In Anlehnung an Raumschiff Enterprise dürfte es in vielen Meetingräumen bei virtuellen Konferenzen bald heißen "Beam me up". Zwar wird der Gesprächspartner (noch?) nicht wie in dem Science-Fiction-Klassiker von einem Ort zum anderen teleportiert, doch er könnte künftig als Hologramm anwesend sein. Alles noch Zukunftsmusik? Mitnichten, denn Cisco hat mittlerweile eine erste Betaversion der entsprechenden Hardware vorgestellt und die Markteinführung soll noch in diesem Jahr erfolgen.
Dementsprechend gespannt waren wir auf einen ersten Test mit dem System. Würde die 3D-Videokonferenz beim Tester den sprichwörtlichen Kick auslösen - vor allem nach fast drei Jahren Arbeiten unter Corona-Bedingungen mit unzähligen klassischen zweidimensionalen Videokonferenzen? Auf Ciscos europäischer Tech-Konferenzmesse Cisco Live! hatten wir endlich die Gelegenheit, Webex Hologram live zu testen und zu erleben.
Gespannt wie ein Flitzebogen ging es dann auf dem Webex-Stand in einen der üblichen Messe-Besprechungsräume. Und die erste Enttäuschung folgte. High Tech erwartend, fanden sich in dem Raum lediglich ein großer Besprechungstisch mit Stühlen, ein Laptop sowie ein paar Headsets und an der Wand ein Bildschirm als Herzstück des Systems. Wobei es sich bei diesem von Cisco als Capture Device bezeichneten Gerät um mehr als einen normalen Monitor handelt, denn das Device besitzt insgesamt 16 Kameras, von denen zwölf für die Aufnahme des 3D-Bildes zuständig sind.
Vorbereitungen
Auf in die 3D-Videokonferenz, endlich abtauchen in neue immersive Welten. Doch Geduld. Wie von AR/MR/VR-Headsets gewohnt - unterstützt werden derzeit Microsofts Hololens und die Magic Leap -, musste das Device erst einmal auf den User kalibriert werden, sprich das Eye-Tracking etc. ausgeführt werden. Geschafft, also endlich ab in die Videokonferenz.
Halt! Wie tritt man einer Videokonferenz ohne Rechner oder Bedienpanel an der Wand bei, wenn weit und breit nirgends der bekannte Button "Join Conference" zu sehen ist? Ganz einfach, wie von anderen VR-Anwendungen gewohnt, ruft man mit einer Handflächenbewegung das virtuelle 3D-Menü auf. Und voila, hier fand sich dann der gesuchte Join-conference-Knopf, der virtuell mit dem Finger der anderen Hand gedrückt werden musste.
Gesprächspartner in 3D
Und schon fand sich der ungeduldige Tester in seiner ersten 3D-Videokonferenz. Aber das erhoffte Raumschiff-Enterprise- oder Beam-me-up-Feeling kam nicht auf, der Raum blieb einfach unverändert -egal, wohin der Blick des Betrachters im Raum wanderte. Allerdings begrüßte den Tester wie aus dem Off plötzlich ein klares, sattes "How are you?". Huch, wo kommt die Stimme her? Ein neuer Blickwechsel offenbarte des Rätsels Lösung: Der Gesprächspartner saß leibhaftig direkt vor dem Tester auf der anderen Seite des Besprechungstisches als dreidimensionales Hologramm. Und der erste Eindruck war einfach überwältigend in Sachen Detailtreue und immersivem Feeling.
Faszinierende Darstellung
So schloss etwa die Armlehne des Stuhls, auf dem unser virtueller Gesprächspartner saß auf einer Ebene mit der Tischplatte des Besprechungstisches ab. Und das Hemd des Gegenübers warf in der virtuellen Welt Falten wie in der Realität. Dieser Eindruck setzte sich dann während der Diskussion fort, denn die ganze Mimik und Bewegung der Gesichtsmuskeln ist in 3D ein ganz anderes, viel realeres Erlebnis im Vergleich zu einer klassischen zweidimensionalen Videokonferenz. Und beim virtuellen Anstoßen mit einem Wasserglas fehlte eigentlich nur noch das Klirren der Gläser. Natürlich wurde dem Tester die Illusion geraubt, der Gesprächspartner befinde sich im gleichen Raum, denn das eigene Wasserglas ging einfach durch das virtuelle Glas des Gegenübers hindurch.
Dennoch ist das Beispiel der Gläser ein schöner Beleg für die hervorragende visuelle Darstellung des Systems. So waren die Gläser wirklich durchsichtig und die dünnen Ränder der Gläser konnten ebenfalls im Detail wahrgenommen werden. Und beim Bewegen war das Schwappen des Wassers im Glas deutlich und ohne jede Verzerrung zu sehen. Oder kurz, die Qualität der holgrafischen Darstellung begeisterte einfach und hebt das Thema Videokonferenzen auf einen neuen Level.
Anwendungsszenarien
Allerdings wird wohl kaum jemand ein holografisches Videokonferenzsystem kaufen, um ein paar virtuelle Drinks in größtmöglicher Annäherung an die Realität in virtuellen Meetings zu genießen. Typische Anwendungen könnten etwa das gemeinsame, remote Arbeiten an dreidimensionalen Modellen, Designentwürfen etc. sein. Wir untersuchten im Test beispielsweise die dreidimensionale Nachbildung einer Niere, um eine womöglich bevorstehende Operation zu besprechen. Auch der virtuelle Webex-Messestand war vor uns nicht sicher und wurde bis ins Detail inspiziert. Wie von anderen MR/AR-Anwendungen gewohnt, können die Meeting-Teilnehmer sich einen virtuellen Gegenstand greifen und etwa direkt vor sich aus der Nähe betrachten und drehen oder den anderen Teilnehmern virtuell etwas an dem Objekt zeigen.
Unter dem Strich war das Erlebnis der 3D-Videokonferenz in Sachen Bild- und Tonqualität so überzeugend, da keinerlei Ruckler oder Verzögerungen auftraten, dass der Verdacht aufkam, an einem Fake teilzunehmen. Saß der Gesprächspartner womöglich direkt im Nachbarzimmer? Eine direkte Nachfrage ergab dann, dass das holografische Gegenüber auf der anderen Seite des Atlantiks in Toronto saß. Allerdings erfordert diese Darstellungsqualität ihren Tribut, der manchem in der Breitband-Diaspora Deutschland negativ aufstoßen wird: Für die Übertragung des holografischen Bildes des Gegenübers ist etwa die zehnfache Bandbreite im Vergleich zu einer normalen Videokonferenz erforderlich. Und die anderen Teilnehmer benötigen die doppelte Bandbreite im Vergleich zu herkömmlichen virtuellen Meetings.
Die Technik
Das realistische und lebensechte Resultat erklärt sich dadurch, dass Cisco für die Hologramm-Darstellung auf Lichtfeld-Technologie setzt. Dabei wird durch die je nach Blickwinkel unterschiedliche Farbreflexion von Abermillionen von Lichtpunkten im menschlichen Gehirn ein 3D-Tiefeneffekt erzeugt- unter anderem auch, weil das rechte Auge des Betrachters ein etwas anderes Bild an das Gehirn sendet als das linke. Wie das genau funktioniert, haben wir im Artikel "So funktioniert Webex Hologram" erklärt.
Dass die Idee der holografischen Videokonferenz mehr als eine Spielerei ist, zeigt etwa Ciscos Betakunde McLaren. Der Rennstall und Autobauer bespricht bereits via Webex Hologram Designentwürfe sowie Bauteile seiner Formel-1-Boliden. Auch ansonsten scheint das Interesse in den Unternehmen sehr groß zu sein, denn selbst als Pressemitglied war es auf der Cisco Live! nur mit Mühe möglich, einen Testslot zu ergattern, da die Termine komplett ausgebucht waren