Der Impuls, eine Lernreise zu unternehmen, kommt in der Regel vom CEO. Der Grund: Inspiriert durch Impressionen im Umfeld sieht er innerhalb seiner Führungsmannschaft den Bedarf, eine Vorstellungskraft für das digitale Zeitalter zu erzeugen. Er verbindet damit aber nicht nur die Absicht, Kompetenzaufbau zu betreiben. Ebenso möchte ein CEO sehen, wie sein Team auf die Impressionen aus der Startup-Welt reagiert. Insbesondere das Verhalten des CIO, CDO oder IT-Verantwortlichen werden genau beobachtet. Der Chef will nämlich wissen: Kann die Schlüsselfigur für digitale Transformation im Unternehmen übergreifend, kooperativ und in digitalen Geschäftsmodellen denken? Verbindet er damit einen kulturellen Wandel? Oder ist für den IT-Manager die Digitalisierung nur ein Technik- und Prozessthema mit dem Ziel der Optimierung des Bestehenden?
Reiseplanung mit strategischer Weitsicht
Das Interesse des Geschäftsführers, seinem Team die "neue Welt" zu zeigen und die persönliche Erneuerungsfähigkeit zu prüfen und zu fördern, wird aber von weiteren Interessen aus dem Kreis der Geschäftsführung ergänzt. Insbesondere Personalchefs wollen sowohl die Arbeitsweise und das Management zwischen Agilität und Stabilität in Startups in Erfahrung bringen als auch wissen, wie man Smart Creatives gewinnen kann (Stichwort: Arbeitgebermarke im digitalen Zeitalter). Hingegen sehen die Leiter des Business Development in der Möglichkeit der Teilnahme an einer Lernreise zu Gründerfirmen die Chance, Objekte für M&A-Aktivitäten oder Umsetzungspartner für disruptive, digitale Innovationsprojekte zu identifizieren.
Bei der Konzeption einer Lernreise sollen sich die unterschiedlichen Interessen der Teilnehmer wiederfinden. Es ist daher nicht zielführend, sich vorab automatisch auf das Silicon Valley oder Berlin als Reiseziel festzulegen, nur weil deren Bekanntheitsgrad am größten ist. Eine Lernreise ist zu teuer, als dass sie nur eine rein symbolische Funktion haben kann.
Wohin die Reise gehen soll bestimmen ein weltweites Screening digitaler Ökosysteme sowie das Scouting von Benchmarks, welche auf Basis einer Bedarfsanalyse erfolgen. Im Rahmen dieser Tätigkeiten hat sich für ein Unternehmen zum Beispiel Detroit als Ziel ergeben. Eine Stadt, die derzeit nicht als digitaler Hotspot bekannt ist. Doch die Schnittmenge der divergierenden Interessen in dem Unternehmen hat gezeigt, dass der Fokus der Tour darauf liegen musste, tiefgreifende, bedürfnisorientierte Erneuerung mittels digitaler Instrumente, agiler Arbeitsweisen und dem "Ökosystem-Denken" zu erkennen. Ebenso wichtig war es der Geschäftsführung, ihrer mitreisenden Führungsmannschaft deutlich zu machen, welche Folgen für die Menschen fehlende Wandlungsfähigkeit des Managements und fehlende Einbindung der Mitarbeiter haben kann. Detroit ist derzeit ein Paradebeispiel, um den Niedergang der "alten Welt" zu verstehen und zugleich einen gemeinschaftlichen Aufbruch in das digitale Zeitalter zu erleben.
Überforderungen vermeiden
Lernreisen können unterschiedliche Länge haben. Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine Dauer von zwei bis vier Tagen sinnvoll ist. Der Teilnehmerkreis sollte möglichst groß sein. Das heißt, es sollten alle Personen mitreisen dürfen, die im Unternehmen Verantwortung in Sachen digitaler Transformation tragen. Dennoch sollte die Gruppengröße zwanzig Teilnehmer nicht überschreiten. Dies hat vor allem organisatorische Gründe, da Startups wenig Raum und Zeit haben.
Ferner ist zu bedenken, dass das Programm einer Lernreise in der Regel sehr eng getaktet ist, um möglichst viele Impressionen in kurzer Zeit zu sammeln. Die Gespräche mit den jungen Unternehmern, Fachexperten sowie Anreisen im Bus zu verschiedenen Stationen innerhalb einer Stadt sind außerdem anstrengend.
Briefings und Reiseunterlagen
Es ergibt wenig Sinn, ohne Planung und Vorbesprechungen die Startup-Unternehmer und Ökosystem-Betreiber zu besuchen. Denn weder wissen sie, was die einzelnen Teilnehmer der Exkursion interessiert, noch wissen die im operativen Geschäft zumeist stark eingebunden Führungskräfte, was der jeweilige Ansprechpartner macht und warum er ausgewählt wurde. Im Vorfeld der Reise sind daher persönliche Briefings der Gesprächspartner vorzunehmen, in denen die Interessen der Lernreisegruppe dargestellt werden. Die Teilnehmer erhalten vor der Reise ausführliche Unterlagen mit Informationen zur Reiseroute, zu den jeweiligen Ansprechpartnern und deren Projekten, zu relevanten Begriffen sowie einen abgestimmten Fragenkatalog.
Reviews einplanen und Ergebnisse auswerten
Nach jeder Station der Reiseroute ist eine gemeinsame Aufbereitung der Impressionen zu empfehlen. Vor Ort, in einem benachbarten Café oder im Fahrzeug sollten 15 Minuten "Review-Session" eingeplant werden, um eine persönliche Einordnung vornehmen zu können: Was bedeutet das Gesehene für mich mein Team sowie Unternehmen?
Ein ausführlicher Rückblick ist am Ende der Lernreise als Workshop zu veranschlagen. Dieser Review sollte vor Ort erfolgen und mindestens vier Stunden dauern. Am Ende der Gesamtauswertung der Ergebnisse werden in der Sitzung Aufgabenpakete und Zuständigkeiten definiert, um die identifizierten Themenfelder innerhalb des Unternehmens weiter-zuverfolgen.
Es ist zielführend, Review-Sessions unter Anwendung agiler Workshop-Methoden zu gestalten, so dass die Teilnehmer vor Ort State-of-the-Art-Denk- und -Arbeitsweisen unmittelbar anwenden lernen. Diese Aufgabe obliegt dem externen Begleiter, der für die Konzeption und Moderation der Reviews verantwortlich ist.
Symbolik und Storytelling
Lernreisen von Führungskräften zu digitalen Hotspots zielen aber nicht nur auf den Kreis der Teilnehmer der Erkundung ab. Es gilt, die Wahrnehmung der gemeinsamen Expedition ebenso zu berücksichtigen und strategisch zu gestalten. Denn Learning Journeys der Führungskräfte sollen im Idealfall einen Aufbruch symbolisieren: Schaut her, wir gehen neue Wege und machen uns auf ins digitale Zeitalter! Auf diese Weise kann durch die "Offsite-Tour" eine Führungskoalition (Leadership Coalition) für die digitale Transformation gebildet und demonstriert werden. Dazu ist erforderlich, dass während der Reise eine Dokumentation erfolgt, die zielgerichtetes Storytelling erlaubt, um neue Werte und Arbeitsweisen für die "Daheimgebliebenen" aufzuzeigen. Die Teilnehmer der Reise werden somit zu Protagonisten einer unternehmerischen Erneuerungsgeschichte, welche bereits im Vorfeld der Tour teilweise geschrieben und während dieser weiter ausgeführt wird. Ziel ist es, neue Rollenmodelle frühzeitig wahrnehmbar zu machen, um unternehmensintern einen anschließenden, erforderlichen Change-Prozess im Zuge der digitalen Transformation zu erleichtern.
Die Inszenierung sollte aber auch ihre Grenzen haben. Eine Storytelling-Kampagne, wie sie das Verlagshaus Axel Springer aus seinen Silicon-Valley-Trips geschaffen hat, kann und sollte nicht jedes Unternehmen adaptieren. Dennoch bietet es sich an, die symbolreichen Bilder und Statements der Führungsmannschaft, welche auf einer Lernreise entstehen, zu nutzen, um dem kulturellen Wandel in der Organisation im Rahmen der digitalen Transformation Vorschub zu leisten.
Die Reise muss zu Hause weitergehen
Lernreisen zu digitalen Hotspots ermöglichen es, eine gemeinsame Nachdenklichkeit zu erzeugen und sichtbar zu machen. Manche Teilnehmer erwarten sich von einer Lernreise mehr. Sie sind der Meinung, dass mit dem besuchten Startup in der Folge kooperiert wird oder seine Arbeitsweisen in der eigenen Abteilung Einzug halten sollten. Manchmal ist das sogar der Fall, doch es sollte nicht der Anspruch an eine Learning Journey sein.
Bei einer Expedition zu den Tempeln des digitalen Zeitalters steht das gemeinsame Reflektieren der Eindrücke im Mittelpunkt. Der Weg zwischen alter und neuer Welt ist ein Tauziehen, das insbesondere auf einer Reise zum Vorschein kommt, wo Teilnehmer mit kontinuierlichen Tabubrüchen konfrontiert werden. Doch genau auf diese Dialoge und Bilder müssen die Reisenden sich einlassen und sie vor allem auch kommunizieren. Einen unreflektierten Hurra-Aufbruch erwarten die meisten Mitreisenden ebenso wenig wie die Belegschaft zu Hause.
Für den Erfolg einer Lernreise ist es daher entscheidend, dass die Mitarbeiter zu Hause - unmittelbar im Nachgang - ebenfalls Teil der gemeinsamen Erkundung werden können. Es ist die Aufgabe des Topmanagements, den mit der Reise vermittelten Aufbruch nicht elitär zu halten, sondern Mitgestaltung zu ermöglichen. Denkforen sind zu eröffnen und externe Impulse anzubieten. Zudem sollte jedes Digital- und Erneuerungsprojekt ein sichtbarer Baustein der digitalen Transformations-Story werden, die ihren Anfang in dem besuchten digitalen Hotspot der Lernreise hat. Jeder einzelne Mitarbeiter kann dann das Gefühl bekommen, sich ebenfalls auf einer gemeinsamen Erkundung in das digitale Zeitalter zu befinden. So entsteht ein Wir-Gefühl und wird gegebenenfalls eine echte unternehmerische Erneuerung im Sinne einer digitalen Transformation möglich. (pg)