Der Alltag der meisten Menschen von heute ist geprägt vom mobilen Internet. Spätestens seit der Geburtsstunde des iPhone im Jahr 2007 wurde der mobile Zugriff auf das World Wide Web für die Massennutzung interessant. Seitdem hat sich viel getan. Denn in den letzten Jahren hat sich rund um das mobile Internet ein Ökosystem gebildet, das Märkte, Branchen und Lebensstile auf links gedreht oder erst geboren hat.
Laut Aussagen des Branchenverbands Bitkom aus dem vorherigen Jahr können fast zwei von drei Menschen (61 Prozent) nicht mehr auf ihr Smartphone verzichten. Diese Tatsache schlägt sich bereits deutlich auf die Verteilung des globalen Internet-Traffic nieder. Denn war es im September 2012 noch der Computer, der mit 85 Prozent noch der nahezu alleinige Treiber des globalen Datenvolumens war, so ist das Smartphone mit einem Anteil von derzeit 37 Prozent der aktuelle Wachstumstreiber für den globalen Internet-Traffic. In gut zwei Jahren ist davon auszugehen, dass der generierte Internet-Traffic über Smartphones den des Computers überholen wird.
Mobile Web Experience ist somit auch ein strategisches Thema. Nur diejenigen Unternehmen, die sich dieser Entwicklung anpassen können und ihren Marken-Auftritt entsprechend auch digital und insbesondere mobil bereitstellen, werden auch künftig von den Kunden und Partnern wahrgenommen. Diejenigen, die diesen Trend verpassen, verlieren mindestens einen der bedeutsamsten Kommunikationskanäle der kommenden Zeit.
"Der Mensch ist verloren, der sich früh für ein Genie hält"
In Anlehnung an dieses Zitat von Georg Christoph Lichtenberg hat Crisp Research im Auftrag von T-Systems Multimedia Solutions und CoreMedia im Juni und Juli 2015 eine empirische Studie durchgeführt. Sie zeigt im Rahmen einer Benchmark-Analyse die Einschätzungen und Planungen der Entscheider zum Thema Mobile Web Experience und hat die Webseiten der Unternehmen auf 15 Kriterien untersucht. Befragt wurden 120 Entscheider aus Mittelstands- und Großunternehmen und 511 Webseiten wurden im Rahmen der Analyse untersucht.
- Jugendsünden von Apple, Dell oder YotTube
Apple, Dell, Google, Amazon, Facebook - sie alle sind mehr oder weniger schon seit Urzeiten mit einer Website im Netz vertreten. Haben sich vom Grunddesign her aber allesamt nur wenig verändert. Wir zeigen, wie bekannte Websites bei ihrem Launch aussahen. - Apple (Domain 1987 / Site 1996) - apple.com
Auch heute noch modern: Absatz- und Kastengestütztes Design. Nur die Farbwahl wirkt etwas kunterbunt. Bereits 1987 registrierte sich Apple die Domain, die Website folgte fast ein Jahrzehnt später. - Apple heute
- Daily Telegraph (1994) - telegraph.co.uk
Die große britische Tageszeitung machte einst mit schlichtem schwarzen Lettern auf blauem Grund von sich reden. - Daily Telegraph heute
- Weißes Haus (1994) - whitehouse.gov
Da hat jedes Telefonbuch mehr Sex-Appeal: Der Auftritt der amerikanischen Präsidentenresidenz wirkte zum Start wie eine Hacker-Datenbank. - whitehouse.gov heute
- Yahoo (1994) - yahoo.com
Yahoo startete vor 21 Jahren mit einem eher minimalistischen Design. Im Grunde nur der klassische Suchschlitz, wie man ihn von Google kennt, flankiert von ein paar Links. - Yahoo heute
- Amazon (1995) - amazon.com
Für seine Zeit schon erstaunlich klar strukturiert und vergleichsweise übersichtlich, der Web-Auftritt das Shopping-Giganten Amazon. - Amazon heute
- MSN (1995) - msn.com
Selbst die Verantwortlichen der nicht enden wollendenden Flut von Popup-Spam würden sich heutzutage für solch ein Webdesign in Grund und Boden schämen, nicht so Microsoft Anno 1995 mit seinem MSN-Portal. - MSN heute
- New York Times (1995) - nytimes.com
Die New York Times setzte von Beginn an auf ein Zeitungsähnliches Seitenlayout: Bilder und Texte korrespondieren in ähnlicher Weise auch heute noch. - New York Times heute
- Dell (1996) - dell.com
Wer bei soviel Farbvergnügen keine Lust verspürt, neue Technik anzuschaffen, hat kein ästhetisches Empfinden. Heute setzt Dell zwar auf eine wesentlich technologisch-moderne, kalte Farbgebung - aber als PC-Versender groß geworden ist der Konzern mithilfe von verspielten Bausatz-Seiten. - Dell heute
- Google (1996) - google.com
Seit 18 Jahren macht die Google-Startseite vor allem durch eins von sich reden: durch die kaum vorhandenen Änderungen. Mit Erfolg. Lediglich das Design wurde von Jahr zu Jahr ansprechender, an der Struktur der Seite hat sich bis heute nichts geändert. - Wikipedia (2001) - wikipedia.org
Wer das Wissen der Welt versammeln möchte, braucht eine performante und mächtige Datenbank. Am besten wird die aber so versteckt, dass der potenzielle Wissenslieferant und -suchende nicht gleich wieder durch das komplexe Design verschreckt wird. Hat bei Wikipedia anfangs nicht ganz geklappt - geschadet hat es dennoch nicht. Merke: Wenn der Inhalt einer Seite gut ist, ist das Design zweitrangig. - Wikipedia heute
- Myspace (2003) - myspace.com
Myspace entstand zu der Zeit, als die zweite Internet-Welle im Entstehen begriffen war. Entsprechend 'zwonullig' schon das Ursprungsdesign. - Myspace heute
- Facebook (2004) - facebook.com
Facebook startete im Gegensatz zu Myspace nicht ganz so hip, obwohl erst im Jahr darauf gelauncht. Der beeindruckenden Erfolgsgeschichte des Social Networks hat es keinen Abbruch getan. - Facebook heute
- Flickr (2004) - flickr.com
Wer vor allem von der Nutzerpartizipation lebt, muss auf sein Seitendesign nicht ganz so großen Wert legen, da lediglich die Technik dahinter stimmig sein muss. Flickr machte hier keine Ausnahme. - Flickr heute
- Youtube (2005) - youtube.com
Zunächst passierte auf der weltgrößten Videoplattform Youtube: nichts. Später dann immer mehr. - Youtube heute
- Twitter (2006) - twitter.com
Twitter ist seit acht Jahren live, am Design hat sich seit 2006 wenig geändert - die Idee stemmt die Seite, alles Weitere ergibt sich von selbst. Mit der steigenden Zahl mobiler Clients und anderer Zugriffsmöglichkeiten ist der Webauftritt an sich zwar obligatorisch, aber längst nicht mehr die erste Anlaufstelle. - Twitter heute
- Google heute
Fokus der Studie war es zu eruieren, wie weit deutsche Mittelstands- und Großunternehmen tatsächlich bei der Mobile Web Experience vorangeschritten sind. Nach eigenen Angaben der im Rahmen der Studie befragten Entscheider sieht es erst einmal sehr gut aus. So sei jede dritte Webseite der Mittelstands- und Großunternehmen (35 Prozent) bereits vollständig für die mobile Nutzung optimiert. Mehr als die Hälfte der Webseiten (53 Prozent) sind den Angaben der Entscheider zufolge wenigstens teilweise optimiert.
Während es bei einer teilweisen Optimierung sein kann, dass lediglich erste Ergebnisse sichtbar sind und einzelne Baustellen noch existieren, umschließt eine vollständige Webseiten-Optimierung nicht nur die Umstellung des Designs für kleinere Bildschirme, sondern auch eine umfangreiche Umstrukturierung der Inhalte, Darstellungen, Funktionen und Strukturen. Denn nur dann ist gewährleistet, alle relevanten Kriterien der mobilen Optimierung zu erfüllen, sodass am Ende ein wirklich abgerundetes Nutzungserlebnis resultiert.
Sobald diese Aussagen allerdings auf die Probe gestellt werden zeigt sich, dass die Realität eine andere ist. Im Rahmen der Analyse der 511 Webseiten wurde zur Ermittlung der Güte der Webseiten auf der mobilen Ansicht ein Kriterienkatalog verwendet den auch Google für seinen Such-Algorithmus nutzt. Dazu wurden fünf Kriterien für die Nutzererfahrung (User Experience) und zehn Kriterien für die Leistungsfähigkeit (Performance) der Webseiten auf der mobilen Ansicht hinzugezogen. Darüber hinaus wurde auch ermittelt, welche der Webseiten überhaupt für die mobile Nutzung optimiert wurden.
Das Ergebnis ist deutlich. Denn gaben zuvor noch knapp 90 Prozent der Entscheider an, ihre Webseite sei wenigstens teilweise für die mobile Nutzung optimiert, so liefert die Analyse nur einen Wert von gut 41 Prozent der untersuchten Webseiten, die wahrnehmbare Aktivitäten dazu aufweisen.
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Anteil mobil optimierter Webseiten: 41,3 Prozent
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Noch gravierender fällt die Interpretation der ermittelten Werte für die Güte der mobilen Optimierungen aus. Denn mit einem Wert von 56 von 100 Punkten würden die untersuchten Unternehmen in den Notentabellen der Schule etwa bei einer 4 landen und somit nicht weit von einer drohenden Versetzungsgefährdung entfernt sind.
Nicht nur vor dem Hintergrund, dass die Entscheider selbst sich deutlich weiter sehen, als es tatsächlich der Fall ist, sondern auch gemessen am allgemeinen Status deutscher Unternehmen als Weltmarktführer und Wirtschaftsmacht, ist dieses Ergebnis alarmierend. Denn es zeigt, dass nur wenige Unternehmen überhaupt diejenige Konsequenz und Ernsthaftigkeit mitbringen, die für Initiativen rund um die Mobile Web Experience als strategischer Imperativ notwendig sind. Gerade im digitalen und mobilen Umfeld werden Nachlässigkeiten sofort entdeckt und bestraft.
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Durchschnittlicher Gesamt-Score: 56,6/100
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Vage Wahrnehmungen und Planspiele
Man könnte vermuten, dass die befragten Entscheider der mobilen Webseiten-Optimierung fälschlicherweise keine hohe Bedeutung beimessen. Dies ist aber nicht der Fall. Denn nahezu alle Entscheider befinden es für notwendig, dass die eigene mobile Webseite für Kunden und Partner auch mobil erreichbar und optimiert ist. 53 Prozent der Befragten geben an, dies sei wichtig, weitere 28 Prozent sagen sogar, dass es sehr wichtig sei, eine mobile Webseiten-Optimierung voranzutreiben.
Im Rahmen der Befragung sagten 14 Prozent der Entscheider in einer weiteren Frage sogar, dass eine mobil optimierte Webseite essentiell für den Geschäftserfolg sei. Fast zwei von drei Entscheidern (64 Prozent) sehen darin immer noch ein Kerninstrument für das Marketing.
Fazit und Empfehlungen
Der Mathematiker und Physiker Georg Christoph Lichtenberg liefert für die Quintessenz dieser Ergebnisse ein recht passendes Zitat: "Der Mensch ist verloren, der sich früh für ein Genie hält".
Denn ähnliches ist hier der Fall. Weil die Entscheider offenbar unter einer hochgradigen Überschätzung der eigenen Aktivitäten leiden, müssen sie einerseits wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. Weiterhin ist es bereits so, dass insbesondere diejenigen, die bislang wirklich noch keine Initiativen eingeleitet haben, weit abgeschlagen sind von denjenigen, die schon heute und damit zur rechten Zeit ein angemessenes mobiles Nutzererlebnis bieten können. Für viele Unternehmen herrscht daher wenigstens hinsichtlich des digitalen Marketings Alarmstufe rot.
Nichtsdestotrotz sollte man den Entscheidern auch einige Empfehlungen an die Hand geben. So ist es im Kontext der Ergebnisse ratsam den Ist-Zustand zukünftig etwas realistischer einzuschätzen. Experten, insbesondere aus dem IT- und Agentur-Umfeld, können mit Hilfe geeigneter Systeme, wie zum Beispiel neuen, mobil-fähigen Experience-Management-Systemen oder mit vielfacher Projekterfahrung als Partner für die mobile Web-Optimierung zur Seite stehen.
Neue Technologie-Trends wie das responsive Web-Design werden dann auch für die Zukunft hilfreich sein, um den Webauftritt einfach und in höchster Qualität zu pflegen. Nicht zuletzt ist es wichtig, dass die Unternehmen die Mobile Web Experience als dynamisches Phänomen betrachten sollten. Dinge, die vor einem halben Jahr noch dem Stand der Zeit entsprachen, können heute bereits veraltet sein. Kontinuierliche Weiterentwicklungen und Qualitätssicherungen gehören daher zu jeder mobil-digitalen Markenstrategie. (bw)