AÜG-Novelle

Arbeitnehmerüberlassung in IT-Projekten

26.07.2016
Von    und Michael  Rinke
Dr. Michael Rath ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Informationstechnologie-Recht und Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH mit Sitz in Köln. Zudem ist er Certified ISO/IEC 27001 Lead Auditor. Seine Beratungsschwerpunkte sind das IT-Recht, Datenschutzrecht und der Gewerbliche Rechtsschutz. Dr. Michael Rath ist u.a. Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik e.V. (DGRI) und akkreditierter Schlichter für IT-Streitigkeiten bei der Schlichtungsstelle der DGRI.
Die Bundesregierung hat am 1. Juni 2016 den Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) verabschiedet, nachdem die Vorsitzenden der Koalitionsparteien zuvor am 10. Mai 2016 einige offene Streitpunkte geklärt hatten.

Die Novelle soll ohne Übergangsfristen zum 1. Januar 2017 in Kraft treten. Neben Neuregelungen u.a. bei der Überlassungshöchstdauer sowie dem sogenannten "Equal Pay"-Grundsatz beinhaltet die AÜG-Novelle auch eine gerade für IT-Unternehmen wichtige Änderung zu den Wirkungen einer sogen. "vorsorglichen" Verleiherlaubnis; diese ist in der öffentlichen Diskussion bisher weitgehend unbeachtet geblieben.

Agile Programmierung statt Werkvertrag

Werk- und Dienstverträge sind (wie auch die Bundesregierung in ihrem Gesetzesentwurf anerkennt) in einer arbeitsteiligen Wirtschaft unverzichtbar. Anders als zum Beispiel im industriellen Bereich oder in der Baubranche ist es aber gerade bei IT-Softwareprojekten häufig nicht möglich, die von einem Dritten zu erbringenden Leistungen im Vorhinein präzise zu definieren ("Werkvertrag") bzw. den Dritten unabhängig von der internen IT-Abteilung des Auftraggebers bzw. ggf. weiteren IT-Dienstleistern an abgrenzbaren Teilprojektaufgaben tätig werden zu lassen ("Dienstvertrag"). Deshalb arbeiten interne und externe Mitarbeiter oft in hierarchiefreien Teams zusammen, die nur einen allgemeinen Auftrag haben; die Einzelheiten überlässt man bewusst - zunächst - dem Team (Stichwort "Scrum").

Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung droht

Bei der Beauftragung von Dienstleistern im IT-Bereich kommt es deshalb wesentlich darauf an, nicht nur die Beauftragung rechtlich korrekt zu formulieren, sondern auch und vor allem die praktische Ausgestaltung der Tätigkeit des Dienstleisters sowie seiner Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber sowie ggf. eingesetzten weiteren Dienstleistern so auszugestalten, dass die Grenze zur "verdeckten Arbeitnehmerüberlassung" nicht überschritten wird. Geschieht dies doch, so besteht bereits nach derzeitigem Recht die Gefahr, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem vom Dienstleister eingesetzten Mitarbeiter entsteht, aus dem der Mitarbeiter die beim Auftraggeber für vergleichbare eigene Mitarbeiter üblichen Leistungen (Vergütung, Sonderzahlungen, Altersversorgung usw.) beanspruchen kann. Außerdem haftet der Auftraggeber für das laufende Jahr sowie maximal die vorhergehenden vier Jahre für den Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung auf die geschuldete Arbeitsvergütung. Dies ist vor allem dann relevant, wenn es sich bei dem eingesetzten Mitarbeiter um einen Selbständigen ("Freelancer") handelt. Anlass für die Überprüfung des Vertragsverhältnisses muss nicht zwingend eine Klage des eingesetzten Mitarbeiters sein; in Betracht kommt auch eine Prüfung durch den Sozialversicherungsträger.

Die "vorsorgliche" Verleiherlaubnis entfällt - Bußgelder drohen

Um derartige Risiken auszuschließen, verfügen derzeit viele IT-Dienstleister über eine Verleiherlaubnis nach dem AÜG. Überschreitet die Tätigkeit des IT-Dienstleisters (unbeabsichtigt) die Grenze zur Arbeitnehmerüberlassung, so treten aufgrund der Erlaubnis die oben beschriebenen nachteiligen Folgen für den Auftraggeber nicht ein, auch wenn der Vertrag mit dem Dienstleister nicht ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bezeichnet wurde. Ansprüche des Mitarbeiters gegen seinen eigenen Arbeitgeber (z.B. auf Equal Pay) können allerdings durch eine solche vorsorgliche Erlaubnis auch nach derzeitigem Recht nicht ausgeschlossen werden.

Die Möglichkeit der Risikobegrenzung für den Auftraggeber durch eine vorsorgliche Verleiherlaubnis des Dienstleisters will die Bundesregierung nun beseitigen. Künftig soll eine illegale Arbeitnehmerüberlassung immer vorliegen, wenn die Vertragsbeziehung zwischen Auftraggeber und Dienstleister als Arbeitnehmerüberlassung zu qualifizieren ist und der Vertrag nicht ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag abgeschlossen wurde. Eine vorsorgliche Verleiherlaubnis würde damit künftig nicht mehr helfen; es soll nur noch darauf ankommen, ob der Vertrag "richtig" bezeichnet wurde. Da insbesondere bei größeren bzw. länger laufenden IT-Projekten häufig die Gefahr besteht, dass z.B. die tatsächliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Dienstleister sukzessive von den im Vertrag beschriebenen Vorgehensweise abweicht und irgendwann die Grenze zur Arbeitnehmerüberlassung überschreitet, kann gewissermaßen auch eine "fahrlässig" herbeigeführte Arbeitnehmerüberlassung weitreichende Folgen haben. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass künftig auch eine "in Unkenntnis der Gesetzeslage" erfolgte rechtswidrige Ausgestaltung eines Werk- oder Dienstvertrages als "missbräuchlich" angesehen und entsprechen sanktioniert werden soll. Neben den oben beschriebenen nachteiligen Folgen insbesondere für den Auftraggeber kann auch ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen Auftraggeber und Dienstleister eingeleitet werden; ein entsprechender Bußgeldbescheid kann zu erheblichen Nachteilen bei der Teilnahme an Ausschreibungen für öffentliche Aufträge führen.

Was können Unternehmen tun?

Die an die fehlerhafte Vertragsbezeichnung geknüpften Folgen können vermieden werden, wenn der vom Dienstleister eingesetzte Mitarbeiter bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Auftraggeber und Dienstleister für den Beginn der Überlassung schriftlich mitteilt, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Dienstleister festhält. Ob dies der Königsweg ist für Auftraggeber bzw. Dienstleister, um die unerwünschten Folgen einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung zu vermeiden, darf bezweifelt werden. Zum einen handelt es sich um ein Recht des Mitarbeiters, so dass zu klären sein wird, welche Folgen eine vom Auftraggeber oder Dienstleister initiierte derzeitige Erklärung haben wird. Zum anderen müssten Auftraggeber und Dienstleister damit ihren Gesetzesverstoß quasi "zugeben"; hieran wird voraussichtlich oft kein Interesse bestehen.

Insbesondere bei dynamischen IT-Projekten wird es deshalb künftig mehr denn je darauf ankommen, unter Beachtung der von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für einen wirksamen Werk- bzw. Dienstvertrag, die teilweise in einen neuen § 611 a BGB übernommen werden sollen, die Formalien für eine rechtlich korrekte Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Dienstleister zu beschreiben, diese in die beteiligten Organisationen zu implementieren und deren Einhaltung dann nachhaltig zu überwachen; ebenso werden die Anforderungen an die Dokumentation dieses Prozesses steigen. Ob und in welchem Umfang diese Prozeßveränderungen inhouse oder aber unter Inanspruchnahme externer Anwaltskanzleien umgesetzt erfolgen sollten, ist eine Frage der Ressourcen, der Durchsetzbarkeit interner Anweisungen sowie nicht zuletzt der Unternehmenskultur. Im Einzelfall mag auch entscheidend sein, dass eine persönliche Haftung des Vorstands / Geschäftsführers in der Regel ausscheidet, wenn man externe Hilfe in Anspruch genommen und die insoweit erhaltenen Empfehlungen umgesetzt hat.

Beauftragungsprozesse müssen überprüft werden

Gleichzeitig wird das Geschäftsmodell von "Vermittlern", die insbesondere bei größeren Firmen als "preferred supplier" gelistet sind und die aufgrund eines Werk- bzw. Dienstvertrages Subkontraktoren zur Verfügung stellen, grundlegend auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Schließlich wird sich das Selbstverständnis gerade von Kleinstfirmen bzw. sogenannten "Einzel-Freelancern", die derzeit ein Tätigwerden auf Basis eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages aus grundsätzlichen Gründen ablehnen, der geänderten Gesetzeslage anpassen müssen. Insbesondere börsennotierte Unternehmen sowie sonstige große Mittelständler, die sich an selbst gesetzten Compliance-Regeln messen lassen wollen, werden wenig Interesse haben, sich dem Risiko arbeitsgerichtlicher Verfahren, Sonderprüfungen durch die Sozialversicherungsträger oder Prüfungen durch die Zollbehörden auszusetzen; sie werden schon im Eigeninteresse darauf bestehen müssen, ihre Prozesse an die neue Gesetzeslage anzupassen. Der insoweit zu beobachtende Versuch gerade von Einzelpersonen, eine "1-Mann-GmbH" bzw. eine "1-Mann-Unternehmensgesellschaft" nach § 5a GmbHG zu gründen, ist für sich genommen kein taugliches Lösungsmittel: Eine (legale) Überlassung des Geschäftsführers nach dem AÜG scheidet aus; die Risiken, die dem Auftraggeber aus einem die Grenzen zur Arbeitnehmerüberlassung überschreitenden Werk- oder Dienstvertrag drohen, bleiben unverändert bestehen. (fm)