In den letzten Jahren wurde Big Data als eines der zentralen Themen der Digitalisierung "gehyped". Der Hype verfehlte seine Wirkung nicht. Mittlerweile haben viele Unternehmen hohe Investitionen in die technischen Voraussetzungen zur Erfüllung der einschlägigen Versprechungen getätigt. Sie verfügen heute über die erforderlichen Daten und Technologien. Und dennoch wird man im Gespräch mit Unternehmensverantwortlichen das Gefühl nicht los, dass aus den vielen Versprechungen rund um Big Data noch keine Realität auf der Geschäftsseite geworden ist - abgesehen von einigen Leuchttürmen wie etwa Google. Die Gleichung 1+1 =3 durch Dateneinsatz und -nutzung geht noch für die wenigsten Unternehmen auf. Insofern muss sich die Diskussion rund um Big Data in Summe weg von einer Technik- und hin zu einer Geschäftsorientierung wandeln - losgelöst von einer juristischen Debatte rund um Datenschutz und Datensicherheit.
Um den Wandel einzuleiten, sind sechs Stoßrichtungen zu verfolgen. Einige davon sind in der aktuellen Diskussion noch eher unterbelichtet - andere zeichnen sich bereits als "Trend" in Unternehmen ab.
1) Unternehmen verlagern die strategische "Big Data"-Diskussion mit Technikfokus auf konkrete Anwendungsszenarien für das Geschäft
Die bisherige Diskussion rund um Big Data ist (immer noch) sehr technologiegeprägt. In der Tat dominieren dabei oft die großen Technologielieferanten, die ihr Angebot an den Kunden und den Markt bringen wollen. Technologien sind jedoch in der Zwischenzeit mehr als ausreichend vorhanden. Beispielsweise können Anwender mithilfe aktueller Analytics-Tools heute mit wenigen Klicks maschinelle Lernverfahren zur Prognose und Vorhersage nutzen, für die man sich vor wenigen Jahren noch Doktoren- oder Professorentitel verdiente.
Parallel dazu besitzen Unternehmen mehr Daten als ihnen oft bewusst ist. Ein "Mehr" an Technik bringt es deshalb nicht. Das Business muss nachziehen, anwenden und integrieren. Kernfragen des Business sind per se konkreterer Natur, zum Beispiel "Welche Anwendungsfälle von Big Data gibt es für Unternehmen einer jeden Branche jenseits vom Standardbeispiel Kundenselektion und Kampagnenmanagement? Wie viel Wachstum oder Effizienzsteigerung wird aus den Anwendungsfällen generiert? Wie kommen wir von Datenergebnissen zu Interpretation und zu Aktionen im Unternehmen?" Diese Fragen stellen nur einige Beispiele der Geschäftsseite dar. Erst die Antworten darauf rechtfertigen gegebenenfalls weitere signifikante Investitionen in Technologie. Die Diskussion muss aber in Summe geschäftsgetriebener werden.
- Big Data 2015
Zur Praxis von Big Data hat der US-Marktforscher Gartner 437 Teilnehmer seines eigenen Panels ("Gartner Research Circle") befragt. Die Ergebnisse dokumentiert das Papier "Practical challenges mount as Big Data moves to mainstream". - Adaption
Hatten 2012 noch 58 Prozent der Teilnehmer von bereits getätigten oder geplanten Investitionen gesprochen, sind es jetzt 76 Prozent. Gartner bezeichnet das als "Adaptionswelle". - Initiatoren
Gartner wollte auch wissen, wer Big Data-Initiativen anstößt. Hier zeigt sich eine deutliche Verschiebung zuungunsten der IT-Entscheider. - Ziele
In den vergangenen Jahren hat sich herauskristallisiert, welche Ziele die Unternehmen mit Big Data verbinden. An oberster Stelle steht die Kundenerfahrung (Customer Experience). Das war auch 2013 der Spitzenreiter, allerdings mit 55 Prozent der Nennungen. - Messung des ROI
24 Prozent derer, die bereits in Big Data-Lösungen investieren, messen den ROI (Return on Investment) nicht. Die anderen orientieren sich entweder an finanziellen Kennzahlen, an der Steigerung der Effizienz oder besserer Entscheidungsfindung.
2) Unternehmen definieren eine "Data Governance" zur Beantwortung der Frage nach der Ownership von Daten und Interpretationsergebnissen
Voraussetzung für eine effektive Diskussion der Geschäftsseite ist eine klare Definition von "Spielregeln", wer im Unternehmen mit welchen Daten und Ergebnissen hantieren darf. Hierfür sind aktuelle Governance-Regeln um Inhalte zur Data-Governance zu erweitern, zu kommunizieren und mit Leben zu füllen. Sie müssen die Verantwortlichkeiten und Gremien klar definieren. Im Sinne eines "Code of Conduct" müssen sie Eingang in die gelebte Praxis finden.
3) Unternehmen bündeln Kapazitäten und Skills in "eigenen" Data-Organisationseinheiten
In vielen Unternehmen ist in den letzten Jahren die Personenanzahl stark angewachsen, die sich mit Daten und Analysen beschäftigt. Nicht umsonst gehört der "Data Analyst" zur meistgesuchtesten Spezies der gesamten Branche. So entstanden in vielen Abteilungen Enklaven, die sich um die Aufbereitung von Zahlen und das Reporting kümmern.
In einer Querschnittsbetrachtung wird allerdings klar, dass dies zwar effektiv, aber wenig effizient ist. Unternehmen gehen nun dazu über, die entsprechenden fachlichen und technischen Ressourcen in eigenen Organisationseinheiten zu bündeln und zu zentralisieren. Diese werden dann organisatorisch-strukturell auf Geschäfts-, Service- oder IT-Seite aufgehängt. Selbstverständlich sind bei einem solchen Schritt die entsprechenden Data-Governance-Regelungen anzupassen.
4) Unternehmen ergänzen die technischen ETL- und IT-Prozesse um die notwendigen Business-Prozesse
Die strukturell-organisatorischen Veränderungen ziehen auch Anpassungen in der Prozesswelt nach sich. Entsprechende Geschäftsprozesse sind erforderlich, um die verschiedenen Informationsbedarfe des Unternehmens mit Standard- und Individualinformationen zu decken. Die Spannbreite reicht dabei von der Bereitstellung von Berichtsinformationen in Cockpits im Sinne klassischer Business-Intelligence-Funktionen bis hin zu Individualauswertungen für einzelne Geschäfts- und Fachbereiche zum Beispiel zur Optimierung und kontinuierlichen Verbesserung. An dieser Stelle kann eine Anleihe bei agilen Prozessen der Informationstechnik genommen werden, denn die Ergebnisse lassen sich nicht im stillen Kämmerlein oder am Reißbrett entwickeln. Vielmehr ist ein hoher Interaktionsgrad mit den Datennutzern erforderlich.
5) Unternehmen konsolideren, synchronisieren und zentralisieren ihre Datenhaushalte weiter
Viele Unternehmen haben schon lange damit begonnen, ihren Datenhaushalt beziehungsweise die Datenhaushalte technologisch aufzuräumen. Nicht selten waren Informationen zu einem Kunden in mehreren Datenbanken gespeichert und inkonsistent. Hier handelt es sich dann um die Abbildung von fachlichen Datenmodellen in die technische Objektwelt von Datenbanken. Die begonnene Konsolidierung, Synchronisierung und Zentralisierung der Datenhaushalte wird deshalb weitergehen und vielleicht im Veränderungsportfolio einen höheren Stellenwert und eine höhere Priorität genießen als das in der Vergangenheit der Fall war. Zusätzlich werden die Datenvolumina weiter exponentiell zunehmen, sodass sich im Sinne eines optimierten Kostenmanagements die Sourcing-Frage für Speichertechnologien stellt (Public-/Private Cloud oder doch Eigenbetrieb).
6) Unternehmen müssen eine Kulturveränderung von einer qualitativen Kultur hin zu einem quantitativen Verständnis und Mindset einleiten.
Die bisher vorgestellten Punkte lassen sich durch das Management "mechanistisch" abarbeiten. Sie können projekthaft geplant, gesteuert und umgesetzt werden. Dies gilt nicht für den letzten und zugleich wichtigsten Punkt: Unternehmen stehen vor der Herausforderung, angefangen von der Spitze auf allen Ebenen ein quantitatives Verständnis und Mindset zu entwickeln. Ein solches Mindset lässt sich nicht einfach im Shop kaufen, ganz nach dem Motto: "Ich hole mir jemanden der dies einführt, damit ist das dann erledigt". Denn hier beginnt erst die eigentliche Arbeit, an deren Ende ein kultureller Wandel steht.
Fakt ist, dass in vielen Unternehmen Organisationseinheiten, Führungskräfte und Mitarbeiter anhand von Zahlen, Daten und Fakten gemessen werden. Diese Mitarbeiter werden einen Teufel tun und Zahlen zum Zweck der Analyse und Interpretation mit anderen Zahlen innerhalb und außerhalb des Unternehmens vernetzen. Anstelle der Vernetzung wird eher ein Silo-Denken gefördert. Viel zu oft schon wurde versucht, Schwierigkeiten und Fehler zu verheimlichen anstatt diese transparent als Basis zur Verbesserung zu werten und zu nutzen. Dies gilt auch und insbesondere für die Informationstechnik. Als Verfechter von Big Data kennt die IT-Abteilung oft selbst projektübergreifend ihren Aufwandseinsatz für Projektmanagement, Anforderungsmanagement, Realisierung und Test nicht. Die Frage nach den Gesamtkosten für ihre bisherigen "Big Data"-Bemühungen können die wenigsten Unternehmensverantwortlichen unmittelbar beantworten. Hier muss als erstes angesetzt werden, um zu einem anderen Verständnis bezüglich der Datennutzung zu gelangen.
So lange das interne Mindset im Unternehmen eher qualitativ geprägt ist und wesentliche Fragen mit hohem Wert für das Geschäft wegen "mentaler" Barrieren offen sind, sollten weitere Investition in Big-Data-Technologien im Sinne der vorgestellten Punkte konsequent bezüglich ihres Mehrwerts hinterfragt werden. (wh)