IT-Wissen überprüfen

Chancen und Grenzen von Zertifizierungen

10.12.2014
Von 
Christiane Pütter ist Journalistin aus München.
Wie lassen sich IT-Wissen und -Fertigkeiten am besten prüfen? Sind berufsunabhängige Zertifizierungen eine Alternative, und wenn ja, wie sollten sie aussehen? Am CW-Roundtable diskutierten CIOs, Personaler und Manager aus der IT-Industrie über Möglichkeiten und Grenzen von Zertifizierungen.

300 PS unter der Haube, das kann mir ein Stück Papier sagen. Aber kann der Halter auch fahren? Das ist doch die entscheidende Frage." Mit diesem Vergleich wies Burkhard Kaufmann darauf hin, wie wichtig es sei, dass freie Mitarbeiter ihr Wissen nachweisen können. Kaufmann ist Geschäftsführer beim norddeutschen IT-Dienstleister Bitmarck und war Teilnehmer einer Diskussionsrunde, zu der die COMPUTERWOCHE im November nach München eingeladen hatte.

Thema war die Frage, wie IT-Profis und vor allem IT-Selbständige ihre Skills am besten nachweisen können. Umgekehrt stellt sich natürlich auch die Frage, was Arbeitgebern hilft, das Wissen und Können der Kandidaten zu ermitteln. Und schließlich wurde auch diskutiert, was herstellerunabhängige Zertifizierungen zur Lösung des Problems beitragen können.

Es gibt keine reinen IT-Projekte mehr

In einem Punkt waren sich alle Gesprächspartner einig: Die meist herstellerbezogenen und produktorientierten Zertifikate reichen nicht mehr aus. Zu wichtig sind mittlerweile Fähigkeiten in puncto Kommunikation und Teamgeist geworden. "Wenn ein Projekt nicht in time, in budget und in quality abgeliefert wird, liegt das oft nicht daran, dass fachliches Wissen fehlt, sondern daran, dass es auf der menschlichen Ebene Schwierigkeiten gegeben hat", beobachtet Christian Flöter, Head of People Resourcing bei Airbus Deutschland. Und Jürgen Stauber, Director Manufacturing Pharma und Retail bei Hewlett-Packard, sagte, er brauche in seinem Team keine "Diven", wie man sie ja im Fußball oder unter Künstlern kenne, sondern integrative und kommunikationsstarke Teamplayer.

Um die Anforderungen an IT-Profis besser verstehen zu können, müsse auch das Rollenverständnis der IT im Unternehmensalltag bei allen Mitarbeitern ankommen. "Es gibt keine reinen IT-Projekte mehr bei uns", sagte etwa Stephan Rutter, CIO beim Münchner Konzern Krauss-Maffei. "Wir gestalten immer Geschäftsprozesse." Freiberufliche Informatiker müssten daher Prozesskompetenz mitbringen und den Zusammenhang von Logistik und Finanzen verstehen. Sie sollten sich schnell in komplexe Sachverhalte einarbeiten können.

Aufwändige Auswahl der IT-Freelancer

Jörg Öynhausen, Geschäftsführer von Bechtle Onsite Services, bemängelte das Fehlen von Zertifikaten für konkrete und klar umrissene Aufgaben. Die Bechtle Akademie, an der sich die Belegschaft weiterqualifizieren kann, fülle diese Lücke mit eigenen Zertifizierungen. Dafür würden zum Beispiel Projekt-Management-Methoden wie Prince 2 an die Anforderungen des eigenen Unternehmens und die unterschiedlichen Kundensituationen angepasst.

Ein weiteres Ergebnis der Diskussion: Auswahl und Einkauf freier Mitarbeiter kosten Zeit. Zwei bis drei Bewerbungsrunden sind nach der Erfahrung von Jürgen Renfer, CIO der Kommunalen Unfallversicherung Bayern (KUVB), auf jeden Fall erforderlich. Er wünsche sich eine gute Vorauswahl durch den Personaldienstleister. Simon Ashdown, Geschäftsführer der Pixel Group aus München, konnte diesen Wunsch nachvollziehen: "Die Auswahl der Freien ist fast so aufwendig wie die von Festen", berichtete er. Allerdings zeigte er sich wenig erfreut über eine Entwicklung, die er in letzter Zeit immer häufiger beobachte, dass nämlich die "Mauer zwischen Einkauf und Fachabteilung immer höher wird".

Bevor es darum geht, den Freiberufler auf Herz und Nieren zu prüfen, also Referenzen, Zeugnisse, Zertifikate, müsse der Auftraggeber einige Hausaufgaben erledigen, hieß es in der Diskussion. Unternehmen sollten ihre Projekte von Anfang an transparent aufsetzen, lautete eine Forderung. "Gerade das Big Picture eines Vorhabens mit eindeutigen Rollen, Aufgaben und Entscheidungsstrukturen muss gut verstanden sein, um dann Projekte mit abgestimmten Job- und Skill-Profilen intern und ergänzend extern zu besetzen", so HP-Manager Stauber. Schließlich benötige der externe Dienstleistungspartner ein gutes Verständnis der Kultur der zu versorgenden Unternehmen, um auch bezüglich der weichen Skills die richtigen Personen zu vermitteln.

Können der IT-Freiberufler überprüfen

"Was ein IT-Selbständiger wirklich kann, stellt sich oft über Referenzen und Netzwerke heraus", lautet die Erfahrung von Krauss-Maffei-CIO Rutter, der so am ehesten die für ihn geeigneten Experten findet. HP-Mann Stauber erwartet zudem in den nächsten fünf Jahren eine rasante Entwicklung. Seine These: "Wir werden über Social Media eine ganz andere Vernetzung haben. Die Freien hinterlegen nicht nur ihr Know-how und ihre Kompetenzen, sondern auch ihre Referenzen, die von anderen im Netz bestätigt werden."

Bechtle Onsite-Chef Öynhausen sähe das gern: "Das würde uns einige Telefonate mit den Referenzkunden der Freien ersparen." Den Einfluss von Social Media kann Rutter bestätigen. Der CIO gibt jedoch zu bedenken, dass Grenzen in der Aussagekraft bestehen - denn "die Sternchen zur Bewertung beim Online-Shop relativieren sich ja auch".

Der CW-Roundtable diskutierte auch über die sich verändernden Berufsbilder. Berufe "existieren nicht mehr in Silos", kommentierte Airbus-Manager Flöter. Er könne sich für ein Zertifikat als Ergebnis eines unabhängigen Assessments erwärmen, mit dem Bewerber ihre Angaben aus dem Lebenslauf zusätzlich belegen könnten. "Die Frage ist: Wie finden wir Instrumente, die das abbilden können?" Für Bitmarck-Chef Kaufmann berührt das die Felder Strategie und Entwicklung. Unternehmen müssen sich und ihre Mitarbeiter heute auf die Situation vorbereiten, in der sie drei bis fünf Jahre später stehen werden. Sein Stichwort dazu ist Agilität: "Wir haben ja nicht nur agile Softwareentwicklung, sondern auch eine Agilität zwischen Linie und Projekt, auch hier verschwimmen die Grenzen."

Burkhard Kaufmann, Geschäftsführer Bitmarck: Einen Cisco-zertifizierten Mitarbeiter zu suchen, ist einfach. Die mehrdimensionale Suche nach einem Mitarbeiter, der über Prozess- und Methodenerfahrung verfügt, ist weit schwieriger."
Burkhard Kaufmann, Geschäftsführer Bitmarck: Einen Cisco-zertifizierten Mitarbeiter zu suchen, ist einfach. Die mehrdimensionale Suche nach einem Mitarbeiter, der über Prozess- und Methodenerfahrung verfügt, ist weit schwieriger."

Das verlange Entscheidern und Mitarbeitern Flexibilität ab, aber auch den Freiberuflern. Was wiederum die mangelnde Reife bisheriger Zertifizierung zeige: "Einen Cisco-zertifizierten Mitarbeiter zu suchen, ist einfach", meinte Kaufmann. "Die mehrdimensionale Suche nach einem Mitarbeiter, der über Prozess- und Methodenerfahrung verfügt, ist weit schwieriger." Pixel-Chef Ashdown nickt. Er bekomme gern "ein bisschen Prosa" von den Entwicklern. Dass sie eben nicht nur erklären, sie hätten dieses oder jenes Projekt gemanagt, sondern auch beschreiben, wie sie das getan haben.

Dieses "Wie" ist für KUVB-CIO Renfer eine von drei Dimensionen. "Wer" und "Was" lassen sich über Zertifikate abfragen, kaum aber die Transferkompetenz. Er fasst die Diskussion so zusammen: "Zertifizierungen können über Tests funktionieren, aber wünschenswert wäre, dass auch der menschliche Faktor erfasst wird."

Die Zertifizierungsalternative

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion präsentierten IDG-Verlagsleiter Michael Beilfuß und Günter Hilger, Vorstand des IT-Dienstleisters Geco, den neuen, produktunabhängigen Zertifizierungsstandard CELS (Certified by Professionals). Hier können IT-Experten über Internet-Assessments ihr jeweiliges IT-Berufsbild zunächst kostenlos zertifizieren lassen.

Das Spannende daran: Die ganzheitlichen und hersteller­unabhängigen Berufsbilder werden von der IT-Community selbst entwickelt. Erstmals soll der Standard auch Soft Skills erfassen - den menschlichen Faktor eben. CELS prüft alle erforderlichen ­Eigenschaften eines IT-Berufsbildes, fragt Wissen und Methoden ab. Im Augenblick gibt es die Zertifizierung für den Mobile Application Expert und den Cloud ­Security Expert, weitere sind in Arbeit.

Informationen ­inklusive der ersten Tests sind hier ­erhältlich.