Gerüchten zufolge rücken iPadOS 16.1 und macOS Ventura gefährlich nahe - beide sollen noch diesen Monat veröffentlicht werden. Gleichzeitig befinden wir uns auf der Schwelle zur Veröffentlichung eines der größten neuen Features fürs iPad und den Mac der letzten Jahre: dem Stage Manager.
Für Mac-User:innen ist der Stage Manager ein optionales Feature, das möglicherweise Produktivität und Organisation verbessern kann, vielleicht aber auch nicht. Kein Problem! Sie können es verwenden, Sie können es aber auch lassen. Fürs iPad hingegen ist die Funktion nichts weniger als eine Identitätskrise.
Vereinfacht gesagt: Der Stage Manager ist wichtig fürs iPad, weil das Tablet erstmals Fenster erhält, während der Mac schon immer ein Fenster-basiertes Gerät gewesen ist, seit Steve Jobs ihn Anfang 1984 der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Dieser Kontrast ist der Kern des Problems, warum der Stage Manager fürs iPad im Vergleich zum Mac einen unglaublichen Mehraufwand darstellt.
Alles neu macht das iPad
Stellen Sie sich vor, es ist 1984 und Sie arbeiten an einem Mac. Von Zauberhand werden Sie ins Jahr 2022 transportiert und arbeiten an einem modernen Mac. Klar wären Sie erstaunt und überwältigt vom technischen Fortschritt der letzten 38 Jahre, doch den Mac würden Sie problemlos wiedererkennen: Fenster, die Sie verschieben und deren Größe Sie verändern können, eine Menüleiste und selbst die Schaltfläche zum Schließen (begleitet von zwei weiteren) in der Ecke links oben.
Natürlich haben sich Mac-Fenster über die Jahre verändert. Als ich auf den Mac umgestiegen bin, konnte man nicht wirklich mehr als eine Mac-App gleichzeitig verwenden. Kurze Zeit später wurde mit System 7 vollwertiges Multitasking eingeführt und unsere Bildschirme füllten sich mit den Fenstern aller möglichen Apps, die gleichzeitig verwendet werden konnten. Apple veröffentlichte eine Reihe verschiedener Task-Switcher, macOS X 10.0 führte das Dock und die Ampel in der Ecke links oben ein und weitere Updates besserten mit Exposé, Spaces und zuletzt Mission Control nach.
In anderen Worten: Apple nahm ein Konzept - das ursprüngliche Mac-Interface - und veränderte es über die nächsten 38 Jahre. Es ist keineswegs perfekt - besonders das Fenster-Management hinkt Windows Jahre hinterher und kann nur mit Tools von Drittanbietern erträglich gemacht werden, aber die Infrastruktur darunter ist da. Es ist eine Metapher, die über die Jahre mit Symbolen, Menüleisten-Befehlen, Tastaturkürzeln, Trackpad-Gesten und erweitert und verfeinert wurde.
Das iPad gibt es mittlerweile sein über einem Jahrzehnt, aber ein Fenstermodus ist praktisch nicht vorhanden. iPadOS 15 hat Schnellnotizen eingeführt und das "mittig schwebende Fenster" in Apps wie Mail - beides Fenster auf eine gewisse Art und Weise, aber sie dienen nur einem kurzzeitigen Zweck und folgen ihren eigenen Konventionen. Aber dennoch ein Anfang! Darüber hinaus gibt es nichts, was ein Fenster in iPadOS definiert, wie es sich verhalten soll und wie Benutzer:innen mit mehreren davon umgehen sollen.
Daher bringt macOS Ventura den Stage Manager auf den Mac und damit eine neue Möglichkeit, bekannte Fenster auf eine neue Art und Weise zu verwalten. Das ist schon nicht wenig, baut aber auf einem 38 Jahre alten Unterbau auf.
Auf dem iPad hingegen muss der Stage Manager eine völlig neue Fenster-Metapher etablieren - von Grund auf, an Tag eins. Das ist eine Mammutaufgabe. Ist es daher so verwunderlich, dass Apple sich schon den ganzen Sommer die Zähne daran ausbeißt?
Identitätskrise fürs iPad
Gehen wir kurz einen Schritt zurück: Welches Problem soll der Stage Manager auf dem iPad lösen? Angeblich sollen Benutzer:innen damit schneller arbeiten können, weil sie schneller zwischen Fenstern hin und her wechseln können, wie auf dem Mac. Je größer der Bildschirm - und der Bildschirm meines iPad Pro ist nur unwesentlich kleiner als der meines Macbook Air -, desto mehr Platz haben Sie für mehr Fenster und desto unübersichtlicher wird das Ein-oder-zwei-Apps-gleichzeitig-Interface des iPads.
Das Problem mit dem aktuellen Multitasking-Ansatz auf dem iPad, Split View, ist, dass er in sich zusammenfällt, wenn Sie mehr als zwei "Fenster" (eigentlich eher Kacheln) gleichzeitig benutzen. Gekachelte Interfaces nutzen den vorhandenen Platz zwar unheimlich effizient aus - schließlich besteht kein Bedarf an Fensterrändern und anderen klassischen Fenster-Elementen -, sind aber nicht besonders flexibel. Wenn ich mir auf meinem iPad Pro eine Ansicht mit vier Kacheln vorstelle, muss ich unweigerlich an ein nerviges Schieberätsel denken. Ich weiß, dass die Kachel-Ansicht ihre Anhänger hat, aber ich gehöre nicht dazu.
Fenster hingegen haben sich bewährt und bieten viele Vorteile. Natürlich verschwenden ihre UI-Elemente viel Platz, dafür können Sie sich aber gegenseitig überlappen. Langjährigen Mac-Nutzer:innen wird das wahrscheinlich gar nicht mehr auffallen, aber das Schöne an sich überlappenden Fenstern ist, dass man viele Dokumente bereit hat, während ein bestimmtes Dokument sich im Mittelpunkt befindet. Das ist effizient, weil der Inhalt jedes geöffneten Fensters nicht gleichzeitig angezeigt werden muss.
Das Problem mit dem Stage Manager von iPadOS 16 ist, dass er nicht weiß, was er sein will. Er führt Fenster ein, also würde man meinen, dass er sich am Mac orientiert. Doch eins der besten Features von Fenstern ist, dass man ihre Größe beliebig verändern kann - und der Stage Manager ist da widerspenstig. Fenster auf dem iPad können nur in bestimmten Formen und Größen geöffnet und, was mich am meisten nervt, nur an bestimmte Positionen bewegt werden.
Wenn ich versuche, Stage Manager auf meinem iPad Pro zu verwenden, kehre ich immer wieder zur selben Konfiguration zurück: zwei Fenster, mehr oder weniger gleich groß, nebeneinander. Stage Manager nervt mich so sehr, dass ich einfach Split View nachbaue. Und tatsächlich: Wenn Sie Fenster so anordnen und Stage Manager deaktivieren, verwandelt er sich wortwörtlich in Split View.
Ich kann nicht für Apples Entwickler sprechen und warum sie diesen Ansatz gewählt haben, aber für mich ergibt es keinen Sinn. Wenn es das Ziel war, die Macht von sich überlappenden Fenstern aufs iPad zu bringen, warum hält man Nutzer:innen davon ab, Fenster nach ihrem Belieben anzuordnen? Die Vorteile vom Stage Manager sind also mäßig.
Was noch fehlt
Es bereitet mir Sorgen, dass Apple für den Stage Manager offensichtlich keine richtige Vision hat - oder, wenn das, was wir jetzt sehen, ebendiese Vision ist, dass sie so halbgar ist.
Wenn das iPad Fenster haben soll, braucht es eine deutliche Philosophie dahinter. Wir müssen wissen, warum die Fenster da sind. Sie müssen sich so verhalten, dass es Sinn ergibt. Der Mac hat das meiste davon, das iPad nur sehr wenig. Fenstergröße ändern und sie zu überlappen frustriert, sie zu minimieren und einer Stage hinzuzufügen und neue Fenster aus dem Dock zu öffnen auch.
Ich möchte den Stage Manager auf dem iPad wertschätzen. Ich finde, er hat viel Potenzial. Doch es ist kein Leichtes, auf einer neuen Plattform zu definieren, wie Fenster funktionieren sollen und es wird noch Jahre dauern, bis es eine ordentliche Gestalt annimmt. Apple sollte sich so viel von macOS abschauen wie möglich. Es braucht eine konkrete Vision, wie ein iPad-Fenster machen soll und welche Vorteile es für Nutzer:innen hat. Und dann muss es diese Vision über Jahre verfeinern. Denn egal, welche Version des Stage Managers mit iPadOS 16.1 veröffentlicht wird - er wird unfertig sein und wird die nächsten Monate, wahrscheinlich Jahre, viel Aufmerksamkeit benötigen.
Dieser Artikel ist ursprünglich in unserer Schwesterpublikation Macworld erschienen und wurde aus dem Englischen übersetzt. (Macwelt)