Viele CIOs versprechen sich mehr Agilität und Kostenvorteile, wenn sie Anwendungen in die Cloud migrieren. Dabei wählen sie meist eine Kombination aus Public- und Private-Cloud-Umgebungen, um Sicherheits- und Compliance-Anforderungen zu genügen. Während der Pandemie ist die Nutzung von Cloud-Diensten noch einmal deutlich gestiegen, da viele Betriebe Ausfallsicherheit in Remote-Work-Szenarien angepeilt und oft auch auf die Schnelle E-Commerce-Ansätze umgesetzt haben.
Doch die Implementierung hybrider Cloud-Umgebungen verläuft in den seltensten Fällen reibungslos. Beispielsweise stellen die Finanzierungsmodelle für den Betrieb von Cloud-Infrastrukturen eine Herausforderung dar. Viele IT-Leiter haben festgestellt, dass eine schlechte Governance den Betrieb von Cloud-Software teurer werden lässt als die Bereitstellung aus dem eigenen Data Center. Zudem verläuft die Innovationsgeschwindigkeit bei Cloud-Services und -Architekturen so schnell, dass nicht alle Firmen Schritt halten können. Dennoch wissen IT-Leiter um die Vorteile einer Cloud-Strategie und können zudem ohnehin nicht mehr umkehren. Unsere US-Kollegen von CIO.com nennen die Trends, die 2021 prägen werden.
1. Der RoI kommt nicht von alleine
Eine im November 2020 von Accenture veröffentlichte Studie birgt eine hässliche Wahrheit: Den meisten Unternehmen ist es noch nicht gelungen, einen messbaren Mehrwert aus ihren Cloud-Investitionen herauszuholen. Von 750 Geschäfts- und IT-Führungskräften sagen nur 37 Prozent, dass sich ihre Cloud-Investitionen wie erwartet gerechnet haben. Weitere 29 Prozent haben zumindest die Hoffnung auf einen Return on Invest noch nicht verloren.
Karthik Narain, Global Lead des Bereichs Cloud First bei Accenture, sieht zwei Gründe für die ernüchternde Zwischenbilanz: Unternehmen schaffen es nicht, sich von Altsystemen zu lösen, und sie konzentrieren sich bei ihren Migrationen zu stark auf Nebenschauplätze - auf Anwendungen also, die für den Geschäftserfolg nicht entscheidend sind. Narain nennt das Beispiel einer Hotelkette, die ihr Spesenmanagement in die Public Cloud verlagert, aber ihr zentrales Reservierungssystem im Hause behält. Wer zweitrangigen Services den Vorzug gebe, könne keine Wertschöpfung erwarten.
Narain empfiehlt entschlossenes Vorgehen, wobei vor allem im Change Management die Hausaufgaben gemacht werden müssten. Wer das versäume, werde auch 2021 Schwierigkeiten haben, mit der Migration in die Cloud einen RoI zu erzielen.
2. In der Cloud 2.0 werden PaaS-Dienste wichtig
Nahezu ein ganzes Jahrzehnt lang standen Compute- und Storage-Dienste aus der Cloud im Vordergrund. Im Jahr 2021 dürfte sich das Gewicht von Infrastruktur- auf Business-Services verlagern. Jetzt werden Platform-as-a-Service (PaaS), Microservices und APIs in den Mittelpunkt rücken, weil Unternehmen ihre Plattform- und Ökosystem-Ansätze ausbauen wollen. Dieser Meinung ist zumindest Joe Kinsella, Vice President der VMware-Geschäftseinheit CloudHealth, die Software für das Hybrid- und Multi-Cloud-Management anbietet.
Vor allem APIs und Plattformen für deren Management werden laut Kinsella wichtiger. Sie machten ganz neue übergreifende Geschäftsszenarien möglich - etwa wenn Car-Sharing-Dienste mit Banken und anderen Dienstleistern zusammenarbeiteten, um Kunden Dienste und Rabatte aus einem Guss zu offerieren. In Cloud-2.0-Zeiten werden laut Kinsella auch die reinen Lift-and-Shift-Projekte zurückgehen. Die Anwender werden Cloud-native Anwendungen entdecken, die mithilfe von Microservices-Technologie gebaut werden.
3. Co-Innovation auf dem Vormarsch
Accenture-Manager Narain erwartet zudem, dass sich Unternehmen in ihren Geschäftsphilosophien öffnen werden, um zusätzliche Wertschöpfungsquellen zu erschließen. Sie würden Partnerschaften mit Cloud-Anbietern, Beratern und anderen eingehen, um gemeinsam neue Fähigkeiten zu entwickeln. Als Beispiel nennt er die amerikanische Agrargenossenschaft Land O'Lakes, die zusammen mit FedEx und Microsoft Produkte entwickelt.
Auch Amazon Web Services (AWS) unterhalte solche Technologiepartnerschaften - beispielsweise mit dem japanischen Pharmakonzern Takeda und dem US-Hersteller von Kälteanlagen Carrier. Hier in Deutschland arbeiten AWS und Volkswagen oder die Deutsche Bank und Google Cloud eng zusammen. Solche Co-Innovationspartnerschaften zwischen großen Unternehmen und Hyperscalern sollen 2021 stark zunehmen.
4. Die Cloud wird (noch) komplexer
Schon jetzt ist es alles andere als einfach, die vielfältigen Build- und Deploy-Ansätze in der Cloud zu verstehen, doch das Problem spitzt sich weiter zu, weil Unternehmen immer neue virtuelle Server und Speicher zur Unterstützung bestimmter Anwendungen in Betrieb nehmen und in ihre Cloud-Umgebung einbinden. Es entstehen Systemabhängigkeiten, die kaum noch zu durchschauen sind, warnt VMware-Manager Kinsella.
Hinzu komme, dass AWS, Microsoft und Google in kurzen Abständen neue Cloud-Services auf den Markt brächten - Stichworte sind etwa Serverless oder Functions-as-a-Service. Oft könnten die Tools, die für die Nutzung und das Management solcher Dienste erforderlich seien, mit dem Innovationstempo der Hyperscaler nicht mithalten. "Die Cloud ist wirklich komplex", sagt Kinsella. "Die Architekturlandschaft ändert sich ständig."
Jeff Kukowski, CEO von CloudBolt, empfiehlt Anwendern, Governance-, Sicherheits- und andere Funktionen so weit wie möglich zu automatisieren. Allerdings ist dieser Rat nicht ganz frei von Interessen: CloudBolt bietet Self-Service-Software für das Management von Cloud-Umgebungen an. "Alles individuell selbst zu programmieren, ist eine Herausforderung", fügt er hinzu.
- Robin Parr, Neos
"Wie stark der Impact von Cloud-native ist, sieht man auch an Themen wie DevOps: Während Entwicklung und Betrieb in traditionellen Umgebungen möglichst nah zusammenwachsen, existiert diese Trennung bei Cloud-native schon gar nicht mehr: „Dev" und „Ops" sind dort ein und dieselbe Person." - Heinz Bruhn, Rackspace
"Cloud-native bedeutet mehr Freiheit, die gleichzeitig mit gestiegenen Ängsten bei den Unternehmen einher geht – auf prozessualer, auf technologischer und nicht zuletzt auf organisatorischer Ebene. Um diese zu adressieren, braucht es die Bereitschaft der Geschäftsführung, auf jeder dieser Ebenen die notwendigen Veränderungen anzustoßen." - Matthias Kranz, Red Hat
"In der Diskussion mit Kunden treten wir häufig ganz bewusst einen Schritt zurück und fragen: Warum soll es überhaupt die Cloud sein? Auf der Basis dieser Frage gilt es dann, eine klare Strategie zu formulieren und nicht einfach „Lift and Shift” zu betreiben. Das gilt auch und vor allem für die kulturelle Ebene: Gerade in großen Unternehmen führt eine allzu schnelle Migration zu Unsicherheit und auch zu Widerstand. Erst wenn der Nutzen klar wird, verschwinden die Ängste." - Rene Funk, Maturity
"DevOps ist grundsätzlich der richtige Ansatz, wenn es von der Organisation entsprechend konsequent umgesetzt wird –- strukturell und kulturell. Vergleiche mit traditionellen Methoden belegen, dass dann die Abstimmung zwischen Angebot und Nachfrage schneller läuft, Fehlerquoten sinken und unter dem Strich die Applikations-TCO reduziert wird." - Marcus Flohr, Delphix
"Wir können uns Prozesse und Technologien ausdenken, wie wir wollen: Wenn die richtige kulturelle Basis nicht da ist, dann laufen wir gegen Wände. Diese Voraussetzungen schaffen wir aber nur in einem kontinuierlichen Prozess, der die gesamte Organisation betrifft. Eine Ausgründung in Form eines Start-ups kann oft auch ein Entwicklungshemmer sein, da die generierten Innovationen es nicht in die Mitte des Unternehmens schaffen." - Simon Fleischer, ConSol
"An die Stelle von technischem Know-how tritt in Cloud-native-Umgebungen das Business-Know-how, das den Nutzen einer Technologie in den Vordergrund stellt. Vor allem mit Blick auf den Fachkräftemangel ergeben sich für viele Unternehmen so auch Chancen. Sie können sich fragen, welches Wissen sie wirklich im Haus benötigen." - Benjamin Treichel, Brockhaus
"Die gewissenhafte Analyse von Prozessen ist ein wesentliches Erfolgskriterium bei der Überführung von Unternehmensinfrastrukturen in die Cloud. Wenn von oben einfach nur die Ansage „Wir machen ab jetzt Cloud” kommt, dann kommt lediglich „Lift and Shift“ dabei heraus. Erst wenn Unternehmen verstehen, dass die Migration ein langwieriger, aber lohnenswerter Prozess ist, schaffen sie den Sprung. Ein großer Hemmschuh ist außerdem nach wie vor die Security. - Dominic Lindner, ownCloud
"Gerade in mittelständischen Unternehmen besteht häufig eine hohe Unsicherheit, ob sich die hohen Kosten und Aufwendungen der Integration von Daten in die Cloud lohnen und wo man genau ansetzen kann. Hier gilt es, mithilfe von klaren Use-Cases, erste Ansätze der Nutzung von Cloud kostengünstig zu erproben."
5. Kosten schwer in den Griff zu bekommen
Hybrid-Cloud-Systeme im Rahmen des vorgesehenen Budgets zu betreiben, gerät oft zu einer echten Herausforderung. Kinsella sieht die Probleme der Anwender und gesteht, dass er in Diensten eines anderen Unternehmens, das früh auf AWS setzte, mit ansehen musste, wie sich seine Cloud-Rechnung unerwartet auf 350.000 US-Dollar verdoppelte. Einige CIOs setzen FinOps ein, eine Kombination aus betriebswirtschaftlichen Praktiken und Analysesoftware, mit der sich die Kosten für die Nutzung der Cloud kalkulieren lassen soll. Eine Studie der FinOps Foundation zeigt aber, dass die Hälfte der FinOps-Praktiker am Ende auch keine echten Erfolge bei der automatisierten Verwaltung ihrer Cloud-Investitionen aufweisen konnte.
6. Konsolidierung schreitet voran
Der Markt für Cloud-Management-Services werde sich 2021 weiter konsolidieren, prophezeit CloudBolt-CEO Kukowski. Sein Unternehmen hatte im vergangenen Jahr SovLabs, einen Spezialisten für Hybrid-Cloud-Integration, sowie den Cloud-Management-Anbieter Kumolus übernommen. Solche Deals sind in der Branche derzeit an der Tagesordnung. Binnen vier Jahren kaufte VMware CloudHealth, HPE erwarb Cloud Cruiser, Flexera schnappte sich RightScale und Apptio übernahm Cloudability. "Der Hybrid- und Multi-Cloud-Bereich ist gesetzlos wie der Wilde Westen", sagt Kukowski.
7. Cloud ist jetzt ein Vorstandsthema
CIOs sind nicht mehr die einzigen Führungskräfte, die den Wert der Cloud entdecken. Immer mehr CEOs und andere Führungskräfte auf dem C-Level diskutieren Vor- und Nachteile einer Migration zu Cloud-Services, sagt Accenture-Mann Narain. "In den letzten sechs Monaten ist die Zahl der Gespräche, die ich mit CEOs und Vorständen zum Thema Cloud geführt habe, sprunghaft angestiegen", so der Berater. Die Vorstände wollen in dieser strategischen Frage die Weichen stellen. Cloud wird in immer mehr Unternehmen top-down ausgerollt. (hv)