Bis in die 1980er Jahre noch wurden Linkshänder zu Rechtshändern umerzogen. Selten gab es damals Schüler, die beidhändig schreiben konnten. Die Fähigkeit, sich flexibel auf neue Umstände einstellen zu können und Fähigkeiten zu vernetzen, war einfach nicht gefordert. Dennoch wurde der Begriff der Ambidextrie für Wirtschaftsorganisationen bereits 1976 erstmals verwendet. Denn auch in den frühen 80er Jahren standen Unternehmen vor dem Problem, ihre Geschäfte ausbauen und sich gleichzeitig weiterentwickeln zu müssen. Heute, im Rahmen der Digitalen Transformation und der enormen Innovationsgeschwindigkeit, erfährt die Ambidextrie eine Renaissance und neue Bedeutung für die Führung von Unternehmen.
Ambi-was?
Wie so oft kommt ein Modell, das im Management Anwendung findet, ursprünglich aus dem medizinischen Kontext. Ambidextrie (lateinisch: ambo - beide; dexter - rechts) heißt wörtlich übersetzt Beidhändigkeit, also die Fähigkeit, beide Hände völlig gleichwertig einzusetzen. Entsprechend bedeutet Ambidextrie für das Management von Unternehmen, bestehende Modelle zu optimieren (Exploitation) und gleichzeitig zu forschen (Exploration). So haben es O'Reilly und Tushman definiert. Nur durch Ambidextrie kann ein Unternehmen langfristig agil und anpassungsfähig sein.
Die Digitale Transformation zwingt Organisationen geradezu täglich, sich mit diesem Dilemma auseinanderzusetzen. Wie gelingt der Spagat zwischen Flexibilität, Entdecken, Neuem und der Verfeinerung von Stabilität und Effizienz? Was bedeutet das für die Führung von Unternehmen? Hier liefert die Ambidextrie ein zeitgemäßes Modell im Rahmen des Digital Leaderships.
Zwischen Top-Down und Interaktivität
Einerseits muss die Führungskraft, sagen wir mit ihrer rechten Hand, eher klassisch Top-Down-Entscheidungen durchsetzen, um die Stabilität und Effizienz des Unternehmens zu sichern und auszubauen. Andererseits hat die linke Hand die Aufgabe, schnelle, vernetzte und selbstorganisierte Einheiten zu motivieren und zu "enablen". Leader ist dabei nur noch derjenige, der Innovationen mit lockerer Hand fließen lässt.
In nahezu allen Organisationen sind beide Welten vorhanden. Nur: wie managt man Stabilität und Effizienz auf der einen Seite sowie Unsicherheit und Innovationen auf der anderen Seite? Um im körperlichen Bild zu bleiben: was tun, damit man nicht in Schieflage kommt, weil die eine Hand zu schwer wird?
- Falle 1: Die Wichtigkeit der Antrittsrede unterschätzen
Es ist hilfreich, die Mannschaft zu einem Come together einzuladen und sich noch einmal offiziell vorzustellen. In einer kurzen Rede sollte man zum einen etwas über sich samt Werdegang erzählen und zum anderen bereits einen Einblick in den Führungsstil sowie Werte und Ziele geben. - Falle 2: Sofort alles auf den Kopf stellen
Neue Führungskräfte verfallen wegen der hohen Erwartungshaltung häufig in blinden Aktionismus. Es ist besser, die ersten Wochen für Mitarbeitergespräche zu nutzen. So bekommen Sie einen Überblick über Erwartungen, Aufgaben, Zusammenarbeit, Prozesse und mögliche Knackpunkte. Erst nach der Bestandsaufnahme sollten Veränderungen unter Einbindung der Mitarbeiter angestoßen werden. - Falle 3: Von Mitarbeitern instrumentalisieren lassen
Kommt eine neue Führungskraft, tendieren Mitarbeiter gerne dazu, sie für ungeklärte und unbefriedigende Belange einzuspannen, damit sie sich für diese Anliegen gegenüber Dritten starkmacht. Aber hier ist Vorsicht geboten, weil oft nur die subjektive Wahrnehmung ans Licht kommt. Man sollte also keine Versprechungen machen und voreiligen Entscheidungen treffen, sondern sich zunächst einen umfassenden Eindruck über den Status quo und über Verantwortlichkeiten verschaffen. - Falle 4: Intensive Freundschaften mit Mitarbeitern eingehen
Entwickeln sich Freundschaften zu einzelnen Kollegen, sollte man hinterfragen, welchen Einfluss die Beziehung auf das Tagesgeschäft im Unternehmen hat und welchen Eindruck Kollegen und Vorgesetzte bekommen, wenn sie von der Freundschaft erfahren. Zum Schutz von Führungskraft und Mitarbeiter ist es daher sinnvoll, ausreichend Distanz zu wahren. - Falle 5: Recht behalten und Fehler nicht eingestehen
Fehler einzugestehen und Kritik von Mitarbeitern anzunehmen wird oft als Führungsschwäche ausgelegt. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Wahre Größe und Kompetenz beweist, wer offen für berechtigte Kritik ist und gegebenenfalls eine Entscheidung rückgängig macht. So gewinnt man als Vorgesetzter Glaubwürdigkeit und Vertrauen. - Falle 6: Konflikten aus dem Weg gehen
Harmoniebedürftige Führungskräfte sind meist auch konfliktscheu. Sie hoffen insgeheim, dass sich Probleme von selbst lösen, und sprechen Missstände oft viel zu spät an. Ob Fehlverhalten von Mitarbeitern oder Konflikte im Team - Sie sollten Erwartungen frühzeitig nennen, immer konstruktives Feedback geben und rechtzeitig nachsteuern. Klarheit in der Führung ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Und Klarheit und Freundlichkeit schließen sich nicht aus. - Falle 7: Immer eine offene Tür haben
Eine Aussage wie "Sie können jederzeit zu mir kommen" ist fatal. Der Grund: Ungeplante Gespräche bringen den Tagesablauf durcheinander und reißen die Führungskraft bei ihrer jeweiligen Aufgabe aus der Konzentration. Soll heißen: Führen "zwischendurch" ist nicht ratsam. Nehmen Sie sich nach Abstimmung ungeteilte Zeit für Mitarbeitergespräche. - Falle 8: Experten im Fachwissen übertreffen wollen
Es ist ein Trugschluss, als Führungskraft zu glauben, auf jede fachliche Frage eine Antwort haben zu müssen oder jedes Problem lösen zu können. Dafür sind die Fachleute zuständig, nämlich die Mitarbeiter mit ihrem entsprechenden Fachwissen. Der Job des Vorgesetzten ist primär, Führungs- und Steuerungsaufgaben wahrzunehmen. Wer sich als Chef dennoch dafür verantwortlich fühlt, wird schnell zum "Obersachbearbeiter". Tipp: Delegieren Sie, damit Sie Freiräume gewinnen und Ihre Ziele erreichen.
Ambidextrie kann als zeitgemäßes Modell des Digital Leadership nur funktionieren, wenn Unternehmen, wenn die Führungskräfte den Kern ihrer Aufgabe, nämlich das Managen mit beiden Händen durchführen, nicht outsourced. Wenn Unternehmen in die Zukunft schauen und sich neben ihren erfolgreichen Kerngeschäften fragen, wie sie intensiv an innovativen Geschäftsfeldern arbeiten, dann agieren sie beidhändig. Wenn sie ihre Mitarbeiter ambidextrisch führen - einerseits mit klaren Vorgaben, andererseits mit flexiblen Motivationsumfeldern - dann weiß die rechte Hand, was die Linke tut.
Die linke Hand beruht darauf, dass Führung agile Zusammenarbeit und schnelle Kommunikation ermöglicht. Und die rechte Hand muss entsprechend eingesetzt werden, um das klassische Betätigungsfeld des Unternehmens weiter zu optimieren.