Suite oder Best-of-Breed?

An Hyperautomation scheiden sich die Geister

21.10.2021
Von  und
Julian Beckers ist Managing Director der Weissenberg Group. Seit Beginn seiner Beratertätigkeit beschäftigt er sich mit den Themen Process Improvement, Buy-Outs und digitale Transformation. Schwerpunktmäßig ist Beckers heute als RPA Business Analyst, Solution Architect und Lead Developer für die Weissenberg Group tätig.
Dr. Norbert Niemeier leitet seit 2021 bei der Weissenberg Group als Geschäftsführer den Bereich Weissenberg Intelligence. Seine Wurzeln liegen in der internationalen Technologie- und Managementberatung - Fokus auf prozessuale und technologische Fragestellungen rund um die Prozessautomatisierung - von globalen Unternehmen mit dem Anspruch, auch zukünftig im Wettbewerb mit dynamischen Innovationsunternehmen bestehen zu wollen.
Mit Hyperautomation gehen Unternehmen in die nächste Phase der Digitalisierung. Doch was ist dafür besser geeignet: Eine Automatisierungs-Suite oder eine Sammlung verschiedener Tools für RPA, Process Mining & Co.?
Mit Hyperautomation nimmt die Automatisierung von Geschäftsprozessen Fahrt auf.
Mit Hyperautomation nimmt die Automatisierung von Geschäftsprozessen Fahrt auf.
Foto: Willyam Bradberry - shutterstock.com

Robotic Process Automation (RPA) hat die Digitale Transformation schneller als jede andere Technologie durch die Automatisierung alltäglicher und sich wiederholender Aufgaben ermöglicht und vorangetrieben. Nach dem ersten Automatisierungs-Hype stehen wir heute aber an einer Art Gezeitenwende. Nicht mehr einfache Prozessautomatisierung ist gefragt, sondern eine schnelle und effiziente Skalierung anspruchsvoller Automatisierung im gesamten Unternehmen.

Der Schlüssel dazu ist Hyperautomation. Denn Hyperautomation definiert die Automatisierung neu. Anstatt sich lediglich auf einzelne Werkzeuge zur Prozessautomatisierung zu konzentrieren, zielt Hyperautomation auf die Vorteile ab, die sich daraus ergeben, wenn komplementäre Entscheidungs-, Prozess- und Aufgabenautomatisierungs-Tools sinnvoll integriert beziehungsweise ineinandergreifend eingesetzt werden.

Hyperautomation - Definition

Laut Gartner handelt es sich bei Hyperautomation um einen geschäftsorientierten, disziplinierten Ansatz, mit dem Unternehmen so viele Geschäfts- und IT-Prozesse wie möglich schnell identifizieren, überprüfen und automatisieren können. Hyperautomation beinhaltet den orchestrierten Einsatz von Tools wie künstliche Intelligenz (KI), Machine Learning (ML), Robotic Prozess Automation (RPA), Business Process Management (BPM), Intelligent Business Process Management Suites (iBPMS), Integration Platform as a Service (iPaaS), Low Code/No Code-Tools, Data Mining und Process Mining, um Informations-, Prozess- und Funktionssilos im Unternehmen aufzubrechen.

Dabei bezieht sich Hyperautomation nicht nur auf die Breite der Werkzeugpalette, sondern im Rahmen eines holistischen Ansatzes auch auf alle Schritte der Automatisierung selbst wie Entdecken, Analysieren, Entwerfen, Automatisieren, Messen, Überwachen und Neubewertung. Doch die freudige Erwartung vieler Unternehmen angesichts der Möglichkeiten von Hyperautomation erhält schnell einen Dämpfer. Denn bevor sie in den Genuss einer nahtlosen End-to-End-Automatisierung kommen, muss erst noch die Gretchenfrage beantwortet werden: Hyperautomation-Suite oder Best-of-Breed?

Automatisierungs-Suites - Hyperautomation von der Stange

Automatisierungs-Suites sind so konzipiert, dass sie den Unternehmen die Werkzeuge an die Hand geben, die eine integrierte Belegschaft aus Menschen und Robotern benötigt, um jedes neue Problem am besten lösen zu können. Die nahtlose Integration der verschiedenen Automatisierungs-Tools und KI-Komponenten in einem Produkt-Bundle gewährleistet ein einheitliches Design der Komponenten, eine konsistente Usability und ein nahtloses Ineinandergreifen der Funktionen und Komponenten. Die Software stammt aus einer Hand, was die Update- und Versionsfähigkeit über den kompletten Produktlebenszyklus hinweg garantiert. Dieser All-in-One-Ansatz bündelt Tools und Funktionalitäten, mit denen sich die gesamte Prozesskette abbilden lässt.

Unter den Protagonisten des Suite-Ansatzes finden sich renommierte Automatisierungsexperten, allen voran UiPath. Hyperautomation-Suites wie die von UiPath bieten die Integrationen von unterschiedlichen Tools und Funktionen, um eine nahtlose End-to-End-Automatisierung selbst komplexer Prozesse und langlaufender Workflows und damit eine nahtlose Hyperautomation Journey zu ermöglichen - und das alles aus einer Hand. Machine Learning und Natural Language Processing (NLP) eröffnen der Automatisierung ganz neue Möglichkeiten, während Process Mining Geschäftsprozesse, Abweichungen und wirksame Automatisierungen visualisiert und maßgeblich dazu beiträgt, Geschäftsautomatismen zu verbessern und automatisierbare Aufgaben zu entdecken.

Die Vielzahl der gebündelten Funktionen einer Hyperautomation-Suite ermöglicht es Unternehmen, die gesamte Bandbreite des Automatisierungszyklus zu bespielen - von den Bereitstellungsoptionen für das Roll-Out der entwickelten Softwareroboter - sowohl On-Premises als auch via Automation Cloud - bis zu Prozesserkennungs-Tools und Mitarbeiter-Crowdsourcing, um automatisierungsfähige Vorgänge zu erkennen. KI-Funktionen analysieren auch komplexere Szenarien und Automatisierungsauswirkungen. Document Understanding extrahiert Daten aus verschiedenen strukturierten und unstrukturierten Dokumenten, interpretiert sie und stellt eine durchgängige Verarbeitung sicher.

Automatisierungs-Tools: Best-of-Breed-Automation

Best-of-Breed bezeichnet dagegen eine Philosophie, die für jeden Anwendungsfall auf die bestmögliche Lösung setzt. Der Best-of-Breed-Ansatz gibt Unternehmen die Möglichkeit, bei jedem Automatisierungsfall auf einen entsprechenden Spezialisten zurückgreifen zu können. Denn nicht jedes Problem ist ein Nagel und nicht jede Lösung ist ein Hammer.

Anbieter, die ausschließlich Tools beispielsweise im Bereich RPA, Process Mining, Machine Learning oder NLP anbieten, haben auf diesen Bereich ihren uneingeschränkten Fokus gesetzt und verfügen über ausgewiesene Expertise. Mit einer Best-of-Breed-Lösung profitieren Unternehmen in technischer und fachlicher Hinsicht von dem Ziel einer jeden Einzellösung, jeden einzelnen Prozess mit der optimale Technologie zu digitalisieren. Im Idealfall werden die verschiedenen Automatisierungs-Tools auf einer digitalen Plattform im Unternehmen für ein reibungsloses Zusammenspiel orchestriert.

Zudem bringt jedes System einen spezialisierten Professional Service mit. Dies trägt dazu bei, sicherzustellen, dass die Mitarbeiter die beste Automatisierungslösung für die anstehende Prozessoptimierung verwenden können. Mitunter ist der Best-of-Breed-Ansatz angesichts der individuellen Automatisierungsanforderungen hinsichtlich Größe, Branche und Organisationsstrategie sinnvoller als ein Suite-Ansatz. Unternehmen können weiter auf vorhandene und bewährte Lösungen setzen.

Vertreter des Best-of-Breed-Ansatz verweisen gerne auch auf die Agilität und Flexibilität dieses Ansatzes, die sich in der kurzen Zeitspanne für die Implementierung der einzelnen Lösungen und der Anpassungsfähigkeit an neue Prozesse widerspiegeln. Sollte eine singuläre Lösung aber nicht mehr gebraucht werden, ist sie deutlich einfacher abzulösen als eine Suite.

Hyperautomation: Suite vs. Best-of-Breed

Die Wahl zwischen einer Hyperautomation-Suite und einem Best-of-Breed-Ansatz ist keine leichte Entscheidung, da die Ausrichtung der internen Digitalstrategie und die individuellen Anforderungen an die Geschäftsstrategie eine erhebliche Rolle spielen. Dazu kommen die oftmals bereits bestehende IT-Infrastruktur, ein gewisser bereits vorhandener Automatisierungsgrad sowie die Komplexität der abzubildenden Prozesse.

Suite-Vorteile

Wenn Unternehmen das Thema Automation neu aufziehen, spricht viel für eine Suite. Die Vorteile einer "Alles aus einer Hand" -Lösung liegen vor allem in einer einheitlichen Datenbasis, der Bedieneroberfläche und -freundlichkeit, der vorgegebenen Struktur sowie in dem Umgang mit Schnittstellen, gerade auch mit Blick auf Updates und neue Releases. Auch das Thema Zukunftssicherheit darf nicht außer Acht gelassen werden.

Suites sind auch deshalb schon attraktiv und sinnvoll, weil sie gleichzeitig im gesamten Unternehmen bereitgestellt werden können. Sie bieten sich vor allem für Unternehmen mit einem standardisierten, skalierbaren Geschäftsmodell wie beispielsweise DHL an. Der Geschäftsprozess, Pakete von A nach B zu transportieren, ist weltweit - vielleicht mit leichten Abweichungen - überall der gleiche.

Best-of-Breed-Vorteile

Etwas anders sieht es sicher aus, wenn im Unternehmen bereits unzählige Automatisierungsinitiativen parallel laufen bzw. schon verschiedene Automatisierungen abgeschlossen wurden. Hier tabula rasa zu machen, alles einzustampfen und die Automatisierungsstrategie über eine Hyperautomation-Suite abzubilden, kann sinnvoll sein. Unternehmen, die diesen Weg gehen, sollten sich aber über die enormen Kosten und den Zeitfaktor (von bis 12 Monaten) für die unternehmensweite Implementierung einer Suite im Klaren sein. In dem einen oder anderen Fall ist daher ein Best-of-Breed-Ansatz dann doch die bessere Lösung.

Ähnliches gilt für Unternehmens-Konglomerate, die mit einem wahren Bauchladen an Produkten und Services operieren. Ein Beispiel dafür ist etwa Thyssen Krupp, die eine stark fragmentierte und diversifizierte Organisationsstruktur aufweisen. Hier ist eine Best-of-Breed Lösung unter operationellen, kostentechnischen und zeitlichen Gesichtspunkten sicher die bessere Lösung. Denn je fachspezifischer ein Prozess ist, desto eher kommt eine Einzellösung in Frage.

Bei der "capability driven" Best-of-Breed Lösung wird jeder Use Case daraufhin durchleuchtet, welches Werkzeug individuell abgestimmt auf den speziellen Fall als Lösungs-Tool in Frage kommt und die End-to-End Digitalisierung der Prozessketten nachhaltig positiv verändert. Tools zur Orchestrierung der unterschiedlichen Automatisierungswerkzeuge anzupassen, wird in diesem Zusammenhang zunehmend zu den Kernkompetenzen von Beratern gehören. Gerade beim Best-of-Breed-Ansatz braucht man Experten, die wissen, wie das Ganze zu orchestrieren ist.

Im Idealfall sollte der Einführung von Automatisierungs- und KI-Tools die Entwicklung einer ganzheitliche und langfristig ausgelegte Digitalstrategie vorausgehen. An ihr muss sich die Auswahl des technologischen Ansatzes orientieren und nicht umgekehrt. Nur so lässt sich ein konsistenter Hyperautomatisierungsansatz im Unternehmen erfolgreich realisieren. (mb)