Trotz Hyperscaler-Rückzug

Das Internet of Things ist nicht tot

Kommentar  06.04.2023
Von 
Bernd Gross ist CTO der Software AG und CEO des Software AG-Unternehmens Cumulocity GmbH.
Google, IBM und Co. ziehen ihre IoT-Plattformen zurück, und das ist gut so: Das Internet of Things braucht nämlich nicht nur Tech-Know-How, sondern auch Branchenkenntnisse.
IoT ohne Cloud funktioniert nicht, doch deshalb sind die Cloud-Hyperscaler noch lange nicht zwangsläufig diejenigen, die viel vom Internet of Things verstehen.
IoT ohne Cloud funktioniert nicht, doch deshalb sind die Cloud-Hyperscaler noch lange nicht zwangsläufig diejenigen, die viel vom Internet of Things verstehen.
Foto: greenbutterfly - shutterstock.com

Egal ob ein Unternehmen eine Waage oder ein Auto verkauft: Ohne App, Datenanbindung und ein IoT-Konzept wird es keinen Erfolg mehr haben. Auch in der Landwirtschaft hat IoT Einzug gehalten. Automatisiert werden Daten zu Bodenfeuchtigkeit und -qualität erfasst, um Felder effizient zu bewässern und die Ernte reicher ausfallen zu lassen. IoT-Projekte sind als technische und betriebswirtschaftliche Enabler Dreh- und Angelpunkt datenbasierter Geschäftsmodelle.

Bei den Hyperscalern sticht Cloud IoT

Doch wenn es stimmt, dass IoT aus keinem Geschäftsmodell mehr wegzudenken ist, wie passt das dann mit Meldungen zusammen, wonach IBM und Google ihre IoT-Plattformen abschreiben wollen? Kenner der Szene flüstern bereits, dass sich andere Hyperscaler, Softwareanbieter und IT-Giganten demnächst anschließen werden. Die Begründung ist recht einfach: Die Tech-Giganten konzentrieren sich wieder stärker auf das, was sie gut können, auf die Skalierung bestehender Softwaregeschäfte, Beratungsdienste und Cloud Computing nämlich.

Tatsache ist allerdings auch, dass Unternehmen, die IoT-Projekte verfolgen, Cloud Computing brauchen und damit auch die Hyperscaler. IoT erfordert nicht nur technische Fähigkeiten, um die doppelte Herausforderung von Konnektivität und Sicherheit zu lösen, sondern auch Branchenkenntnisse. Mit anderen Worten: Ein exakter Fokus auf das zu lösende Geschäftsproblem ist besonders wichtig. Das beherrschen Startups in der Regel hervorragend, multinationale Tech-Giganten dagegen weniger.

IoT: Ohne Spezialisierung geht es nicht

IoT erfordert zwingend die Spezialisierung auf einen bestimmten Bereich oder eine Branche. Der Anbieter muss neben Technologiewissen auch inhaltlichen Sachverstand mitbringen. Das frisst Ressourcen und steht dem Ziel der Hyperscaler, zu skalieren und ein möglichst großes Stück vom Cloud-Markt zu erobern, im Wege.

Heute wird jeder zweite Server in einem Cloud-Rechenzentrum aufgestellt. Das hohe Wachstum aufrechtzuerhalten, übt einen unglaublichen Druck aus und erfordert das Engagement und die Aufmerksamkeit aller Mitarbeiter im Unternehmen. Vor dem Hintergrund dieses großen Ziels verblasst bei den Hyperscalern das Thema IoT und die damit zu erzielnden, vergleichbar bescheidenen Umsätze.

Die Hyperscaler haben weder das Know-how noch die Erfahrung, IoT-Projekte erfolgreich zu führen - und meistens auch nicht das nötige Personal. Die benötigten Sensoren, Steuerungssysteme und Aktoren zählen auch nicht zur Kernkompetenz der Cloud-Giganten.

Hyperscaler kennen die Standards nicht

IoT-Plattformen sind stark fragmentiert und bestehen aus vielen Protokollen und Geräten. Es gibt nur wenige übergreifende "OT-Standards", mit denen die Hyperscaler im IT-Bereich vertraut sind. Selbst diese Standards, etwa Modbus oder OPC-UA, können auf proprietäre Weise verwendet werden und erfordern die Entwicklung und Wartung spezifischer Adapter. Das sind kostspielige, nicht skalierbare Investitionen, die viel Know-how erfordern und von Hyperscalern nur schwer wieder hereingeholt werden können

Unterschiede gibt es auch in der adressierten Klientel: Käufer von Cloud Computing sind in der Regel erfahrene, leitende IT-Manager, deren Aufgabe es ist, die gewünschten technischen Funktionen zum besten Preis zu liefern. Typische IoT-Kunden hingegen sind auf ihre Industrien spezialisierte Manager, die ihre vorhandenen Produkte durch IoT verändern und neue digitale Dienste schaffen möchten. Vereinfacht könnte man sagen: Cloud-Kunden kommen nicht an die richtigen Sensoren heran, während IoT-Kunden sich wenig mit skalierbaren Lösungen auskennen.

Wenn man all diese Punkte berücksichtigt, ist es kein Wunder, dass die Hyperscaler ihre Geschäftsmodelle rationalisieren. Sie entscheiden sich dafür, lieber strategische Partnerschaften mit dedizierten IoT-Plattformanbietern einzugehen, als selbst vollständige Lösungen anzubieten. In solchen Partnerschaften kann sich jeder auf seine Schlüsselkompetenzen und Werte konzentrieren.

Immer noch viel Saft in der IoT-Zitrone

Der IoT-Markt wächst immer noch stark - mit einer Compound Annual Growth Rate (CAGR) von über 30 Prozent in einigen Sektoren. Wenn Google und IBM nun ihre IoT-Angebote zurückziehen, heißt das nur, dass in der IoT-geschichte das nächste Kapitel aufgeschlagen wird. Der Markt ist reif, auf Engagement und Spezialisierung kommt es an.

Der Rückzug der generischen IoT-Angebote durch die Hyperscaler wird ein enormes Potenzial für die etablierten, bewährten, dedizierten IoT-Plattformen schaffen. (hv)