Siehe da - der Mensch: Das Meinungsforschungsinstitut Gartner hat gerade die Megatrends für 2020 vorgestellt und gleich dreimal steht bei dieser Top-Ten-Liste der Mensch an erster Stelle. Unter den Begriffen 'Demokratisierung von Wissen (expertise)', 'Menschliche Erweiterung' und 'Transparenz und Nachvollziehbarkeit' bringt Gartner damit drei wesentliche Aspekte zurück in die Diskussion, die die Entwicklung der IT von Anfang an begleitet haben.
Der Professor für Computerwissenschaften am MIT, KI-Forscher und Eliza-Erfinder Joseph Weizenbaum etwa, im Gegensatz zu seinem Bruder Henry Sherwood als enthusiastischem IT-Verfechter zeitlebens nicht nur Informatiker, sondern eben auch Gesellschaftskritiker, mahnte immer wieder: die eigentliche Entscheidungsgewalt müsse immer in menschlicher Hand bleiben, auch wenn künstliche intelligente Systeme als Hilfsmittel zur Informationsbeschaffung herangezogen werden.
Wenn Gartner unter dem Punkt 'Transparenz und Nachvollziehbarkeit' jetzt argumentiert, dass besonders KI dazu geeignet sei, die bereits bestehende Vertrauenskrise in den technologischen Fortschritt noch zu verstärken, dann klingt das, als ob dort jemandem Weizenbaums Buch "Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft" aus dem Jahr 1978 in die Hände gefallen sei. Wer der Aufforderung von Gartner also nachkommen und auf die Entwicklung reagieren will, um das Vertrauen seiner Kunden nicht zu verlieren, sollte mit der Lektüre des zweiten Kapitels einsteigen, in der Weizenbaum erörtert, woher die Macht des Computers denn kommt und wie man damit umgehen sollte.
- 1. Datenmangel
Datenprobleme gehören zu den häufigsten Gründen für das Scheitern von Artificial-Intelligence-Initiativen. Das belegt auch eine Studie des Beratungsunternehmens McKinsey, die zu dem Schluss kommt, dass die beiden größten Herausforderungen für den KI-Erfolg mit Daten in Zusammenhang stehen. <br /><br /> Demnach haben viele Unternehmen einerseits Probleme damit, ihre Daten richtig einzuordnen, um die Machine-Learning-Algorithmen korrekt programmieren zu können. Wenn Daten nicht richtig kategorisiert werden, müssen sie manuell richtig klassifiziert werden – was oft zu zeitlichen Engpässen und einer erhöhten Fehlerrate führt. Andererseits stehen viele Unternehmen vor dem Problem, nicht die richtigen Daten für das anvisierte KI-Projekt zur Verfügung haben. - 2. Training, das ins Leere läuft
Laut einer Untersuchung von PricewaterhouseCoopers verfügt mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen über keinen formalen Prozess für das vorurteilsfreie Training von KI-Systemen. Schlimmer noch: Nur 25 Prozent der befragten Unternehmen würden demnach die ethischen Implikationen eines Artificial-Intelligence-Systems vor der Implementierung priorisieren. <br /><br /> Unternehmen steht eine Vielzahl von Bilddaten-Sets zu Trainingszwecken zur Verfügung – sowohl auf kostenloser als auch auf kommerzieller Basis. Dabei sollten Firmen allerdings unbedingt darauf achten, dass ein solches Datenset auch die für ihre Zwecke relevanten Daten enthält. - 3. Problemfall Datenintegration
In manchen Fällen ist nicht Datenmangel die wesentliche Hürde für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, sondern das genaue Gegenteil: zu viele Daten – an zu vielen Orten. <br /><br /> Solche Datenintegrations-Fauxpas können sich nachhaltig negativ auswirken. Dabei geht es nicht in erster Linie um technische Hürden, sondern beispielsweise darum, Compliance- und Datenschutzanforderungen gerecht zu werden. - 4. Datenunterschiede
Wenn Unternehmen für das Training von Artificial-Intelligence-Systemen nicht auf aktive, transaktionale sondern auf historische Daten zurückgreifen, entstehen Probleme. Denn ein System, das auf Grundlage eines historischen Snapshots trainiert wurde, wird im Zusammenspiel mit Echzeit-Daten nicht besonders zuverlässig performen. <br /><br /> Nach Ansicht von Andreas Braun, Managing Director und Partner bei der Boston Consulting Group, können Sie diese Problemstellung vermeiden, indem Sie Ihre Data Scientists aus dem Silo holen: Insbesondere wenn es um KI-Modelle geht, die mit Live-Daten arbeiten, bietet sich eine direkte Integration in die Produktionsumgebung an – diese geht im Regelfall auch wesentlich schneller vonstatten. - 5. Unstrukturierte Daten
Laut einer aktuellen Umfrage von Deloitte verlassen sich 62 Prozent der Unternehmen immer noch auf Spreadsheets – nur 18 Prozent profitieren bereits von unstrukturierten Daten wie Produktbilder, Audiodateien von Kunden oder Social-Media-Kommentare. Dazu kommt, dass viele der historischen Datensätze in Unternehmen den für den KI-Einsatz nötigen Kontext vermissen lassen. <br /><br /> Dabei kommt das Beratungsunternehmen auch zu der Erkenntnis, dass Unternehmen, die unstrukturierte Daten nutzen, ihre Geschäftsziele im Schnitt um 24 Prozent übertreffen konnten. - 6. Kulturelle Mangelerscheinungen
Daten außen vorgelassen, sind es vor allem organisatorische Herausforderungen, die dem Erfolg mit Künstlicher Intelligenz entgegenstehen. Die Mitarbeiter aus den Fachbereichen müssen direkt mit den Kollegen aus der Technik zusammenarbeiten und der übergeordnete Kontext sollte dabei stets im Fokus stehen.
Auch das Thema 'Demokratisierung von Wissen' ist nicht neu - aber wichtig. Eng verbunden mit der Erfolgsgeschichte des Internets - Weizenbaum gehörte übrigens zu den Entwicklern des Internet-Vorläufers Arpanet - diskutiert man immer wieder über die Wege zu einer neuen und demokratischeren Gesellschaft mit Zugang zu Wissen für alle. Wikipedia, 2001 gestartet, ist der bisher vielleicht wirkungsmächtigste Pfeiler auf dem Weg zu der von Gartner geforderten einfachen und kostengünstigen Verfügbarmachung von Wissen für jeden.
In dem Artikel "Beschleunigt das Internet die Demokratisierung?" vom Januar 2000 zitiert ein Autor in der WELT gar einen nicht namentlich genannten US-Forscher, der meine, dass selbst China mit steigendem Wohlstand und Internet bis 2020 ein demokratisches Land sein könne. Wunsch und Wirklichkeit bleiben eben manchmal ein getrenntes Paar. Der Anspruch der Menschen an Unternehmen, Organisationen und Staaten, den Gartner hier letztlich formuliert, erhält vielleicht gerade dadurch noch mehr Gewicht.
Für Unternehmen und Institutionen stellt sich aus heutiger Sicht allerdings die Frage, wie das verfügbare Wissen zusammengeführt und den jeweils aktuellen Anforderungen entsprechend integriert und strukturiert werden kann. Diese Aspekte fallen bei Gartner unter die Stichworte Hyperautomation, KI-Sicherheit, Praktische Blockchain, Verteilte Cloud und Edge Computing. Zu ergänzen wäre das Thema Datenintegration, das letztlich auf der Software-Seite möglichst standardisiert und nutzerfreundlich das System für die eigentliche Vernetzung der Daten liefern muss.
- E-Learning im Job und Talent-Management
Unternehmen müssen im Talent-Management neue Wege gehen und verstärkt in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren. Folgende Tipps zum Thema E-Learning können den Experten von Right Management zufolge helfen, die Weichen in Sachen Skills und Ausbildung neu zu stellen und das Lernen attraktiv zu gestalten. - Tipp 1: Lernen ohne Ausbilder
Um Neues zu lernen, muss nicht immer ein Ausbilder präsent sein. E-Learning erlaubt Experten, Lehrpläne granular zu entwerfen, Kurse oder einzelne Lektionen aufzuzeichnen und alles über eine Online-Plattform abrufbar zu machen. Damit ist E-Learning ein wichtiger Schritt in Richtung selbstbestimmtes Lernen. - Tipp 2: Lernfreude im Team
Online- und selbstbestimmtes Lernen bedeutet nicht notwendig allein lernen. Die gemeinsame Schaffung von Lerninhalten sowie das Kategorisieren und Teilen von Content sind gut geeignet, einen Geist der Zusammenarbeit zu schaffen. Geschieht das unter Zuhilfenahme von Elementen aus Social Media, Smartphone-Apps und Spielen, erleben die Mitarbeiter die Faszination der Echtzeit-Zusammenarbeit. - Tipp 3: Lernen überall und jederzeit
In der modernen Business-Welt erweist sich der allgegenwärtige und zeitunabhängige Zugang auch zu sehr spezialisierten Informationen als großer Segen. Ein Lern- beziehungsweise Talent-Management-System sollte dabei auch stark die Aspekte einer zunehmend mobilen Welt berücksichtigen. - Tipp 4: Produktive Lernportale
Bei Weiterbildungsmaßnahmen ist zu vermeiden, dass sich Mitarbeiter langweilen und länger aus dem produktiven Business abgezogen werden. Das gelingt am besten über geeignete Lernportale, vor allem wenn sie populäre Trends wie zum Beispiel Gamification und Mikro-Learning berücksichtigen. Lernen wird so zur arbeitsbegleitenden Sofortmaßnahme, über die Mitarbeiter kontinuierlich ihre Qualifikation verbessern. - Tipp 5: Talent-Management & Learning
Lernen ein starker Treiber für Qualität und Leistung. Sicht- und messbar wird das aber nur, wenn die Disziplinen E-Learning, Personalwesen und IT ihre Synergien ausschöpfen. Tools, die E-Learning und Talent-Management-Programme zusammenführen, sind dafür eine gute Basis. - Tipp 6: Lernbereitschaft fördern
Um Lernakzeptanz bei den Mitarbeitern zu erzielen, empfiehlt sich für Unternehmen ein Mix aus traditionellem Lernen und digitalen, selbstbestimmten Lernprogrammen. Letztere wiederum sollten die gesamte Palette von einfachem E-Learning über Mischprogramme bis hin zu virtuellen 3D-Elementen abdecken.
Der dritte 'menschliche' Aspekt, den Gartner hervorhebt, ist mit 'Menschliche Erweiterung' überschrieben. Das ist eigentlich kein reines IT-Thema. Dieser Aspekt spielt grundsätzlich eine Rolle bei jeder neuen technischen (im Sinne von neue Produkte, Verfahren, Mittel) und technologischen (im Sinne von Erweiterung des vorhandenen technischen Wissens) Entwicklungsstufe, also immer dann, wenn es um die Steigerung der kognitiven und der physischen Fähigkeiten von Menschen geht. Mit Blick auf IT-Themen gehören zu diesen Erweiterungen heute etwa Wearables und AR-Brillen, aber auch IT-basierte Assistenzsysteme und Implantate - die Cyborg-Diskussion lässt grüßen.
David Cearley, Vice President und Gartner Fellow, kommentiert den neuen Ansatz mit dem Menschen im Mittelpunkt so: "Den Menschen in das Zentrum Ihrer Technologiestrategie zu stellen, unterstreicht einen der wichtigsten Aspekte von Technologie an sich: Wie sie sich auf Kunden, Mitarbeiter, Geschäftspartner, die Gesellschaft etc. auswirkt. Womöglich lässt sich alles, was ein Unternehmen tut, darauf zurückführen, welchen direkten oder indirekten Effekt es auf diese Personen oder Gruppen hat. Das ist unter einem Ansatz zu verstehen, der den Menschen in die Mittelpunkt stellt."
Wenn Gartner Recht hat, dann ist dies ein wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch ernst zu nehmendes Signal. Wenn der zentrale Trend für 2020 tatsächlich bedeutet, dass sich alle, die IT entwickeln und anwenden, damit auseinandersetzen sollten, welche Bedeutung dies für die Menschen hat, die damit konfrontiert werden, dann stehen diesen Nutzungs- und Anwendungsoptionen notwendigerweise deutlich sensibilisierte Zielgruppen gegenüber. Es klingt ein wenig so, als müssten sich auch jenseits von Facebook und Cambridge Analytica immer mehr Unternehmen Gedanken über die Konsequenzen ihres Handelns machen. Und vielleicht behält der anonyme US-Forscher aus dem WELT-Artikel ja doch Recht und hat sich nur im Datum geirrt.