Zukunft vor allem Hilfe bei der Organisation ihres Alltags, hat eine Umfrage der Unternehmensberatung PwC gezeigt. Fast 90 Prozent der Deutschen sind darüber hinaus überzeugt, dass der Einsatz von Künstlicher Intelligenz helfen kann, zukünftige Herausforderungen zu meistern. Besonders groß ist die Hoffnung bei den Themen Cybersicherheit (49 Prozent), Klimawandel (45) und Schutz vor Krankheiten (43). Auf uneingeschränkte Begeisterung stößt die Technik aber nicht. Mehr als die Hälfte der Befragten räumte ein, lernfähige Computer lösten bei ihnen "eher Angst" aus. Dass künstliche Intelligenz mehr Arbeitsplätze schafft als vernichtet, glaubt nur gut ein Drittel der Befragten.

Eine Umfrage des Bitkom kam zu ähnlichen Ergebnissen: Viele Deutsche sehen KI demnach als eine echte Chance, etwa bei der Verbesserung von Verkehrssteuerungen, um so Staus zu reduzieren (83 Prozent). Die Studie deckte jedoch auch zahlreiche Bedenken auf. So befürchten mehr als drei Viertel der Teilnehmer, dass "der Einsatz von KI Machtmissbrauch und Manipulation Tür und Tor öffnet." Die Technik würde demnach die Vorurteile der Programmierer abbilden und faktenbasierte Entscheidungen nur vorgaukeln. Rund jeder Zweite habe Angst, dass KI den Menschen entmündigt (50 Prozent) oder sich die intelligenten Maschinen sogar irgendwann gegen den Menschen richten (54 Prozent).

"Wir erleben immer bessere KI-Systeme, die jeweils für eine bestimmte Aufgabe trainiert sind und diese zum Teil auch besser als wir Menschen erledigen", konstatierte Bitkom-Präsident Berg. "Wir müssen besser und breiter darüber aufklären, was KI kann, und was sie aber auch nicht kann." Eine wichtige Rolle spielt dabei offenbar die Politik. Mit 88 Prozent sprach sich der Großteil der vom Bitkom Befragten dafür aus, dass die Politik die Regeln vorgeben soll.