Reality Check

Blockchain-Einsatz - deutsche Unternehmen hinken hinterher

05.11.2018
Von 
Wolfgang Herrmann ist IT-Fachjournalist und Editorial Lead des Wettbewerbs "CIO des Jahres". Der langjährige Editorial Manager des CIO-Magazins war unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO sowie Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
Trotz großer Potenziale steckt der praktische Einsatz von Blockchain-Technologien noch in den Kinderschuhen. Im internationalen Vergleich gehören deutsche Unternehmen nicht gerade zu den Pionieren.

Blockchain-Konzepte können ganze Branchen verändern und ein Treiber des digitalen Wandels sein, darin sind sich Marktforscher wie Beratungsunternehmen einig. Schon schwieriger zu beantworten ist die Frage, welche Einsatzszenarien realistisch sind und welche Investitionen in Blockchain-Technologien sich am Ende rentieren. Die meisten IT-Entscheider in Unternehmen und der öffentlichen Hand haben gerade erst angefangen, sich mit den Möglichkeiten zu beschäftigen.

Britische, US-amerikanische und französische Unternehmen sind in Sachen Blockchain-Nutzung weiter als deutsche.
Britische, US-amerikanische und französische Unternehmen sind in Sachen Blockchain-Nutzung weiter als deutsche.
Foto: LeoWolfert - shutterstock.com

Geht es um den praktischen Einsatz in Europa, liegen derzeit Großbritannien mit 22 Prozent und Frankreich mit 17 Prozent vorn. Das hat die Beratungsfirma Capgemini in einer internationalen Studie herausgefunden. Deutschland kommt demnach auf einen Einsatzgrad von nur elf Prozent. Die Berater konzentrieren sich in der Erhebung auf Projekte, die über den Pilotstatus hinausgehen. Im weltweiten Vergleich liegen die Vereinigten Staaten mit 18 Prozent auf Rang zwei.

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USA führend bei Blockchain-Finanzierungen

Führend sind US-amerikanische Unternehmen, wenn es um die Finanzierung von Blockchain-Startups geht. Mehr als eine Milliarde Dollar wurde seit 2012 jenseits des Atlantiks investiert. Großbritannien kommt laut der Capgemini-Erhebung auf 500 Millionen Dollar, Deutschland nur auf 50 Millionen. Wie groß der Nachholbedarf hierzulande ist, zeigt auch eine Studie, die der ITK-Branchenverband Bitkom in Auftrag gegeben hat. Demnach nutzen nur sechs Prozent von 300 befragten Startups in Deutschland derzeit Blockchain-Technologien. Immerhin jedes vierte Jungunternehmen plant einen Einsatz. "Die Blockchain ermöglicht Anwendungen, die bislang nicht denkbar oder sehr teuer und fehleranfällig waren", kommentiert Bitkom-Präsident Achim Berg. "Jedes Unternehmen sollte jetzt prüfen, wo es selbst neue Geschäftsmodelle entwickeln kann."

Nur sechs Prozent der deutschen Startups nutzen derzeit Blockchain-Technologien. Immerhin 27 Prozent planen einen Einsatz.
Nur sechs Prozent der deutschen Startups nutzen derzeit Blockchain-Technologien. Immerhin 27 Prozent planen einen Einsatz.
Foto: Bitkom Research

Vor allem etablierte Unternehmen hinken beim Blockchain-Einsatz hinterher, beobachtet der Branchenverband: "Startups sind die Schrittmacher bei der Einführung der Blockchain", heißt es in einer Pressemitteilung. "In der Gesamtwirtschaft spielt die Technologie bislang kaum eine Rolle." Mittlerweile habe aber auch die Bundesregierung die Bedeutung erkannt und erarbeite eine Blockchain-Strategie. Auf dem Digitalgipfel am 3. Dezember in Nürnberg veranstaltet der Bitkom erstmals einen Blockchain Business Summit, auf dem vor allem praktische Einsatzmöglichkeiten sowie Fragen der politischen Regulierung im Mittelpunkt stehen sollen.

"Wir müssen die rechtlichen Hürden für innovative Blockchain-Anwendungen aus dem Weg räumen und Forschungsmittel auf diese Technologie konzentrieren", fordert Berg. "Unser Ziel muss sein, Deutschland zu einem weltweit führenden Blockchain-Standort zu machen." Dazu brauche es gerade auch im öffentlichen Sektor mehr Experimentierfreude.

RoI ist die größte Blockchain-Hürde

Die Gründe für den zögerlichen Blockchain-Einsatz sind vielfältig. In der Capgemini-Studie geben 92 Prozent der "Vorreiter" an, der fragliche Return on Investment (RoI) sei die größte Hürde bei der Einführung. 80 Prozent sehen in der Interoperabilität mit Legacy-Systemen eine große Herausforderung. Das Problem betrifft nicht nur die eigene Infrastruktur, sondern prinzipiell alle IT-Systeme der Partner innerhalb einer Lieferkette.

Aufschlussreich sind auch die Angaben zu den verfolgten Zielen. Laut Capgemini gehören Kosteneinsparungen, eine bessere Rückverfolgbarkeit und mehr Transparenz zu den drei wichtigsten Treibern für Blockchain-Investitionen. "Es gibt einige wirklich spannende Anwendungsfälle auf dem Markt, die zeigen, welche Vorteile die Technologie für Lieferketten bietet, aber Blockchain ist kein Allheilmittel", kommentiert Martin Arnoldy, Leiter Konsumgüter, Handel und Logistik bei Capgemini in Deutschland. "Der ROI ist noch nicht messbar, und Geschäftsmodelle und -prozesse müssen für die Umsetzung erst noch geschaffen werden."

Blockchain-Beispiele in der Praxis

In der Studie beschreibt Capgemini 24 Anwendungsfälle für eine Blockchain. Die Palette reicht vom Handel mit CO2-Zertifikaten über die Verwaltung von Lieferantenverträgen bis hin zur Vermeidung von Produktfälschungen. Besonders aussichtsreich sind solche Einsatzszenarien aus Sicht der Berater im Einzelhandel, in der Fertigungsindustrie sowie bei der Herstellung von Konsumgütern. Konzerne wie Nestlé, Unilever und Tyson Foods experimentierten bereits mit Blockchain und konzentrierten sich vor allem auf die Rückverfolgung und Identifizierung von Produkten. Einzelhändler hingegen setzten verstärkt auf digitale Marktplätze und versuchten mithilfe von Blockchain-Systemen, Produktfälschungen zu verhindern.

Blockchain im Jahr 2020

Im Jahr 2020 könnten die Experimente mit Blockchain ihren Höhepunkt erreichen, prognostiziert Capgemini in einer weiteren Studie. Viele Unternehmen würden dann Machbarkeitsstudien in Auftrag geben. Wirklich ausgereift werde die Technologie aber wohl erst 2025 sein. Die Berater gehen davon aus, dass Organisationen dann große Transformations- und Integrationsvorhaben starten und dabei auch Richtlinien für den Datenschutz und das Daten-Management festlegen werden.