Studie "Intelligent Process Automation 2024"

Automatisierungsansatz mit Potenzial

27.06.2024
Von 
Bernd Reder ist freier Journalist und Autor mit den Schwerpunkten Technologien, Netzwerke und IT in München.
Um Prozesse intelligent automatisieren zu können, bedarf es einer End-to-End-Strategie - und Orchestrierungsplattformen.
Intelligente Prozessautomatisierung ist die Voraussetzung für flexible und anpassungsfähige Automation-Prozesse.
Intelligente Prozessautomatisierung ist die Voraussetzung für flexible und anpassungsfähige Automation-Prozesse.
Foto: VectorMine - shutterstock.com

Wer darauf verzichtet, Prozesse zu automatisieren, geht ein hohes Risiko ein. Denn er nimmt in Kauf, Marktanteile, Innovationskraft und die Fähigkeit zu verlieren, sich schnell auf veränderte wirtschaftliche, technische und politische Rahmenbedingungen einzustellen. Daher ist es positiv zu bewerten, dass rund 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland Abläufe automatisieren, mehr als die Hälfte sogar durchgängig, also End-to-End. Das ergab die Studie "Intelligent Process Automation & Process Orchestration 2024", die das Custom Research Team von CIO, CSO und Computerwoche in Zusammenarbeit mit Camunda, Lufthansa Industry Solutions und UiPath erstellt hat.

Ein weiteres Ergebnis der Studie: Rund drei Viertel der Unternehmen und Organisationen, die Prozesse automatisieren, wollen jetzt den nächsten Schritt gehen. Er führt in Richtung Intelligent Process Automation (IPA). Dieser Ansatz kombiniert Prozessautomatisierung mit künstlicher Intelligenz. Dazu gehören neben maschinellem Lernen (ML) und der Verarbeitung natürlicher Sprache (Natural Language Processing, NLP) KI-Verfahren wie generative KI (GenAI) und Predictive AI. GenAI greift auf große Sprachmodelle und unstrukturierte Daten zurück, um neue Inhalte zu erzeugen, kann also "schöpferisch" tätig werden. Bei prädiktiver KI kommen strukturierte Datenbestände zum Einsatz. Das Ziel: Muster erkennen und Prognosen erstellen, etwa wie sich Absatzzahlen entwickeln können.

Nutzen erkannt: Für rund 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland hat das Automatisieren von Abläufen eine hohe Priorität. Der nächste Schritt ist die verstärkte Integration von KI-Techniken und Orchestrierungsplattformen, um auch komplexe Prozessketten automatisieren zu können.
Nutzen erkannt: Für rund 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland hat das Automatisieren von Abläufen eine hohe Priorität. Der nächste Schritt ist die verstärkte Integration von KI-Techniken und Orchestrierungsplattformen, um auch komplexe Prozessketten automatisieren zu können.
Foto: Research Services: Patrick Birnbreier

IPA noch in den Startlöchern

Nach den Erfahrungen von Spezialisten im Bereich Prozessautomatisierung hat IPA allerdings in deutschen Unternehmen noch nicht auf breiter Linie Einzug gehalten: "Der Großteil der Unternehmen befasst sich mit Automatisierung, jedoch handelt es sich dabei meist nicht um intelligente Lösungen", sagt Lars Lochmann, Business Manager Digital Platform Solutions bei Lufthansa Industry Solutions.

Seiner Einschätzung nach sind derzeit häufig unidirektionale RPA-Automatisierungen (Robotic Process Automation) anzutreffen. "Wirklich intelligente Prozessautomatisierung auf Basis von künstlicher Intelligenz ist selten in ausgereifter Form zu sehen." Unidirektional bedeutet, dass bei einem Prozess ein "Trigger" ausgelöst wird, der eine bestimmte Aktion zur Folge hat. "Diese verläuft entweder erfolgreich oder nicht,", erläutert Lochmann. Es erfolgt keine dynamische Reaktion auf die Aktion.

Anders bei der intelligenten Prozessautomatisierung: IPA greift in diese Aktionen ein und orchestriert alle Automatisierungsvorgänge zu einem umfassenden System. Es werde gewissermaßen Intelligenz hinzugefügt, so der Fachmann von Lufthansa Industry Solutions. Die Vorteile sind, dass Prozesse dynamisch auf Änderungen und Herausforderungen reagieren können und sich Abläufe End-to-End automatisieren lassen.

Lars Lochmann, Business Manager Digital Platform Solutions bei Lufthansa Industry Solutions: "Jeder Kunde ist unterschiedlich, mit eigenen Prozessen, Datenstrukturen und Anforderungen. Eine vollständig standardisierte IPA-Lösung ohne individuelle Anpassungen gibt es meiner Erfahrung nach nicht."
Lars Lochmann, Business Manager Digital Platform Solutions bei Lufthansa Industry Solutions: "Jeder Kunde ist unterschiedlich, mit eigenen Prozessen, Datenstrukturen und Anforderungen. Eine vollständig standardisierte IPA-Lösung ohne individuelle Anpassungen gibt es meiner Erfahrung nach nicht."
Foto: Lufthansa Industry Solutions GmbH & Co. KG

Zentraler Faktor "Orchestrierung"

Eine komplexe Abfolge von Aufgaben allein mit Robotic Process Automation zu automatisieren, ist auch nach den Erfahrungen von Camunda nicht machbar. Das Unternehmen hat ein System für die intelligente Prozess-Orchestrierung entwickelt. RPA bringe kurzfristig Vorteile, etwa weil sich damit einzelne manuelle Aufgaben automatisiert durchführen lassen, so Jakob Freund, CEO von Camunda. "Aber allein auf Basis von RPA einen End-to-End Geschäftsprozess, also eine komplexe Abfolge von Aufgaben, verteilt über verschiedene Endpunkte, zu automatisieren, ist nur schwer möglich und mit unheimlich viel Wartungsaufwand verbunden."

Den Unterschied zwischen RPA und intelligenter Automatisierung in Verbindung mit Orchestrierung macht Freund an einem eingängigen Beispiel deutlich: "RPA verhält sich zu einer Orchestrierungsplattform wie ein Akkuschrauber zu einem Fließband für die Autofertigung: Es ist gut für einzelne Arbeitsschritte, aber man baut damit kein ganzes Auto."

Eine intelligente Orchestrierung erlaubt es dagegen Unternehmen, Prozesse übersichtlich zu modellieren - inklusive komplexer "Logiken" wie dem dynamischen Ausführen mehrerer Aufgaben parallel zueinander. Außerdem erlaubt es eine solche Plattform, unterschiedliche Endpoints in Prozesse einzubinden. "Solche Endpunkte können Systeme wie Microservices sein, aber auch KI-Tools, RPA-Bots und sogar Menschen, die eine Aufgabe im Prozess ausführen", erläutert der Camunda-CEO.

Jakob Freund, CEO von Camunda: "RPA verhält sich zu einer Orchestrierungsplattform wie ein Akkuschrauber zu einem Fließband für die Autofertigung: Es ist gut für einzelne Arbeitsschritte, aber man baut damit kein ganzes Auto."
Jakob Freund, CEO von Camunda: "RPA verhält sich zu einer Orchestrierungsplattform wie ein Akkuschrauber zu einem Fließband für die Autofertigung: Es ist gut für einzelne Arbeitsschritte, aber man baut damit kein ganzes Auto."
Foto: Camunda Services GmbH

Ziele werden erreicht

Werden Prozesse unter Einsatz von KI und Orchestrierungstools automatisiert, zahlt sich dies für die Nutzer aus, so die Studie von Computerwoche, CIO und CSO. Das gilt insbesondere für Unternehmen, die Prozesse durchgängig automatisiert haben. Dies ist bei rund der Hälfte der Befragten der Fall. Fast alle haben die angestrebten Ziele ganz oder zumindest zu einem beträchtlichen Teil erreicht.

Sie konnten beispielsweise die Komplexität von Abläufen verringern sowie den Kundenservice und die Customer Experience optimieren. Weitere Vorteile sind eine höhere Effizienz und Agilität. Hinzu kommen niedrigere Kosten und eine Entlastung der Mitarbeiter, etwa durch das Automatisieren von aufwendigen Routineaufgaben. Die Erfolgsquote bei entsprechenden Projekten lag in allen Fällen bei über 90 Prozent.

Ein Beispiel, wie KI und Prozessautomatisierung zusammenspielen können, führt Lars Lochmann von Lufthansa Industry Solutions an: die Rechnungsprüfung bei den Materialkosten in der Flugzeugwartung. "Wir haben ein Projekt, bei dem wir mithilfe von KI die gestellten Rechnungen der Lieferanten gegen bestehende Rahmenverträge prüfen." Dabei wird beispielsweise analysiert, ob abgerechnete Leistungen mit dem Rahmenvertrag übereinstimmen oder ob eine Leistung berechnet wurde, die im Vertrag bereits als Inklusivleistung aufgeführt ist. "Das Ziel ist, im nächsten Schritt die gesamte Rechnungsprüfung zu automatisieren", sagt der Fachmann.

Vor allem gefragt: Generative KI

Zu den KI-Technologien, die derzeit im Mittelpunkt des Interesses stehen, zählt generative KI (GenAI). Beim intelligenten Automatisieren von Prozessen greifen laut der Studie rund 43 Prozent der Unternehmen in Deutschland auf GenAI zurück. Dies sind vor allem größere Firmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern.

Unternehmen in Deutschland setzen im Bereich Prozessautomatisierung oft parallel mehrere KI- und Machine-Learning-Techniken ein. An die 43 Prozent nutzen bereits GenAI, speziell Großunternehmen.
Unternehmen in Deutschland setzen im Bereich Prozessautomatisierung oft parallel mehrere KI- und Machine-Learning-Techniken ein. An die 43 Prozent nutzen bereits GenAI, speziell Großunternehmen.
Foto: Research Services: Patrick Birnbreier

Die Erwartungshaltung der Nutzer in Bezug auf diesen KI-Ansatz ist hoch. Zwei Drittel der Befragten erhoffen sich davon eine höhere Produktivität und Effizienz, an die 57 Prozent bessere Einblicke in Geschäftsprozesse. Mehr als die Hälfte der Firmen verspricht sich außerdem von GenAI-Anwendungen wie Chatbots, digitalen Assistenten sowie Tools für den Kundenservice und die Software-Entwicklung Kosteneinsparungen und geringere Fehlerquoten.

Vier Schlüsselfaktoren

Doch solche Vorteile stellen sich nach Ansicht von Studienpartner UiPath nicht automatisch ein. Führungskräfte, die generative KI in ihr Automatisierungsprogramm einbinden wollen, sollten vielmehr folgende Faktoren berücksichtigen:

  • den Geschäftskontext,

  • die Flexibilität des KI-Modells,

  • Handlungsfähigkeit und

  • Vertrauen.

Deshalb hat UiPath seine Business Automation Platform um Werkzeuge erweitert, mit denen Anwender die Leistung und Genauigkeit von GenAI-Modellen verbessern können. Dazu zählt beispielsweise ein "Context Grounding". Damit können Nutzer Geschäftsinformationen aus unternehmensspezifischen Datensätzen extrahieren, etwa einer Wissensdatenbank oder internen Richtlinien. Diese Informationen werden in ein Format konvertiert, das die großen Sprachmodelle (Large Language Models, LLM) von generativen KI-Anwendungen verstehen. Dies wiederum erhöht die Genauigkeit, Konsistenz und Vorhersagbarkeit von GenAI-Anwendungen, die bei der Prozessautomatisierung eingesetzt werden.

Wichtig ist zudem, dass bei IPA-Projekten auf Basis von GenAI branchen- und anwendungsspezifische Modelle zum Zuge kommen, etwa für das Verarbeiten von Dokumenten und sprachbasierte Prozesse in der Kundenbetreuung. Um LLM in der Trainingsphase entsprechend anzupassen, sind spezielle Tools von IPA-Spezialisten wie UiPath erforderlich. Der Vorteil ist im Anschluss daran eine höhere Präzision der Modelle.

Weitere Erfolgskriterien bei der Einführung von IPA

Auch Lars Lochmann von Lufthansa Industry Solutions plädiert für maßgeschneiderte Lösungen, nicht nur bei GenAI und Automatisierung, sondern generell bei der Prozessautomatisierung und IPA: "Jeder Kunde ist unterschiedlich, mit eigenen Prozessen, Datenstrukturen und Anforderungen." Zwar ließen sich Synergien zu ähnlichen Projekten herstellen und Bausteine wiederverwenden. "Aber eine vollständig standardisierte Lösung ohne individuelle Anpassungen gibt es meiner Erfahrung nach nicht."

Jakob Freund von Camunda wiederum weist auf die zentrale Rolle einer Automatisierungsstrategie hin: "Unternehmen sollten über einzelne Prozesse hinausdenken und eine strategische, skalierte End-to-End-Automatisierung anstreben." Dass es daran noch fehlt, zeigt sich laut Freund darin, dass 2023 der Grad der automatisierten Prozesse stagnierte, trotz gestiegener Ausgaben in diesem Bereich.

Die Studie "Intelligent Process Automation & Process Orchestration 2024" von CIO, CSO und Computerwoche ergab zudem, dass für rund die Hälfte der Unternehmen technologische Barrieren das größte Hindernis im Rahmen von IPA-Projekten sind - neben dem Mangel an Fachwissen und Spezialisten. Zu diesen technischen Hürden zählt die Heterogenität von Prozess- und IT-Umgebungen.

Process Intelligence schaffen

Abhilfe kann ein "Digitaler Zwilling" der Prozesse schaffen - eine Process Intelligence. "Sie ist die Grundlage, um KI überhaupt auf Prozesse anwenden zu können", betont Lars Lochmann. "Ideal wäre es, wenn alle Prozesse durch Process Mining analysiert, in einer Process Intelligence dargestellt, im nächsten Schritt kontextualisiert und schließlich mit KI ausgewertet würden."

Doch auch bei Process und Task Mining ist noch viel zu tun: An die 47 Prozent der Unternehmen haben wegen der hohen Komplexität Probleme damit, diese Technologien in bestehende Prozesse zu integrieren. Und rund 43 Prozent können wegen der mangelnden Datenqualität nicht den vollen Nutzen von Process Mining ausschöpfen. Das heißt, bevor sie ein Projekt im Intelligent Process Automation starten, müssen Unternehmen die technischen und organisatorischen Grundlagen dafür schaffen, Stichwort "Blick auf das große Ganze".

Fazit: Die Richtung stimmt

"Prozessautomatisierung ja, gerne auch mit KI - aber noch nicht so schnell". So könnte man die Ergebnisse der Studie und die Erfahrungswerte von Anbietern von Systemen, Software und Services für die intelligente Prozessautomatisierung zusammenfassen. Ein Großteil der Unternehmen dürfte gegenwärtig noch damit beschäftigt sein, Automatisierungsprojekte mithilfe von Technologien wie Process Mining, RPA und der Prozessorchestrierung zum Erfolg zu führen. Und dies gelingt der Studie zufolge der Mehrzahl der Nutzer.

Dennoch ist es unverzichtbar, die Prozessautomatisierung intelligenter zu machen, etwa mit GenAI und prädiktiven KI-Modellen. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass Automatisierungsvorgänge flexibel und anpassungsfähig werden. Davon wiederum profitieren Nutzer, etwa in Form einer höheren Effizienz, kürzeren Reaktionszeiten und einem größeren Freiraum für Mitarbeiter. All diese Faktoren sind unverzichtbar, damit Unternehmen ihre Marktposition im internationalen Wettbewerb halten oder verbessern können.

Die neue Studie "Intelligent Process Automation 2024" von CIO Research Services
Die neue Studie "Intelligent Process Automation 2024" von CIO Research Services
Foto: Research Services / shutterstock.com - Timplaru Eugenia

Studiensteckbrief

Herausgeber: CIO, CSO und COMPUTERWOCHE

Studienpartner: Camunda Services GmbH, Lufthansa Industry Solutions GmbH & Co. KG, UiPath GmbH

Grundgesamtheit: Oberste (IT-)Verantwortliche in Unternehmen der DACH-Region: Beteiligte an strategischen (IT-)Entscheidungsprozessen im C-Level-Bereich und in den Fachbereichen (LoBs); Entscheidungsbefugte sowie Experten und Expertinnen aus dem IT-Bereich

Teilnehmergenerierung: Persönliche E-Mail-Einladung über die Entscheiderdatenbank von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE sowie - zur Erfüllung von Quotenvorgaben - über externe Online-Access-Panels

Gesamtstichprobe: 360 abgeschlossene und qualifizierte Interviews

Untersuchungszeitraum: 12. bis 19. März 2024

Methode: Online-Umfrage (CAWI) Fragebogenentwicklung & Durchführung: Custom Research Team von CIO, CSO und Computerwoche in Abstimmung mit den Studienpartnern