Letztes Jahr war ein aufregendes Jahr für Ubuntu, geprägt von vielen Erfolgen und denkwürdigen Momenten. Die ersten fünf Minuten schenkt Shuttleworth der Beweihräucherung von Ubuntu 12.04, ohne mit nur einer Silbe auf die Spyware-Kritik zu Ubuntu 12.10 einzugehen. Dann endlich präsentiert er die Neuigkeit: Ubuntu Phone.
"Lasst uns in eine Welt eintreten, in der alles möglich ist" - ein Satz, der auch von Tech-Propheten wie Steve Jobs oder Bill Gates hätte stammen können, und der durchaus die Neugier des Zuschauers zu wecken weiß. Demonstriert an einem Galaxy Nexus, zeigt Shuttleworth Gestaltung und Umgang mit dem neuen Smartphone-Betriebssystem, in dem - natürlich - Einzigartigkeit und Personalisierung im Vordergrund stehen sollen. Und tatsächlich scheint es sich bei Ubuntu Phone nicht um einen Android-Abklatsch zu handeln, sondern ein durchweg durchdachtes Interfacedesign, in dessen Zentrum der sogenannte "Welcome Screen" steht.
Statt des Lock-Screens, wie er von gängigen Betriebssystemen bekannt ist, wird ein den Bildschirm vereinnahmender Welcome Screen dargestellt, der nicht nur die Uhrzeit, verpasste Anrufe, Nachrichten, Tweets oder Ähnliches anzeigt. Von ihm aus können auch direkt die Menüs und Apps angesteuert werden - selbst wenn zunächst keine Programmsymbole zu sehen sind. Die Navigation des Systems unterscheidet sich durchaus von der Konkurrenz, denn sie geschieht mittels Wischgesten von den Seitenrändern des Displays, wobei jeder Rand eine eigene Funktion inne hält.
So ist eine kurze Wischgeste von links nach rechts am linken Bildschirmrand nötig, um eine vertikal angeordnete Übersicht der favorisierten Apps anzuzeigen - diese Leiste kann jederzeit ein- und wieder ausgeblendet werden. Eine ausfallendere links-rechts-Geste öffnet das Verzeichnis aller installierter Apps. Wird am rechten Rand des Bildschirms von rechts nach links gewischt, kann zwischen der aktuellen und der zuvor geöffneten App hin und her navigiert werden. Der obere Rand ist wie bei Android oder iOS für die ausblendbare Statusleiste vorgesehen, doch unterscheidet sie sich in der Hinsicht von den Mitbewerbern, als dass die angezeigten Icons durch Ziehen und Halten auch die entsprechende Einstellungsmöglichkeit für Akku oder Lautstärkeeinstellungen öffnen. Praktisch: Eine in der Statusleiste verankerte Suchfunktion durchsucht nicht nur die Daten des Smartphones, sondern auch die in der Cloud gespeicherten oder im Internet auffindbaren Suchbegriffe. In jedem Fall wird für die Suche eine Ergebnisübersicht geboten, die Medien oder verwandte Themen anzeigt - "one search to rule them all."
Am unteren Bildschirmrand ist übrigens standardmäßig gar nichts zu sehen - keine Icons, keine Buttons, keine Quicktipps, kein Widget. Stattdessen versteckt sich hier ein für jede App einzigartiges Menü, das per Wischgeste von unten nach oben aufgerufen und umgekehrt wieder geschlossen wird. Mehr Platz auf dem Bildschirm ist das Motto, welches durch die Ausrichtung auf Sprachsteuerung weiter untermauert wird.
Desktop-kompatibel
Auch einige technische Merkmale werden im Demonstrationsvideo verraten. So sollen alle auf dem Desktop-Ubuntu funktionierenden Programme und Dienste problemlos auch auf Ubuntu Phone zum Laufen gebracht werden. Es können somit native - also speziell für das System geschriebene - Apps wiedergegeben werden, wie auch WebApps oder in HTML5 geschriebene Programme, wodurch die Konvertierung von iOS- und Android-Apps erleichtert wird. Für das Programmieren nativer Apps steht übrigens jetzt schon eine auf QML basierende Entwicklungsumgebung bereit, auch wenn ein Veröffentlichungstermin des Betriebssystems selbst noch nicht bekannt gegeben wurde.
Da Ubuntu Phone auch mit Kernel und Treibern von Android zurecht kommt, wird es auch auf einigen Smartphones mit dem Google-Betriebssystem funktionieren - vorausgesetzt die Hardware erfüllt die Mindestanforderungen. Die Unterstützung von mobilen Prozessoren mit ARM-Architektur wird zwar schon anhand der Systemvoraussetzungen für Ubuntu Phone deutlich, doch bekräftigen Mike Shuttleworth und Ian Drew von ARM diese nochmals in der Videobotschaft. Möchte man Ubuntu auf seinem Smartphone installieren, sollte es mindestens einen 1 Gigahertz starken Cortex-A9-Prozessor haben, 512 Megabyte Arbeitsspeicher, sowie 4 bis 8 Gigabyte Flashspeicher.
Computer-Ersatz
Auf dem Weg zum "Handheld PC" kann man sein mit Ubuntu Phone betanktes Smartphone übrigens auch als Desktop-Rechner nutzen. Alles was man dazu braucht, ist eines der "Super-Smartphones" mit einem Quad-Core-Chipsatz auf Cortex-A9-Basis oder einen der neuen Atom-Chips von Intel, dazu 1 Gigabyte Arbeitsspeicher und 32 Gigabyte Flashspeicher. So kann man theoretisch das Samsungs Galaxy S3 oder Note 2 über eine Dockingstation als Computer-Ersatz nutzen und hat seine Daten immer mit in der Tasche.
Auf der CES in der nächsten Woche und dem Mobile World Congress Ende Februar möchte Canonical weitere Details bekannt geben und das System ausgiebiger präsentieren. Vielleicht zeigt Shuttleworth ja dann auch, wie man mit einem Ubuntu Phone telefoniert.