Die D2C-Brand Harry's hat mit seinem Geschäftsmodell einen rasanten Start hingelegt. Ein Rasierer, günstige Klingen und gratis Lieferung direkt vor die Haustür. Obendrein gibt es auch noch die Möglichkeit ein Abo abzuschließen. Ist der Kunde mit dem kostenlosen Probeset zufrieden, bekommt er vollautomatisch neue Klingen zugeschickt. Das Abo kann natürlich jederzeit problemlos gekündigt werden. Überraschenderweise ist dieser Service sogar wesentlich preisgünstiger als vergleichbare Produkte auf dem Markt. Außerdem gibt es die Möglichkeit, den Griff farblich anzupassen und zu personalisieren. Im Jahr 2020 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von über 300 Millionen Euro.
Auch in der Augenoptik haben Direct to Consumer Brands Einzug gehalten. Die Brillenmarke Warby Parker verschickt Brillen nicht nur ohne Zusatzkosten direkt an ihre Kunden, sondern bietet gleich fünf verschiedene Modelle zur Anprobe an. Bezahlt wird nur die Brille, die nach dem Anprobieren auch wirklich ausgewählt wird (die Rücksendung der anderen Brillen ist ebenfalls kostenlos). Aber nicht nur das: Die Marke hat auch eine neue Technologie entwickelt, die Augenuntersuchungen geradezu überflüssig macht. Dioptrien-Werte können einfach über eine App ausgelesen werden. Damit soll uneingeschränkter Komfort für die Kunden sichergestellt werden. Auch diese Marke zählte bereits seit 2015 zu den Unicorns.
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In der Beauty Branche gründen Influencer und Blogs bereits seit einiger Zeit eigene Marken und verkaufen die Produkte direkt an die eigene Community. Glossier, ist eine solche Direct-to-Consumer-Kosmetikmarke, die aus einem Blog heraus gegründet wurde. Im Zentrum des Erfolgs steht auch bei dieser Brand wieder eine kundenorientierte Perspektive und die Kundenzufriedenheit. Personalisierung ist hier ein sehr wichtiges Thema. Es ist beispielsweise möglich, anhand eines Tools Make-Up direkt auf individuelle Teints anzupassen. Außerdem werden mit jeder Aussendung Sticker mitgeschickt, um Kunden zu animieren, ihre Produkte zu individualisieren und Fotos davon auf Social-Media-Kanälen zu posten. Glossiere hat stolze 2,3 Millionen Follower auf Instagram und brachte es im Jahr 2018 auf einen Jahresumsatz von 100 Millionen Dollar. Diese D2C Brand erhielt 2020 ebenfalls den Unicorn-Status.
‘Last but not least’: Tails.com, eine D2C-Hundefuttermarke, die zur besseren Orientierung auf Curated Shopping setzt und mit diesem Ansatz die Branche aufmischt. Auf der Webseite beantworten potenzielle Kunden erst einige Fragen zu ihren Hunden. Nach deren Angaben wird das Futter dann individuell auf das Tier angepasst. Auch dieses Unternehmen arbeitet mit Gratis-Proben und komfortablem Abonnement-Modell, das jederzeit gekündigt oder angepasst werden kann. Im Jahr 2018 übernahm Nestle die Aktienmehrheit an der Marke und meldet für das Geschäftsjahr 2021 einen Zuwachs von 7,4 Prozent im Directo-to-Consumer-E-Commerce.
Diese Beispiele zeigen: D2C-Marken wirbeln die unterschiedlichsten Branchen auf. Aber was steckt hinter dem Hype. Und wird er sich durchsetzen können und eine ernstzunehmende Konkurrenz für große Marken? Bevor diese Fragen beantwortet werden, gilt es jedoch erst eine andere zu klären.
Direct to Consumer - Definition
Bei D2C geht es darum, Produkte direkt vom Hersteller an die Verbraucher zu verkaufen und zu vermarkten - auch Direktvertrieb genannt. Zwischenhändler und Mittelsmänner werden hier mit Absicht außen vor gelassen. Dies bringt natürlich einige Vorteile mit sich, vor allem ökonomische.
1. Im Verkauf werden Zwischenhändler und Mittelsmänner gezielt vermieden. Zum Einen hat dies den Vorteil, dass die Marke den Preis selbst festlegen kann und es keine nachträglichen Preisaufschläge für den Endverbraucher gibt. Das bedeutet eine größere Gewinnmarge für die Marke und einen niedrigeren Preis für die Endverbraucher. Zum Anderen hat dies auch zur Folge, dass Marken nicht mehr abhängig vom Einzelhandel sind. Weder Produktpräsentation noch Kundenservice wird Dritten überlassen - die volle Kontrolle liegt beim Hersteller. Die Gefahr durch Eigenmarken der Händler aus den Regalen verdrängt zu werden, wird dadurch minimiert.
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Technischer Fortschritt und Digitalisierung haben dies ermöglicht und enorm erleichtert. Jeder Hersteller ist heute in der Lage, einen eigenen Onlineshop einzurichten und auch kleine Produktmengen direkt an den Endverbraucher zu verkaufen. Für viele etablierte Marken, vor allem für Consumer Brands scheint dies noch immer untauglich und praxisfern. Dies liegt vor allem daran, das große, klassische Marken weniger agil und aufgrund bestehender Geschäftsverhältnisse mit Retailern in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt sind. Doch die Marktentwicklungen der letzten Jahre zeigen deutlich, dass vor allem Lebensmittel der am stärksten wachsende E-Commerce-Bereich ist. Dies zwingt etablierte Marken, ihre Strategien zu überdenken.
2. Im Marketing geht es bei einem Direct-to-Consumer-Ansatz darum, direkt mit den Endverbrauchern auf Augenhöhe zu kommunizieren. Das heißt, eigene Marketingkanäle zu Endverbrauchern aufzubauen, was teure Medienagenturen aus dem Rennen nimmt. TV und Print wird eine eher untergeordnete Rolle im Medien-Mix zugesprochen. D2C ermöglicht es Unternehmen, ihre Zielgruppe über eigene Medienkanäle direkt anzusprechen, was wiederum die Voraussetzung für ein möglicht effizientes und fundiertes, auf Informationen basierendes Marketing, schafft.
D2C Brands - Was ist das Geheimnis?
Grundlage für den Erfolg der Direct to Consumer Brands sind Daten und deren strategischer Einsatz. Genauer gesagt die Erhebung und Nutzung wertvoller First-Party-Daten. Auch hier muss nicht länger auf Dritte vertraut werden. Das Internet bietet eine Vielzahl von Kontaktpunkten, um Kunden zu erreichen. Leider haben viele Marken auch heute noch keine direkten Kontakt zu Ihren Kunden und daher keinen Zugang zu diesen wichtigen First-Party-Daten. Das wird immer noch zu oft über Zwischenhändler wie Amazon und Medienagenturen abgewickelt.
Digitalisierung ermöglicht Unternehmen, selbst Daten zu sammeln, die enorm wertvoll sind. Das Beispiel Tail verdeutlicht das. Personalisierte Tiernahrung wäre ohne diese Art der Datenerfassung nicht möglich und direkter Kontakt zu den Konsumenten ist der einzige Weg um diese unersetzlichen Informationen zu erhalten. Zudem können diese Daten in Echtzeit erhoben werden. Agenturen, die Daten erheben und vertreiben haben immer ihren eigenen Profit im Hinterkopf und aufgrund des Datenschutzes kann keine Identifizierung einzelner Kunden stattfinden. User müssen dem Gebrauch ihrer Daten explizit zustimmen.
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Ein wichtiger Moment, der leider viel zu oft vergessen wird, ist die Phase nach dem Kauf. Die Erfahrungen, die der Käufer letztendlich mit Produkt und Marke macht, wird oft maßlos unterschätzt. D2C Brands setzen genau hier an, wie das Beispiel Glossier aufzeigt. Durch die Option, Verpackungen mit Stickern zu personalisieren, wird die Freude über den Erhalt des Produktes gesteigert. Hier werden Kunden durch eine direkte und enge Kommunikation gebunden.
- Die 6 Phasen des Customer Lifecycle im Überblick
Forrester Research bezeichnet die sechs Phasen des Customer Lifecycle so: Discover, Explore, Buy, Use, Ask und Engage. Für jede dieser Phasen werden Technologien benannt, die die angestrebten Ziele des Unternehmens unterstützen. - 1. Discover
Die Kunden müssen erst einmal auf Marken, Produkte und Services aufmerksam werden und sich informieren können. Auf der Technologie-Ebene heißt das, dass Informationen fließen müssen: auf der eigenen Website, über Social Media-Angebote wie Facebook oder durch klassische Werbung. - 2. Explore
In der zweiten Phase orientieren sich die Kunden weiter. Sie vergleichen Ratings und Produktkritiken, besuchen Shops und Webshops, vergleichen Angebote und treten mit dem Anbieter in Kontakt. Was gilt es hier zu tun? "Ihre Lösungen müssen es den Kunden einfach machen, das alles zu tun", rät Forrester. - 3. Buy
Wer in dieser Kaufphase schlecht aufgestellt ist, droht Kunden zu verlieren - womöglich für immer. 81 Prozent der US-Kunden besuchen Websites nicht wieder, wenn man sie dort vergrätzt hat. Und mehr als 70 Prozent meiden fürderhin auch die physischen Läden der Unternehmen, die sie online enttäuscht haben. Technologie muss an dieser Stelle für einen reibungslosen Kaufvorgang sorgen. Laut Forrester sollten die Lösungen den Review-Prozess von Produktbesonderheiten unterstützen, übersichtlich sein, für die Kunden verständlich sein und Hilfestellungen bieten, falls Probleme auftreten. - 4. Use
Irgendwann verfügen die Kunden über das Produkt und bilden sich ihre Meinung darüber. An dieser Stelle gilt es, Customer Usage-Daten einzufangen, aus den sozialen Netzwerken oder über eingebettete digitale Funktionalitäten. Auf Grundlage dieser Daten gilt es an der Optimierung und Innovation der eigenen Angebote zu feilen. - 5. Ask
Auch nach dem Kauf suchen die Kunden nach Hilfe und Unterstützung und wollen ihre Fragen adressieren können. Lösungen müssen dafür sorgen, dass das über alle Kanäle hinweg leicht und wirksam funktioniert. - 6. Engage
Kunden wollen langfristig gebunden werden Auf der technologischen Ebene lässt sich das unter anderem durch Programme wie Voice of the Customer (VOC) oder Customer Experiment Measurement befördern.
In der heutigen digitalen Welt streben Menschen immer mehr nach persönlichen, zwischenmenschlichen Kontakten. Um sich gegenüber der Konkurrenz abzuheben und nicht nur das eigene Überleben zu sichern, sondern auch für stabiles Wachstum zu sorgen, sollten Marken eine Beziehung zu ihren Kunden aufbauen. Das sind die Endverbraucher, nicht die Händler.
Die gesammelten Daten und die direkte Kommunikation mit den Konsumenten hat den Vorteil, dass Produkte und Kommunikation direkt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten werden können. Damit steigt nicht nur die Kundenzufriedenheit, sondern auch ihre Customer Lifetime Value.
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D2C Hype - und die Folgen für etablierte Marken
Direct to Customer ist keine neue Erfindung - die direkte und persönliche Ansprache von Kunden funktioniert heute weitestgehend vollautomatisch. Dennoch sind viele Marken noch nicht bereit für den Umstieg. Sowohl technische Möglichkeiten als auch der Wert und die Relevanz von D2C werden unterschätzt.
Ob der Hype um das Direct-to-Consumer-Modell nur ein vorübergehender ist oder nicht, liegt in den Händen der etablierten Marken. Falls diese einfach weitermachen wie bisher, dann sind für D2C Brands alle Wege geebnet, weiterhin sämtliche Branchen aufzumischen. Der Fokus von Marken und Marketieren muss sich verschieben - von der Profitorientierung hin zur Kundenbindung. Es sind diese loyalen, wiederkehrenden Kunden, mit denen wirklich Profit gemacht wird: Diese Kundengruppe,
kauft öfter,
kauft mehr verschiedene Produkte,
empfiehlt Produkte weiter an Freunde,
gibt nützliches Feedback,
verursacht weniger Servicekosten und
ist weniger preissensibel.
Um also die Frage ein für alle Mal zu beantworten: Direct to Consumer ist mehr als nur ein Buzzword - D2C ist ein digitales Wachstumsmodell mit Zukunft. Weitere Informationen finden Sie in diesem Buch. Darin erklärt der Autor warum Markenmodelle von gestern heute nicht mehr erfolgreich sind; was Marken gegen die klaffende Lücke zwischen Awareness & Sales Uplift tun können; und wie Marken Daten und Technologien für mehr Kundenorientierung und stärkeres Wachstum einsetzen können. (bw)