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"Haltung zeigen"

Anja Reschke und die "Hater" im Netz

07.08.2015
Flüchtlinge schützen und Hass-Kommentare im Netz bloßstellen: Das fordert NDR-Journalistin Anja Reschke in den "Tagesthemen". Sie befeuert damit eine kontroverse Debatte.

"Ich freue mich schon jetzt auf die Kommentare zu diesem Kommentar." Mit diesem Satz beendet Anja Reschke ihre Abrechnung in den ARD-"Tagesthemen" - und der Aufruhr im Internet lässt nicht lange auf sich warten. Es sind die Flüchtlings-Hetze im Allgemeinen und offene Online-Aufrufe zur Gewalt im Besonderen, die die Journalistin anprangert. Die 42-Jährige fordert: "Dagegen halten, Mund aufmachen. Haltung zeigen, öffentlich an den Pranger stellen."

Ihr flammender Appell, ausgestrahlt am Mittwochabend, verbreitet sich rasant. Binnen Stunden wird der Beitrag millionenfach im Netz aufgerufen. Reschke wird zum Gesprächsthema, ihr Name ein Twitter-Trend. Sie hat einen Nerv getroffen, ihre Meinung polarisiert.

Klartext im tagesthemen Kommentar von Anja Reschke: (@tagesschau)"Wenn ich mich jetzt hier hinstelle und öffentlich sage: Ich finde, Deutschland soll auch Wirtschaftsflüchtlinge aufnehmen – was glauben Sie, was dann passiert? Es ist nur eine Meinung, die darf man äußern. Schön wäre also, wenn darüber sachlich diskutiert würde. Aber so würde es nicht laufen. Ich bekäme eine Flut von Hasskommentaren. 'Scheiß Kanacken, wie viel wollen wir noch aufnehmen, sollen abhauen, soll man anzünden ...', all sowas halt. Wie üblich.Bis vor kurzem haben sich solche Kommentatoren noch hinter Pseudonymen versteckt. Aber mittlerweile wird sowas längst unter Klarnamen veröffentlicht. Anscheinend ist das nicht mal mehr peinlich. Im Gegenteil, auf Sätze wie 'Dreckspack, soll im Meer ersaufen' bekommen sie ja auch noch begeisterten Zuspruch und eine Menge Likes. Wenn man bis dahin ein kleiner rassistischer Niemand war, fühlt man sich da natürlich plötzlich ganz toll.Jetzt kann man sagen: 'Ja gut, Idioten gibt es immer – am besten ignorieren.' Aber es sind ja eben nicht nur Worte. Sondern es gibt sie ja schon – die Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Die Hasstiraden im Internet haben ja längst gruppendynamische Prozesse ausgelöst. Die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten ist gestiegen. So kann es nicht weitergehen. Nun ist die eine Möglichkeit Strafverfolgung – das wird auch zunehmend gemacht. Ein Facebook-Hetzer aus Bayern wurde gerade zu einer Geldstrafe wegen Volksverhetzung verurteilt. Das zeigt schon mal Wirkung.Aber das alleine reicht nicht. Die Hassschreiber müssen kapieren, dass diese Gesellschaft das nicht toleriert. Wenn man also nicht der Meinung ist, dass alle Flüchtlinge Schmarotzer sind, die verjagt, verbrannt oder vergast werden sollten, dann sollte man das ganz deutlich kundtun. Dagegen halten, Mund aufmachen. Haltung zeigen, öffentlich an den Pranger stellen: Einige sehr verdienstvolle Blogs tun das schon. Aber es sind noch zu wenige. Der letzte Aufstand der Anständigen ist 15 Jahre her. Ich glaube, es ist mal wieder Zeit. Und: Ich freue mich schon jetzt auf die Kommentare zu diesem Kommentar."

Posted by Panorama on Mittwoch, 5. August 2015

In den Reaktionen auf ihren Kommentar wird schnell klar, was Reschke gemeint hat. Manche sind unerträglich: "Wenn diese Asylbewerber (..) über deutsche Frauen und Kinder herfallen, dann (..) macht ihr euch mitschuldig am nächsten Bürgerkrieg hier in unserem Land", schreibt einer wütend bei Facebook unter den Aufruf.

Zwar erhält die Journalistin im Netz auch viel Zuspruch. "Dass so viel auch positive Rückmeldung kommt, hat mich echt gefreut, weil das war ja eigentlich das, was ich auslösen wollte", sagt sie am Donnerstag im Interview mit "tagesschau24". Und auch in den Medien wird der Mut der Moderatorin gefeiert, Reschke "spricht uns aus der Seele", heißt es etwa in einem Artikel.

Der Kommentar, der bei Facebook die meisten zustimmenden Klicks ("Likes") bekommt, hält ihr aber vor: "Ich denke nicht, dass das, wie ja immer berichtet wird, alles Nazis sind und das auch nicht immer etwas mit Rechtsextremismus zu tun hat."

Reschke nimmt am Donnerstag auch die Politiker in die Pflicht. In dem Interview berichtet sie von fremdenfeindlichen Parolen während einer Demonstration im sächsischen Freital - "Weg mit dem Dreck", hätten dort einige gerufen. "Da erwarte ich eigentlich schon, dass mal jemand - also Minimum Ministerium, wenn nicht eine Kanzlerin - auch mal dahinfährt und sagt "Finito, so nicht!"."

Reschke hat beobachtet, dass der Hass neuerdings nicht mehr hinter Fantasienamen versteckt werde. "Im Gegenteil, auf Sätze wie 'Dreckspack, soll im Meer ersaufen' bekommen sie ja auch noch begeisterten Zuspruch und eine Menge Likes", sagt sie in dem Kommentar über sogenannte "Hater", hasserfüllte Onlinenutzer.

Die Einschätzung eines Internet-Trends hin zum offenen Hass, den Reschke ausgemacht hat, teilt Juliane Leopold hingegen nicht. Die Chefredakteurin des Online-Magazins "Buzzfeed Deutschland" und langjährige Netzkennerin beobachtet die Kontroverse kritisch. "Was Reschke sagt, ist wichtig. Aber es reicht nicht, auf Facebook gegen Ausländerfeindlichkeit zu sein", sagt Leopold der Deutschen Presse-Agentur. "Ein Shitstorm gegen Nazis im Netz wird keinen Rassisten bekehren."

Leopold ist überzeugt, dass der Hass, der sich im Netz äußert, gesellschaftlich tief verwurzelt ist: "Online-Phänomene gibt es nicht, es gibt nur die echte Welt. Das Internet macht nichts mit Menschen, was nicht schon vorher in ihnen war." Ihre Prognose ist düster: "Unser Problem ist, dass die Mitte der Gesellschaft sich nach rechts bewegt."

Zugleich sei es falsch, die Netz-Kommentare als repräsentativ anzusehen, sagt die "Buzzfeed"-Chefin. Eine Faustregel besage: 90 Prozent der Online-Leser bleiben passiv, neun Prozent interagieren, indem sie den "Gefällt-mir"-Knopf drücken oder den Beitrag weiterleiten. Nur ein Prozent der Leser kommentiert - und von denen vor allem jene, die sich unverstanden fühlen.

Diese Erfahrung machte vor kurzem auch Schauspieler Til Schweiger. Er wurde auf seiner Facebook-Seite angefeindet, als er sich für eine Flüchtlingsinitiative einsetzte. Der "Tatort"-Star ließ sich davon nicht beeindrucken. Er forderte das "empathielose Pack" auf, sich von seiner Facebook-Seite zu "verpissen", und kündigte wenig später an, ein Flüchtlingsheim bauen zu wollen.

Auch für Reschke, Chefin des ARD-Politikmagazins "Panorama", dürfte klar gewesen sein, welche Wellen ihr Kommentar schlägt. Schon im Januar hatte sie anlässlich des Jahrestages zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz klar Stellung bezogen und davor gewarnt, einen Schlussstrich unter die deutsche Verantwortung zu ziehen. Ihre deutlichen Worte polarisierten schon damals. (dpa/tc)