Erfahrungsbericht

Der mühsame Weg zur digitalen Anwaltskanzlei

17.02.2023
Von 
Christian Michels ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in Mainz.
Ausdrucken, unterschreiben, faxen, abheften – das ist noch immer Alltag in vielen Anwaltskanzleien. Wie die digitale Kanzlei zur Realität wird, erfahren Sie hier.
Der Dokumententransfer gestaltet sich für Anwaltskanzleien oft noch sehr zeit- und papierintensiv, weil in Gerichten und Behörden oft noch das Fax zur Anwendung kommt.
Der Dokumententransfer gestaltet sich für Anwaltskanzleien oft noch sehr zeit- und papierintensiv, weil in Gerichten und Behörden oft noch das Fax zur Anwendung kommt.
Foto: Jirsak - shutterstock.com

Die Corona-Pandemie führte dazu, dass einige Abläufe in der Verwaltung digitalisiert wurden - bei anderen hakt es immer noch deutlich. So meldete die Tagesschau Ende 2022, dass die Behörden in Deutschland weit hinter den gesetzten Zielen zurückbleiben. Ziel war es nämlich, dass ab 2023 Anträge online gestellt werden können.

"Doch von den insgesamt 575 Verwaltungsleistungen sind lediglich 33 in Deutschland flächendeckend online verfügbar", so das Bundesinnenministerium auf Anfrage der Tagesschau. Dabei stehen einige Kommunen deutlich besser dar als andere. Was für den großen Verwaltungsapparat gilt, trifft leider auch auf die Arbeit bei Gericht zu. Einige Gerichte versenden Dokumente immer noch per Fax oder Post, während andere schon digitaler aufgestellt sind.

Das elektronische Anwaltspostfach - ein Schritt zur digitalen Kanzlei

Der Gesetzgeber hat bereits 2018 das sogenannte elektronische Anwaltspostfach eingeführt, das es ermöglichen soll, einige der Abläufe innerhalb der Kanzlei zu digitalisieren. Dieses elektronische Postfach ermöglicht eine rechtssichere Kommunikation zwischen Anwälten und Gerichten. Ein komplexer Registrierungsprozess sowie ein umfangreicher Sicherheitscheck sollen garantieren, dass wirklich nur Befugte Zugriff auf das Anwaltspostfach haben.

Zu Beginn gab es allerdings Anlaufschwierigkeiten wegen Sicherheitsproblemen. Die sind mittlerweile jedoch behoben und seit dem 1. Januar 2022 gibt es eine aktive Nutzungspflicht für alle Anwälte. Das bedeutet: Klagen und sonstige Eingaben bei Gericht müssen seit diesem Datum ausschließlich elektronisch eingereicht werden - eine enorme Arbeitserleichterung für Anwälte. Die Vorteile: Man spart nicht nur Zeit, sondern kann voll mobil von jedem Ort der Welt aus arbeiten.

Das Problem: Für Gerichte gilt noch keine aktive Nutzungspflicht für das elektronische Postfach. Und auch die Mehrzahl der Behörden ist nicht an das elektronische Anwaltspostfach und damit auch nicht an den sogenannten elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) angebunden. Da die meisten Behörden nicht am ERV teilnehmen, muss bei Schriftwechseln mit einer Behörde weiterhin entweder gefaxt oder das Schriftstück postalisch versendet werden.

Auch die Akten werden bei den meisten Gerichten noch nicht elektronisch geführt. Das bedeutet: Alle Dokumente, die an das Gericht geschickt werden, müssen in Papierform in einer physischen Akte geführt werden. Es muss sich also jemand darum kümmern, dass diese Akte korrekt angelegt und gelagert wird. Nach Abschluss des Vorgangs muss die Akte außerdem physisch aufbewahrt werden. Das bindet unheimlich viele Kapazitäten und führt unter anderem dazu, dass sich die Verfahren in die Länge ziehen - es dürfte bekannt sein, dass es in Deutschland immer wieder zu Verfahrensverzögerungen kommt, die sogar dazu führen, dass die Strafe des Angeklagten geringer ausfällt.

Juristische Arbeitsweise ist traditionell geprägt

Die Arbeit eines Anwalts ist sehr traditionell geprägt. So kommt es, dass viele Kanzleien, aber auch Gerichte und Behörden noch überwiegend analog arbeiten. Das Faxgerät - mittlerweile zu einem Sinnbild für die verpasste Digitalisierung in Deutschland geworden - ist immer noch fester Bestandteil des Arbeitstages.

Auch ich habe diese Arbeitsweise während meiner Ausbildung kennengelernt: In Drucksachen recherchieren, Briefe in ein Diktiergerät sprechen, Papierakten anlegen und schließlich Dokumente postalisch versenden. Wie der analoge Arbeitsalltag konkret aussah, können wir uns am Beispiel einer Standardvorlage für eine Kündigungsschutzklage ansehen:

  1. Die Akte mit allen Daten und Unterlagen wurde zunächst manuell angelegt.

  2. Dann wurde die Klageschrift drei Mal ausgedruckt. Ein Exemplar musste im Original unterschrieben, ein anderes Exemplar beglaubigt werden. Das dritte Exemplar kommt später in die Akte zusammen mit einem Ausgangsvermerk und dem Fax-Sendebericht.

  3. Das Dokument, das im Original unterschrieben wurde, kam danach auf das Faxgerät und wurde ans Gericht gefaxt.

  4. Dann warten auf den Sendebericht und zur Sicherheit ein Anruf bei Gericht, um zu erfragen, ob das Fax auch wirklich zugestellt wurde.

  5. Im nächsten Schritt ging es an den Postversand. Nun wurde das Original und die beglaubigte Abschrift postalisch an das Gericht versendet. Auch hier durfte der Kontrollanruf bei Gericht nicht vergessen werden.

  6. Das dritte Exemplar der Klageschrift schließlich kam zusammen mit dem Postausgangsvermerk und dem Sendeprotokoll des Faxes in die Papierakte.

Alles in allem dauert dieser Vorgang ungefähr 30-45 Minuten.

Die Anforderungen an eine digitale Kanzlei

So viel Arbeitszeit für einen eigentlich ganz simplen Vorgang war mir persönlich deutlich zu viel Aufwand - das wurde mit zunehmendem Arbeitsaufkommen immer klarer. Die Konsequenz: Die Prozesse mussten vereinfacht werden, und zwar deutlich. Den Anfang machte kleinere Lösungen zu implementieren, wie zum Beispiel eine neue Software, die nur lokal auf dem Server gehostet wird. Zusätzlich fiel die Entscheidung für den Einsatz eines Exchange-Mailservers. Das brachte schon deutliche Erleichterungen.

Spätestens mit Beginn der Corona-Krise und dem Digitalisierungsschub änderten sich die Anforderungen jedoch rasant, was dazu bewog, eine voll digitalisierte Kanzleiorganisation umzusetzen. Allerdings gab es dabei ein Problem: Meines Wissens existieren derzeit keine Anbieter, die eine Komplettlösung für kleine Kanzleien im Angebot haben. Obwohl sich viele Legal-Tech-Provider am Markt tummeln, war kein Dienstleister zu finden, der alle Anforderungen abdecken konnte. Deshalb ist man gezwungen, auf Insellösungen zurückzugreifen, die jedoch meist kein zufriedenstellendes Ergebnis liefern: Untereinander sind diese Lösungen häufig nicht kompatibel oder es gibt Probleme mit dem Betriebssystem (laufen nur auf Windows gut, nicht aber auf MacOS). Es blieb daher keine andere Wahl, als das Projekt "digitale Kanzlei" selbst in die Hand zu nehmen.

DSGVO stellt besondere Anforderungen an Anwälte

Anwälte sind gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Außerdem stellt der Gesetzgeber besondere Anforderungen an den Schutz der Mandantendaten. Das hat zur folge, dass ein Anwalt beispielsweise nicht einfach auf Google-Cloud-Angebote zurückgreifen kann. Denn die Dienste des Internet-Giganten werden in den USA gehostet und sind daher nicht mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vereinbar. Also keine Option. Doch selbst wenn der Anbieter DSGVO-konform ist, bedeutet das nicht zwingend, dass Anwälte ihn nutzen können. Denn zusätzlich zur DSGVO müssen auch noch die Compliance-Richtlinien nach § 293 StGB für Berufsgeheimnisträger erfüllt werden.

Realisierung der digitalen Kanzlei

Zunächst galt es, eine Cloud-fähige und sichere Software zu finden. Die Auswahl ist hier leider immer noch sehr begrenzt, doch noch langer Recherche fand sich eine Lösung. Die Software, die heute in meiner digitalen Kanzlei zur Anwendung kommt, wurde komplett in der Cloud entwickelt, wird in Deutschland gehostet und erfüllt höchste Sicherheitsstandards (z.B. 2-Faktor-Authentifizierung).

In dieser Software wurden zunächst in Eigenregie zahlreiche Templates angelegt, um Standardabläufe zu vereinfachen. Außerdem wurde das Kontaktformular umfangreicher gestaltet, was die Anlage von Akten deutlich vereinfacht. Um ferner volle Mobilität zu haben und auch von unterwegs problemlos arbeiten zu können, erfolgte ein Wechsel mit der Telefonanlage zu einem Cloud-Anbieter. Darüber hinaus vereinfacht nun eine KI-gestützte Software die Buchhaltung.

Automation der Dokumentenerstellung

Doch damit soll in Sachen Digitalisierung noch nicht Schluss sein. Das Ziel für die weitere Zukunft lautet, die Arbeitsabläufe in meiner Kanzlei noch weiter zu digitalisieren. Auf der To-do-Liste steht als nächster geplanter Schritt die Automation der Dokumentenerstellung wie Verträge, Satzungen und Letters of Intent. Sollte sich alles wie beabsichtigt entwickeln, könnte die Kanzlei in zwei bis drei Jahren komplett digitalisiert sein.

Wenn Behörden in absehbarer Zeit ebenfalls digitaler werden und beispielsweise in die elektronische Kommunikation eingebunden werden, könnte das die Arbeitsabläufe enorm erleichtern. Ein großer Schritt in eine digitale Zukunft im Rechtswesen würde darin bestehen, dass Gerichte verstärkt von der Möglichkeit Gebrauch machen, Videoverhandlungen zu führen. Das dafür nötige Gesetz wurde bereits vor einigen Jahren erlassen. Digitale Gerichtsprozesse hätten nicht nur für die direkt Beteiligten große Vorteile. Das Aufgeben der mitunter äußerst zeitraubenden analogen Vorgänge könnte dazu führen, dass die Justiz enorm entlastet würde. Das wiederum ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Verfahren schneller ablaufen und das wiederum könnte bedingen, dass Vorgänge in der Bevölkerung besser akzeptiert würden.

Das Tool ChatGPT, das jetzt in aller Munde ist, habe ich natürlich auch schon ausprobiert. Es schreibt ganz brauchbare Texte, die sicherlich für einen kleinen Beitrag auf der Homepage reichen, aber nicht für zum Beispiel umfangreiche Schriftsätze an das Gericht oder komplexe Gutachten. Hier fehlt es einfach (noch) an der juristischen Genauigkeit, da oft so viele Winkelzüge zu beachten sind, die nur "echte" Intelligenz meistern kann. (pg)