Wachstumsmarkt Talent Management

Aufrüsten für den War for Talents

24.06.2013
Von 
Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
Software-Konzerne haben sich mit Lösungen für Talent-Management eingedeckt. Die modernen HR-Applikationen aus der Cloud gelten als Wachstumssegment. Doch mit der Einführung ist es nicht getan - Talent-Management erfordert vor allem eine Strategie.
Foto: Tribalium - shutterstock.com

Personalabteilungen haben es schwer gehabt, Differenzierungsmerkmale nach innen und außen zu positionieren: Das Bild prägen generische Prozesse in einem engen regulatorischen Rahmen und mit nur wenigen spezifischen Merkmalen. Stark gekapselt und standardisiert, sind die Abläufe ideal für Outsourcing geeignet - Hauptsache, es treten keine Fehler auf, und die Termine werden eingehalten. Nur leider fängt und bindet man mit Commodities oder Skaleneffekten keine Talente, die vermeintliche Essenz des wirtschaftlichen Erfolgs. Und eine "ganzheitliche" Betrachtung des Mitarbeiters, der heilige Gral moderner HR-Abteilungen, ist damit auch nicht möglich.

Bedarf an Führungskräften langfristig sichern

Hoffnung verspricht nun Talent-Management: "Das umfasst alle Tätigkeiten eines Unternehmens, um Schlüsselpositionen zu besetzen", erläutert Armin Trost, Professor für HR-Management an der Business School der Hochschule Furtwangen. In der Regel gehe es beim Talent-Management darum, den Bedarf an Führungskräften wie Geschäftsführern und Bereichsleitern sowie wichtigen Experten langfristig zu sichern. Etwa der Produktionsleiter: Früher hätte man erst reagiert, wenn er krank wird, stirbt oder seine Kündigung einreicht, sagt Trost. "Die Idee hinter Talent-Management ist, sich relativ früh über die Schlüsselpositionen und die eigene Nachfrage Gedanken zu machen."

Armin Trost, Professor für HR-Management an der Business School der Hochschule Furtwangen: "Unternehmen müssen sich zuerst überlegen, wie sie das Vertrauen in den Kandidaten erzeugen."
Armin Trost, Professor für HR-Management an der Business School der Hochschule Furtwangen: "Unternehmen müssen sich zuerst überlegen, wie sie das Vertrauen in den Kandidaten erzeugen."
Foto: Hochschule Furtwangen

Dabei gehe es laut Trost auch um "junge Hoffnungsträger" im Unternehmen - "High Potentials, von denen ich glaube, dass sie in fünf bis zehn Jahren in Schlüsselpositionen hineinwachsen können". Kaum gefunden, müssen sie über Jahre entwickelt werden mit der Hoffnung, dass am Ende genügend interne Mitarbeiter vorhanden sind, um alle erfolgskritischen Vakanzen zu besetzen. "Traditionell", sagt Trost, der bis 2005 das weltweite Recruiting der SAP AG leitete, "läuft das auf einer informellen und regionalen Ebene ohne Prozesse, Bewertungsrahmen und Systematiken ab". Im Zuge der Professionalisierung des HR-Managements gewinne ein umfassendes Talent-Management jedoch an Bedeutung.

Handlungsbedarf scheint es in der Tat zu geben, und das nicht nur bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs). So lehnte ein deutscher Technologiekonzern ein Interview zum Thema ab, weil die eigene Lösung "noch in der Entwicklung und recht rudimentär und daher für eine öffentliche Darstellung noch nicht weit genug ist". Aus der Personalabteilung eines DAX-Konzerns hieß es inoffiziell, man habe erst vor kurzem eine HR-Standardsoftware aufwändig eingeführt: Ein Thema wie Talent-Management sei in der Personalabteilung jederzeit willkommen, aber innerhalb der nächsten vier Jahre kaum realistisch.

"Dabei ist Talent-Management nicht erst im 21. Jahrhundert erfunden worden", sagt Wissenschaftler Trost. Der Begriff "War for Talent" wurde 1997 von McKinsey geprägt, 2001 kam ein Buch mit dem gleichen Titel auf den Markt. Und auch die Faktoren, die den Siegeszug des "Talents" beflügelt haben, sind hinlänglich bekannt: Zunehmende Wissensarbeit, Fachkräftemangel, Innovationsdruck und der demografische Wandel haben dafür gesorgt, dass einige Unternehmen die "Ressource Mensch" ernster nehmen als bisher. "Einst hatten wir eine Art Darwinismus, bei dem die stärksten und anpassungsfähigsten Kandidaten auf Schlüsselpositionen gehievt worden sind", sagt Trost. Heute wolle man das Schicksal jedoch nicht mehr "dem Zufall" überlassen, sondern in die eigene Hand nehmen.

Talent-Management: Softwareanbieter kaufen zu

Thomas Otter, Research Vice President für SAP und Human Capital Management bei Gartner: "Talent Management ist ein dynamischer und schnellwachsender Markt."
Thomas Otter, Research Vice President für SAP und Human Capital Management bei Gartner: "Talent Management ist ein dynamischer und schnellwachsender Markt."
Foto: Gartner

Diesen Willen haben auch die etablierten Softwareanbieter zum Ausdruck gebracht. Zwischen Dezember 2011 und August 2012 übernahmen SAP, Oracle, Salesforce und IBM Anbieter für Talent-Management, drei davon wechselten gar für Milliardenbeträge den Besitzer. "Talent-Management ist ein äußerst dynamischer und schnell wachsender Markt", sagt Thomas Otter, der bei Gartner als Research Vice President für SAP und Human Capital Management den Bereich analysiert. Größere Lieferanten hätten versucht, ihre Defizite durch Übernahmen auszugleichen, wodurch sich der Markt konsolidiert habe, so Otter. "Doch es gibt immer noch starke Best-of-Breed-Anbieter, die das Segment dynamisch in Bewegung halten." Gartner taxiert das weltweite Marktvolumen im laufenden Jahr auf rund 3,3 Milliarden Dollar, zehn Prozent mehr als noch 2011.

Vor rund zehn Jahren habe es "rudimentäre Talent-Management-Ansätze in der traditionellen ERP-Software" gegeben, sagt der Gartner-Analyst: "Diese Lösungen wurden aber nicht wirklich von den Kunden geliebt, und auch die Entwicklungsressourcen, die von den Lieferanten investiert wurden, waren eher gering". So sei eine neue Welle von Firmen entstanden, die sich direkt auf die Personalabteilung als Kunden konzentriert haben und ihre Applikationen als Software-as-a-Service (SaaS) bereitstellen. "Ihr Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung von Lösungen, die den HR-Anforderungen eher entsprachen als den Vorgaben der IT-Organisation", berichtet Otter.

Talent-Management

Talent-Management umfasst alle personalpolitischen Maßnahmen in einem Unternehmen, um langfristig kritische Positionen besetzen zu können. Hierfür müssen Personen mit einem hohen Potenzial (neudeutsch High Potentials) systematisch identifiziert, rekrutiert, gebunden, motiviert und eingesetzt werden. Jedes Unternehmen hat andere Schwerpunkte bei der Definition von Talenten und bei der Umsetzung von Talent-Management. Im Grunde geht es aber immer darum, dass die Beschäftigten produktiver, effizienter und effektiver arbeiten - wobei Talent-Management im Idealfall noch als Vorteil für den Mitarbeiter verkauft wird.

Dabei gehe es in den neuen Programmen vor allem darum, das normale HR-Tagesgeschäft zu unterstützen, effektive Analysen und neue Reports zu ermöglichen, Entwicklungspotenzial zu identifizieren, bessere Teams zusammenzustellen, Mitarbeiter fair zu vergüten und ihnen das Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen glaubhaft zu vermitteln. "Viele Unternehmen in Deutschland führen derzeit Talent-Management-Lösungen ein", sagt der Gartner-Analyst. In fünf Jahren würden diese enger mit dem Business integriert und auch auf mobilen Geräten einsetzbar sein, so seine Prognose.

Ideale Prozesse für SaaS

Und es gibt Otter zufolge noch einen Pluspunkt gegenüber den "traditionellen" HR-Programmen: "Die Bereitstellung von Talent-Management als SaaS ist ein klarer Vorteil für Anwenderunternehmen." Auch wenn jede Organisation andere Schwerpunkte bei Talent-Management setze, sollten die Abläufe einfach und reproduzierbar gestaltet sein. "Das macht sie zu idealen Prozessen für SaaS." Zweifellos gäbe es wichtige Fragen bezüglich der Privatsphäre und der Sicherheit in der Cloud, aber "Daten in einer guten SaaS-Lösung sind sicherer als in einer Software, die vor Ort betrieben wird - sie haben ihr Geld ja auch nicht unter der Matratze, sondern in der Bank."

Laut Otter sei es jedoch entscheidend, vor der Auswahl der Software eine Talent-Management-Strategie zu entwickeln. So könnten Organisationen seit jeher den Betrieb, die Finanzen oder die Produktion gut planen - bei den Planungen bezüglich der Mitarbeiter, der potenziellen internen sowie der externen Experten und der Kultur gebe es jedoch oft Defizite. Schließlich seien Mitarbeiter von den Tools direkt betroffen: "Sie müssen daher als Unternehmen zuerst herausarbeiten, wie ernst sie das Thema Talent-Management nehmen und welche Konsequenzen es haben könnte, bevor sie die Software auf ihre Mitarbeiter loslassen", fordert der Gartner-Analyst.

Auch für den HR-Experten und Hochschullehrer Trost aus Furtwangen kommt immer die Strategie vor den Tools: "Bei der Besetzung von Schlüsselpositionen dreht sich alles um das Vertrauen in die Menschen und die Entscheidung." Daher müssen sich Unternehmen zuerst überlegen, wie sie das Vertrauen in die Kandidaten erzeugen, bevor in einem System konkret umgesetzt werden könnte, wer welche Informationen zu welchem Zeitpunkt benötigt. "Software hilft nur dabei, bestimme Prozesse zu hinterlegen, zu strukturieren und relevante Informationen zu verwalten", sagt Trost. Aber entschieden werde am Ende immer auf Grundlage zwischenmenschlichen Vertrauens.

Übernahmen im Markt für Talent-Management

Datum

Käufer

Spezialist

Preis

April 2011

SuccessFactors

Plateau

290 Mio. Dollar

Dezember 2011

SAP

SuccessFactors

3,4 Mrd. Dollar

Dezember 2011

Salesforce

Rypple

k.A.

Februar 2012

Oracle

Taleo

1,9 Mrd. Dollar

Februar 2012

Haufe

Umantis

k.A.

August 2012

IBM

Kenexa

1,3 Mrd. Dollar