Als der Bezahldienstleister Stripe Anfang 2018 die Unterstützung von Bitcoin als Zahlungsmittel einstellte, ging ein Raunen durch die Gemeinde der Blockchain-Anhänger. Man hatte erwartet, teure Kreditkartenabrechnungen umgehen und Geldtransfers schneller als klassische Finanzinstitute vornehmen zu können. Die Realität sah aber anders aus: Fehlbeträge, extreme Kursschwankungen, hohe Transaktionsgebühren.
Taugt die Blockchain also doch nicht für den Einsatz in der Praxis? Doch. Sie bietet viel mehr Möglichkeiten als die reine Abwicklung von Bezahlvorgängen. Beispielsweise kann die Blockchain ein Enabler für autonomes Fahren sein. Stellen wir uns eine Welt vor, in der autonom fahrende Fahrzeugflotten unterwegs sind. Diese Autos sind nicht mehr auf die Kreditkarten eines Fahrer angewiesen, sie agieren selbst. Autonomes Bezahlen von Services wie Tanken oder Parken erlegen sie dank Blockchain eigenständig.
Zunächst identifiziert das Fahrzeug, ob es sich in einem Areal befindet, in dem es einen Service konsumieren kann. Im nächsten Schritt prüft es anhand des Regelwerks, ob es dazu berechtigt ist. Ist das der Fall, wird der dazugehörige Smart Contract aufgerufen, in dem die Vertragsbedingungen hinterlegt sind. Das Fahrzeug meldet dem zuständigen Provider selbstständig, dass es die Vertragsbedingungen akzeptiert. Damit der Service tatsächlich ausgelöst wird, müssen sich die Vertragspartner gegenseitig kennen, was ebenfalls über den Smart Contract sichergestellt ist.
Nachdem beide Parteien den Smart Contract akzeptiert haben, wird die Bezahlung abgewickelt - über Kryptowährungen oder etablierte Zahlungsformen wie PayPal, Kreditkarten oder Rechnung. Die Blockchain-Technologie per se funktioniert währungsunabhängig. Über die Smart Contracts wird lediglich der Vertragsabschluss in der Blockchain dokumentiert, nicht zwingend die Bezahlung. (Siehe auch: Smart Contracts via Blockchain – Chancen und Grenzen)
Blockchain-Services für die mobile Zukunft
Parken: Das Auto parkt auf einem Parkplatz und bezahlt diesen entsprechend der genutzten Parkdauer in kurzen Intervallen. Das Prinzip nennt sich Micropayment - immer nach Verbrauch und in kleinen Einheiten. Hier wäre der Fokus der Blockchain die Einführung eines Pay-Per-Use- oder Micropayment- Geschäftsmodells.
Reality Check: Da Parkhäuser (noch) nicht darauf ausgelegt sind, mit den parkenden Fahrzeugen direkt zu kommunizieren, müssten die Betreiber nachrüsten. Das könnte erstmal dazu führen, dass Parken mit der Blockchain teurer wird.
Fahrtenbuch: Viele Flottenbetreiber versuchen seit Jahren, das von Hand geführte Fahrtenbuch abzuschaffen. Mit einem digitalen Assistenten im Fahrzeug lässt sich der Kilometerstand des Fahrzeugs automatisch erfassen - und auch direkt in die Blockchain schreiben. Der entscheidende Vorteil: Die Daten lassen sich nachträglich nicht mehr verändern.
Reality Check: Eine Hürde ist vor allem, die Daten aus dem Fahrzeug auslesen zu dürfen. Ist eine Kooperation mit den Fahrzeugherstellern erreicht, lässt sich das mittels Blockchain einfach umsetzen. Fraglich ist, ob der Staat ein Blockchain-Fahrtenbuch als rechtsgültig einstuft.Restwertberechnung: Auch hier greift der Vorteil der Datenkonsistenz. Sämtliche Fahrzeugdaten, die etwa über das Fahrtenbuch oder Beschleunigungssensoren ermittelt wurden, könnten in einer nachgelagerten Logik weiterverarbeitet werden. So lässt sich ermitteln, wie viele Kilometer das Auto gefahren ist, ob Airbags ausgelöst wurden oder wie oft ein Ölwechsel vorgenommen wurde. Aus diesen Werten ergibt sich der Fahrzeugzustand. Bisher ist der Zugriff auf diese Daten nur per Auslesesoftware möglich. Dritte haben hierauf keinen beziehungsweise nur einen beschränkten Zugriff.
Reality Check: Hier handelt es sich um eine Ausbaustufe des Fahrtenbuchs, da "nur" mehr Daten erfasst werden. Entscheidend sind vor allem der Verbreitungsgrad und die Verfügbarkeit, also wie auf die ermittelten Ergebnisse zugegriffen werden kann. Jedenfalls könnte die Blockchain existierende Lösungen wie etwa die Schwacke-Liste ablösen beziehungsweise modernisieren.
Digitale Identität via Blockchain
Ein Beispiel für einen sinnvollen Blockchain-Einsatz jenseits der Mobilität kommt aus der Schweiz. Die Stadt Zug hat bereits 2016 begonnen, die Technologie einzuführen und den Bürgern eine digitale Identität zu geben. Diese sind damit in der Lage, sich für die Nutzung verschiedener Services wie Fahrradverleih, Parkhäuser oder Bibliotheken über ihre digitale Identität auszuweisen. Karten und Identifizierungsverfahren sind nicht mehr nötig. Im Juni vergangenen Jahres wurde bereits eine erste Umfrage auf Basis dieser digitalen Identität realisiert.
Wie funktioniert das? Die Lösung basiert auf drei Bestandteilen:
eine App, in der die Nutzer ihre eigene Identität mit persönlichen Daten anlegen und über ein Passwort verwalten,
die Ethereum Blockchain, die als dezentrale Datenbank fungiert und die eindeutige und fälschungssichere Identifikation der Bürger ermöglich,
ein Zertifizierungsportal der Stadt, über das die digitale Identität im Einwohnermeldeamt geprüft und hinterlegt wird. Damit ist sie für die Blockchain nutzbar.
Die Stadt Zug hat so einen digitalen Universalausweis für ihre Bürger ermöglicht, auf dem alle Informationen hinterlegt sind, die man sonst auf verschiedenen Karten mit sich herumtragen würde. Damit dieses System funktioniert, muss es allerdings genügend Institutionen wie Banken, Behörden oder Unternehmen geben, die diese Blockchain-Identität als Ausweis akzeptieren und ihr vertrauen.
Eine aktuelle Analogie ist das Google- oder Facebook-Konto, das auch für die Anmeldung in Onlineshops oder Netzwerken Dritter eingesetzt werden kann, ohne dort einen neuen Benutzer-Account anzulegen. Künftig könnte es der digitale Ausweis sein, mit dem Anmeldungen auch auf den Seiten von Google und Amazon möglich werden.
Klar ist: Das Thema Sicherheit ist bei solch einer Lösung äußerst sensibel, müsste diese ID doch massiv geschützt werden. Ein zweiter Faktor (PIN) sowie weitere Sperrmechanismen müssten im Verlust- oder Betrugsfall dafür sorgen, dass alle hinterlegten Services sofort unzugänglich gemacht werden könnten.
Sichere Online-Wahlen
Ein potenzieller Anwendungsfall für die Blockchain sind auch Wahlen. Alternativ zur heutigen Prozedur mit Wahlhelfern ließen sich die Stimmen auch über die Blockchain erfassen und festschreiben. Bürger mit einer digitalen Identität könnten an ihren Rechnern wählen. Ein Smart Contract würde dafür sorgen, dass jede ID nur einmal abstimmen darf.
Ein Auslesebetrug der Stimmen ist so nicht möglich, weil sie zum einen in der Blockchain unveränderbar festgeschrieben und zum anderen für die ganze Community einsehbar sind - ohne Rückschluss darauf, wer sich hinter den einzelnen Identitäten verbirgt. Wahlbetrug wäre damit zumindest eindeutig nachweisbar.
Was muss passieren, damit sich die Blockchain, Smart Contracts und Kryptowährungen in der Praxis bewähren? Die Blockchain kann dann ihre Vorteile ausspielen, wenn Services nachvollziehbar, nicht manipulierbar, automatisiert und herstellerunabhängig abgewickelt werden sollen und die Dokumentation der Ergebnisse wichtig ist.
Durch den Wegfall klassischer Intermediäre werden Monopole aufgelöst. Es kann also passieren, dass sich Hersteller und Provider künftig kreativer mit dem Mehrwert ihrer Services auseinandersetzen und die Loyalität ihrer Kunden neu gewinnen müssen.
Natürlich ist die Schaffung eines übergreifenden Standards wichtig. Aktuell existieren viele, wahrscheinlich zu viele, verschiedene Blockchains, von denen sich der Großteil vermutlich nicht über einen prototypischen beziehungsweise isolierten Einsatz etablieren wird. Gleiches gilt für die damit einhergehenden Kryptowährungen.
Auch das Thema Preisstabilität ist wichtig. Ein einheitlicher, stabiler Preis für eine entsprechende Leistung ist notwendig. Das ist derzeit noch nicht gegeben. Die Seite Bitcoinppi zeigt beispielsweise, wie viele Big Macs man derzeit für einen Bitcoin bekommt: 1397 im Oktober 2017, 6358 zum Höchststand Mitte Dezember, 1171 heute. Es verwundert also nicht, dass viele Nutzer derzeit kein Interesse an der digitalen Währung haben. Zudem ist sie im Zweifel zweckgebunden und nur für einen bestimmten Währungsraum - nämlich für das Händlernetz, das sie akzeptiert - zu gebrauchen.
Spannend dürfte auch die rechtliche Bewertung von Smart Contracts sein. Gesetzlich kommen Verträge zwischen juristischen und/oder natürlichen Personen zustande. Die rechtlichen Grundlagen bei Maschinen sind noch völlig offen. Auch das Thema Datenschutz muss überdacht werden, denn in der Blockchain wird nichts gelöscht. Folglich gilt es ganz genau zu überlegen, was Bestandteil von Smart Contracts ist und welche Möglichkeiten es hier gibt, das "Recht auf Vergessen" zu sichern.
Passt die Blockchain zu jedem digitalen Service?
Bei der Blockchain handelt es sich um eine Basis-Technologie, und so sollte sie auch bewertet werden. Auch Smart Contracts sind nüchtern betrachtet nichts anderes als ein Stück Code, der aktuell über andere Mechanismen realisiert werden kann. Man muss also wissen, was fachlich mit dieser Technologie umgesetzt werden soll und die Stärken und Schwächen abwägen. Hier ist es ratsam, mit einer kleinen Anforderungsanalyse zu starten - so wird sichtbar, ob die Blockchain oder eine andere Technologie die passende ist.