Post-COVID-Studie

Agile im Vorteil?

Kommentar  30.07.2020
Von   , Andreas Mitter und Julia von Spreckelsen
Stefan Pechardscheck schreibt als Experte zum Thema IT Strategy & Governance. Er ist Partner bei der Management- und Technologieberatung BearingPoint und verantwortet dort das Thema Technology Advisory.
Kommen Agile-erprobte Unternehmen besser durch die Coronakrise? Diese und weitere Fragen will eine aktuelle Studie klären.
Trägt Agile besser durch die Krise? Eine aktuelle Studie gibt Aufschluss über den agilen Status Quo im Unternehmensumfeld.
Trägt Agile besser durch die Krise? Eine aktuelle Studie gibt Aufschluss über den agilen Status Quo im Unternehmensumfeld.
Foto: Jacob Lund - shutterstock.com

Vor wenigen Monaten hat die COVID-19-Pandemie die Welt unerwartet getroffen. Die daraus resultierende Coronakrise zeigt deutlich, welche Organisationen Agilität bereits in ihrer Einstellung, Kultur und ihren Abläufen verinnerlicht haben und welche nicht. Auch wenn Agilität keine Zaubermittel für alles und die Bewältigung der Auswirkungen der Krise ist, stellt sich doch die Frage: Können Unternehmen, die in der Vergangenheit bereits verstärkt auf Agilität setzten, mit den neuen Gegebenheiten besser umgehen sowie aus der Krise kommen? Um Antworten darauf zu finden, wurde mit dem Agile Pulse eine Studie aufgesetzt. Sie gibt einen Einblick in den agilen Kulturwandel der Organisationen und gibt Anhaltspunkte, wie weit sich der agile Gedanke bereits manifestiert hat.

Agile Unternehmen entwickeln mehr Innovationskraft

Die Untersuchung ergab, dass agile Methoden bereits einen hohen Verbreitungsgrad aufweisen. Über 90 Prozent der Befragten setzen laut Umfrage agile Methoden ein. Vielfach beschränkt sich der Einsatz agiler Verfahren jedoch auf einzelne Bereiche, wie die IT (87 Prozent), auf Projekte sowie vorrangig auf die Teamebene (95 Prozent). Mehr als 50 Prozent der Befragten haben maximal drei Jahre Erfahrung mit agilen Methoden. Dabei wird sichtbar, dass der Benefit umso größer ist, je länger Organisationen mit agilen Methoden arbeiten. Als Hauptgründe für die Einführung agiler Methoden werden von den befragten Organisationen die Erhöhung der Flexibilität (82 Prozent) und die Geschwindigkeit (68 Prozent) genannt. Diese Werte zeigen, wie wichtig agile Methoden jetzt in der Krise sind.

Laut der Studie stellt insbesondere die Unternehmenskultur (69 Prozent) die größte Hürde bei der agilen Transformation dar, das heißt, die Verankerung des agilen Mindsets sowie der agilen Prinzipien im Alltag. Gerade hier könnten jedoch Krisen wie aktuell das Coronavirus als Antrieb dienen, um wesentliche Änderungen in der Organisationskultur anzustoßen. Die Studie bringt jedoch ans Licht, dass der agile Reifegrad der meisten Organisationen sich eher auf mittleren Niveau bewegt. Gerade bei wichtigen agilen Prinzipien wie der Kundenzentrierung, Fehlerkultur sowie Formen der Selbstorganisation sind die Ausprägungen noch schwach, dabei wären sie in nun in Krisenzeiten immens wertvoll.

Die Untersuchung deckt auch einen Zusammenhang zwischen Reifegrad und Organisationsform auf. Organisationen mit netzwerkartigen Organisationsformen weisen in allen Fragestellungen höhere Reifegrade aus. Die Studie ergab darüber hinaus, dass gerade jene Betriebe, die agile Organisationsformen verinnerlicht haben, eine deutlich höhere Innovationskraft erzielen. Es zeichnet sich auch ab, dass Unternehmen, die Innovation zu einem Teil ihrer DNA gemacht haben, erfolgreicher aus der Krise kommen. Mehr als zwei Drittel der Befragten sind daher der Ansicht, dass Agilität in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen und ihre Relevanz weiter zunehmen wird.

Wie Agile zur Krisenbewältigung beiträgt

Wir sind davon überzeugt, dass Organisationen, die bereits vor der COVID-19-Krise verstärkt auf Agilität setzten, schneller, besser und erfolgreicher wieder durchstarten können. Doch warum ist das so? Dafür sprechen folgende Gründe:

  • Vereinfachte Prozesse unter Vermeidung von nicht-wertschöpfenden Tätigkeiten: Agile Organisationen zeichnen sich durch hohe End-to-End-Prozessverantwortung, schlanke Prozesse, hohe Prozessautomatisierung und -standardisierung aus. Viele Organisationen haben oder werden Kostenreduktionsprogramme starten. Je leichtgewichtiger und standardisierter Prozesse sind, umso kosteneffizienter können Organisationen agieren.

  • Vereinfachte Steuerungslogik: Organisationen, die in Abhängigkeit von Prioritätsänderungen flexibler steuern können, sind in Krisenzeiten besser in der Lage, schnell auf geänderte Parameter zu reagieren. Organisationen mit unflexibler Steuerung und starrer Budgetpolitik vergeben möglichweise neue Chancen, die sich durch die Krise auftun.

  • Vereinfachte Organisationsstruktur: Agile Organisationen zeichnen sich dadurch aus, dass anhand der Wertschöpfungskette durchgängig verantwortliche, autonome und cross-funktionale Teams aufgebaut und Abteilungsgrenzen aufgelöst werden. In Krisenzeiten profitieren agile Organisationen durch bessere Zusammenarbeit über Teams, Abteilungen oder Business Units hinweg. Fachübergreifende Netzwerke und Communities sorgen für einen besseren Austausch.

  • Höherer Innovationsgrad: Interdisziplinäre Teams wirken als Brutkasten für innovative Ideen und Ansätze. Außerdem verfügen agile Organisationen öfter über offene Ökosysteme und profitieren in Krisenzeiten von diesem Netzwerk.

  • Schnelle Reaktionsfähigkeit und Flexibilität: Es gilt, die Krise als Chance zu sehen, und so, wie es im Agilen Manifest festgehalten ist, Änderungen willkommen zu heißen. Strukturen und Prozesse wie agiles Portfolio Management oder Objektive and Key Results helfen kontinuierlich neu zu bewerten. Agile Organisationen arbeiten iterativ mit vielen Feedback-Schleifen und das ständige Hinterfragen und Reagieren auf Änderung ist Teil ihrer DNA.

  • Kundennähe und Kundenzentriertheit: Gerade in Krisenzeiten muss noch zielgerichteter entsprechend den Kundenbedürfnissen agiert werden. Schnelles Feedback ist hier extrem wertvoll. Als Organisation muss bewusst auch mit Teilprodukten auf den Markt zu gegangen werden, um etwaige Kundenwünsche oder Adaptionen früh genug berücksichtigen zu können.

  • Hohe Selbstorganisation und Delegation von Entscheidungen in die Teams: Teams, die es gewohnt sind, auch selbst Entscheidungen zu treffen, sind in Krisenzeiten flexibler und besser vorbereitet. Organisationen, deren Management sehr stark auf Selbstorganisation setzt und Entscheidungsbefugnisse weitgehend an die agilen Teams delegiert haben, sind schneller, was auch in Krisenzeiten ein immenser Vorteil ist.

  • Neuer Leadership-Stil: Führungskräfte sind in Krisenzeiten besonders gefordert und profitieren von Skills, die für agile Organisationen typisch sind. Eine starke und offene Kommunikation kann Sorgen und Unsicherheiten ausräumen und psychologische Sicherheit vermitteln. Führungskräfte, denen es gelingt, eine nachhaltige Fehlerkultur zu etablieren, fördern nicht nur das kontinuierliche Lernen, sondern sorgen auch dafür, dass Mitarbeiter bereit sind, Entscheidungen und Risiken zu treffen. Sie ermutigen Mitarbeiter, über den Tellerrand zu schauen - ein Punkt der in Krisenzeiten zum Erfolg beitragen kann.

  • Technologie-Führerschaft: Agile Organisationen zeichnen sich durch eine Technologieführerschaft und den Einsatz moderner State-of-the-Art-Technologien aus. Organisationen, die bereits vor der Krise begonnen haben, ihre Kernsysteme auf eine Micro-Service-Architektur mit losen gekoppelten Services umzubauen und den Einsatz von Continuous-Integration-Systemen forciert haben, sind in der Lage, schneller und unabhängiger zu produzieren und kontinuierlich Releases zu veröffentlichen.

Etliche Organisationen haben bereits vor der Krise viele dieser Merkmale umgesetzt oder sind dabei, dies gerade zu tun. Auch wenn eine Zukunftsvorhersage ungewiss ist, so hat die Studie gezeigt, dass diese Organisationen durch die gesetzten Maßnahmen die Krise erfolgreicher bewältigen werden. (pg/fm)