Meinung

Bei der NIS2-Umsetzung droht Chaos

17.04.2024
Von 
Bernhard Kretschmer ist Vice President Services und Cybersecurity bei NTT.
Bernhard Kretschmer, Vice President Services und Cybersecurity bei NTT, ist überzeugt davon, dass die Umsetzung von NIS2 im Chaos endet.
Droht bei der Einführung von NIS2 ein ähnliches Chaos wie bei der Umsetzung der DSGVO?
Droht bei der Einführung von NIS2 ein ähnliches Chaos wie bei der Umsetzung der DSGVO?
Foto: alphaspirit.it - shutterstock.com

Ein Blick zurück kann manchmal sehr lehrreich sein: Am 26. Mai 2018 trat die Datenschutz-Grundverordnung, kurz DSGVO, in Kraft, genauer gesagt endete die 24-monatige Übergangsfrist. Zwei Jahre hatten deutsche Unternehmen also Zeit, ihre Prozesse an die neue Richtlinie anzupassen.

Doch viele wurden erst wenige Tage vor Ablauf der Frist aktiv. Die einen versuchten in Eigenregie, die offensichtlichsten Schwachstellen zu beheben. Andere riefen externe Spezialisten an - mit dem verzweifelten Wunsch, sie im Eilverfahren DSGVO-tauglich zu machen.

Wiederholung der DSGVO-Geschichte

Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, dass sich die Geschichte mit NIS2 wiederholen wird. Bis zum 17. Oktober 2024 müssen die EU-Mitgliedstaaten die zweite Auflage der "Network and Information Security Directive" in nationales Recht umsetzen. In Deutschland liegt bereits ein Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums zum NIS2-Umsetzungsgesetz (NIS2UmsuCG) vor.

Künftig sind die betroffenen Betriebe verpflichtet, die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen zu gewährleisten und etwaige Vorfälle zu melden. Unter die Richtlinie fallen ganz allgemein formuliert alle Unternehmen, die als Betreiber kritischer Infrastrukturen gelten. Dazu zählen beispielsweise Organisationen aus den Bereichen Energie, Verkehr und Gesundheit, aber auch Anbieter digitaler Dienste und das produzierende Gewerbe.

Mindestens 30.000 Unternehmen betroffen

Unterschieden wird zwischen den Kategorien "wichtig" und "wesentlich" - je nachdem, wie essenziell die einzelne Organisation für die Gesellschaft, die Sicherheit des Landes und die Wirtschaft ist. Mit NIS2 wird Cybersicherheit und -resilienz in Deutschland jedenfalls für eine deutlich größere Anzahl von Firmen als bisher zu einem Thema oder besser gesagt zur Pflicht.

Direkt betroffen sind mindestens 30.000 Unternehmen. Indirekt kommen all jene hinzu, die im Rahmen der Sicherung von Lieferketten besondere Maßnahmen umzusetzen müssen.

Zwar wird es je nach Einstufung eines Unternehmens als Betreiber kritischer Infrastrukturen oder wichtiger, beziehungsweise wesentlicher Einrichtungen noch gewisse Übergangsfristen für die NIS2-Umsetzung geben. Ab Inkrafttreten des Gesetzes kann das BSI allerdings von besonders relevanten Einrichtungen Nachweise über die Umsetzung der Maßnahmen oder Audits einfordern.

Anforderungen als tickende Zeitbombe?

Das Damoklesschwert NIS2 kann daher schneller wirksam werden, als manchem lieb ist. Fakt ist: Die Anforderungen sind eine tickende Zeitbombe für alle, die ihre IT-Sicherheit bisher vernachlässigt haben.

NIS2 einfach aussitzen zu wollen, ist für Bernhard Kretschmer, Vice President Services und Cybersecurity bei NTT, grob fahrlässig.
NIS2 einfach aussitzen zu wollen, ist für Bernhard Kretschmer, Vice President Services und Cybersecurity bei NTT, grob fahrlässig.
Foto: NTT Ltd.

So ist NIS2-Konformität kein Produkt, das man einfach kaufen und tags darauf implementieren kann. Vielmehr müssen sich die von der Regelung betroffenen Unternehmen darüber im Klaren sein, dass die Umsetzung der neuen EU-Richtlinie ein wirklich umfangreiches, strategisches Projekt ist, das Auswirkungen in die unterschiedlichsten Bereiche hinein hat.

Aussitzen - keine gute Idee

Bedenkt man außerdem, dass viele Hardwarekomponenten derzeit immer noch lange Lieferfristen haben, ist der zeitliche Rahmen, um ein adäquates Sicherheitspaket zu schnüren, knapp bemessen. Zudem dürften die wenigsten Betriebe in der Lage sein, die geforderten Auflagen mit der eigenen IT-Mannschaft zu erfüllen. Auch externe Spezialisten werden auf den letzten Metern immer schwerer zu bekommen sein.

Wer jetzt auf die Idee kommt, NIS2 nach dem Motto "Wo kein Richter, da kein Henker" auszusitzen - schließlich werden nur die besonders relevanten Einrichtungen auditiert -, handelt jedoch grob fahrlässig. Zum einen ist die neue EU-Richtlinie die Antwort auf die wachsenden Bedrohungen in der digitalen Welt. Cyberangriffe werden immer raffinierter und Unternehmen müssen sich im eigenen Interesse darauf vorbereiten. Andererseits treffen die vorgesehenen Sanktionen bei Sicherheitsvorfällen die Firmen und Organisationen hart.

Empfindliche Strafen drohen

Betrieben, die als "wesentlich" eingestuft werden, drohen Bußgelder von bis zu zehn Millionen Euro oder zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes - je nachdem, welcher Betrag höher ist. Der Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums sieht sogar vor, dass Geschäftsführer und andere Leitungsorgane mit ihrem Privatvermögen für die Einhaltung der Risikomanagement-Maßnahmen haften. Ihnen droht ein Bußgeld in gleicher Höhe. NIS2 ist also längst zu einem Compliance-Risiko geworden, das die Verantwortlichen sehr ernst nehmen sollten.

Die Uhr tickt jedenfalls. Jedes Unternehmen, das unter die NIS2-Richtlinie fällt, sollte spätestens jetzt die Umsetzung angehen und alle Baustellen in seiner IT-Sicherheitsarchitektur schnellstmöglich beheben.