CIO des Jahres

Vinzenzmurr

CIO Ulrich Wiedemann gelingt papierloses Meisterstück

08.11.2023
Von 


Florian Maier beschäftigt sich mit diversen Themen rund um Technologie und Management.
Vinzenzmurr verbindet Traditionshandwerk mit Digitalisierung und erschließt mit dem Verzicht auf ein kleines Stück Papier große Mehrwerte.
  • CIO des Jahres 2023
  • Finalist, Kategorie Mittelstand
Ulrich Wiedemann, IT-Chef bei Vinzenzmurr, war im Rahmen des Digitalisierungsprojekts nicht nur mit kulturellen, sondern auch mit bürokratischen Herausforderungen konfrontiert.
Ulrich Wiedemann, IT-Chef bei Vinzenzmurr, war im Rahmen des Digitalisierungsprojekts nicht nur mit kulturellen, sondern auch mit bürokratischen Herausforderungen konfrontiert.
Foto: vinzenzmurr

Bei der Traditionsmetzgerei Vinzenzmurr stehen Handwerk und Qualitätsprodukte seit jeher im Fokus. Was im Umkehrschluss allerdings nicht heißt, dass das mittelständische Unternehmen, das in Südbayern ein 225 Standorte starkes Filialnetzwerk aufgebaut hat und insgesamt etwa 2.000 Mitarbeiter beschäftigt, nicht danach strebt, neue, digitale Wege zu beschreiten. Ganz im Gegenteil: Kontinuierliche Digitalisierung beziehungsweise Automatisierung stellt für Vinzenzmurr einen wesentlichen Erfolgsfaktor und Wettbewerbsvorteil dar. Darum hat das in München beheimatete Unternehmen unter der Ägide von IT-Leiter Ulrich Wiedemann eine ganze Reihe von IT-, respektive Digitalisierungsinitiativen angestoßen - und teilweise bereits umgesetzt.

Die Digitalisierung der Kassenbelege ist dabei ein Projekt, das besonders heraussticht, denn es bot die Möglichkeit, in mehrfacher Hinsicht auf Kunden- wie Händlerseite Mehrwerte zu generieren. Dabei geht es in erster Linie darum, Prozesse zu optimieren und Ressourcen einzusparen, um:

  • steigende Energie- und Rohstoffpreise aufzufangen,

  • einem sich wandelnden Konsumverhalten gerecht zu werden sowie

  • die eigene Markenwahrnehmung glaubhaft in Bezug auf Innovation und Nachhaltigkeit zu stärken.

Trio Digitale

Bei der konkreten Umsetzung dieses Vorhabens waren neben Vinzenzmurr als physische Schnittstelle zum Kunden auch das Tech-Startup Anybill (Digitalisierung der Belege) sowie der Technologiedienstleister Bizerba (Kasseninfrastruktur) beteiligt. Wiedemann und sein IT-Team initiierten und moderierten im Rahmen des Projekts die konzeptionelle Planung und Integration der Anybill-Umgebung in die Kasseninfrastruktur von Bizerba.

Das bedeutete für die Vinzenzmurr-IT nicht nur, mit agilen Entwicklungsmethoden eine Schnittstelle zu entwickeln, um die Technologien der Partner miteinander zu integrieren. Für Wiedemann und seine Kollegen galt es auch, Überzeugungsarbeit bei Bizerba zu leisten, den Funktionsumfang seiner Kassen entsprechend zu erweitern. Ein Unterfangen, mit dem Vinzenzmurr erfolgreich war. Zu Testzwecken konnte die Traditionsmetzgerei auf ihr eigenes IT-Testlabor zurückgreifen, wo der Einsatz der finalen Lösung im Filialbetrieb simuliert und die Kompatibilität zum bestehenden Kassenverbund mit fast 1.000 Geräten sichergestellt wurde.

Ein Blick ins papierlose Belegportal von Vinzenzmurr.
Ein Blick ins papierlose Belegportal von Vinzenzmurr.
Foto: vinzenzmurr

Damit stand die wesentliche Aufgabe allerdings noch bevor: der Rollout der Lösung in den Filialen sowie die Schulung der Mitarbeiter. Weil insbesondere Letzteres mit erhöhtem Aufwand verbunden ist, entschied sich der IT-Chef für ein iteratives Vorgehen, bei dem zunächst die Filialen mit der höchsten Kundenfrequenz umgestellt wurden. Das bot laut Wiedemann nicht nur einen Vorteil: "Die prognostizierten Mehrwerte werden so aufgrund höherer Transaktionsvolumina deutlich sichtbar. Zudem können wir in Sachen Change Management aus den gemachten Erfahrungen lernen und diese im weiteren Verlauf im Sinne der Belegschaft nutzen."

Inzwischen sind zwei von drei Rollout-Phasen abgeschlossen - bis Ende 2023 plant Vinzenzmurr auch die restlichen Filialen auf papierlose Belege umgestellt zu haben.

"Unterschätze nie die deutsche Bürokratie"

Die Benefits des Projekts manifestieren sich in drei Bereichen:

  • Nachhaltigkeit: Vinzenzmurr spart mit seinen digitalen Händlerbelegen pro Jahr mehr als 100 Kilometer Thermopapier, jede Menge manuelle Handgriffe, Logistik - und nicht zuletzt physische Archivfläche: Knapp 60.000 Belege pro Monat werden schon heute nicht mehr gedruckt, gesammelt und zentral gelagert, sondern vollständig digital übermittelt und papierlos archiviert.

  • Onlinemarketing: Digitale Kundenbelege bieten neue Möglichkeiten - etwa dynamische Werbeflächen. Das bietet Potenzial, digital zu wachsen. Vinzenzmurr erwartet so, zukünftig monatlich 500 zusätzliche Newsletter-Anmeldungen und 1.000 neue Google-Bewertungen zu generieren.

  • Digital Workplace: Im Gegensatz zu anderen Projekten ermöglicht dieses den Mitarbeitern in den Filialen einen komplexitätsarmen, niedrigschwelligen Zugang zur Digitalisierung. Darüber hinaus entfaltet der digitale, nachhaltige Fokus potenziell auch eine hohe Außenwirkung bei Kunden und möglichen Bewerbern.

Digitalisierte Prozesse können auch im traditionellen Handwerk diverse Benefits erschließen, wie das Beispiel Vinzenzmurr eindrucksvoll belegt.
Digitalisierte Prozesse können auch im traditionellen Handwerk diverse Benefits erschließen, wie das Beispiel Vinzenzmurr eindrucksvoll belegt.
Foto: vinzenzmurr

"Auch ohne Garantie und Retoure - was bei unseren Produkten eher schwierig ist - hat der Kassenbeleg großes Potential", scherzt Vinzenzmurr-IT-Chef Wiedemann auf die Frage nach seinen "Lessons Learned" - und fügt dann hinzu: "Unterschätze nie die deutsche Bürokratie. Als größter Digitalisierungs-Hemmschuh hat sich auch in diesem Fall die Ableitung einer EU-Richtlinie in deutsches Recht erwiesen. Dabei ging es im Kern um die Frage: 'Geht 'ausdrucken' auch digital oder nur auf Papier?'. Abgesehen davon ist der digitale Wandel in einem handwerklich geprägten Unternehmen insbesondere auch ein kultureller."

Das sagt die Jury vom "CIO des Jahres 2023"

Die Arbeit von Wiedemann und seinem Team überzeugte auch die Jury vom "CIO des Jahres 2023", die ihm dafür einen Platz unter den Finalisten in der Kategorie Mittelstand reservierte. Jurorin Stefanie Kemp, Chief Transformation Officer bei den Sana-Kliniken, lobt: "Ein wunderbares Projekt im Handwerk". Die Wertschöpfung des Projekts sei beeindruckend beschrieben: "So einfach und komplex kann Digitalisierung sein." Auch Jens Schulze, CIO vom Universitätsklinikum Frankfurt ist begeistert: "Sehr oft sind es die kleinen Dinge, die wir alle kennen, hinter denen sehr viel Potential steckt, was die Vinzenzmurr-IT mit diesem Projekt bewiesen hat. Ein sehr schöner Wertbeitrag. Klasse!" (kf)

Mehr Infos zum Projekt

Circa 10.000 Euro für die Entwicklung des Pilotprojekts und der Schnittstellen; circa 25.000 Euro jährlich für Software und Services;
"So einfach und komplex kann Digitalisierung sein."