Im Jahr 2001 veröffentlichten renommierte Softwareentwickler in den USA das "Agile Manifest für Softwareentwicklung". Darin sind zwölf Prinzipien für die Softwareentwicklung formuliert. Sie basieren auf folgenden vier Axiomen:
Menschen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.
Eine funktionierende Software (Problemlösung) ist wichtiger als eine umfassende Dokumentation.
Die Zusammenarbeit mit dem Kunden (im Projekt) ist wichtiger als das Aushandeln von Verträgen. Und schließlich:
Auf Veränderungen zu reagieren ist wichtiger als das Befolgen eines vorab formulierten Plans.
Dahinter steckt die Erkenntnis: Die Projekte in den Unternehmen sind heute oft so komplex und das Unternehmensumfeld ist so "VUCA" (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity), dass die tradierten Projekt-Management-Methoden einer Ergänzung bedürfen. Es geht also nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch.
Entscheidungssituationen variieren
Wann ist jedoch ein agiles Vorgehen und wann sind Lean- und Standardprozesse angesagt? Hierzu hat der Professor für Management an der Hertfordshire Business School in Großbritannien, Ralph Douglas Stacey, geforscht und die Stacey-Matrix entwickelt. Sie ist eine Orientierungshilfe beim Beantworten dieser Frage.
Die horizontale Achse der Stacey-Matrix ist die "Wie-Achse". Sie steht für die Art und Weise, in der eine Aufgabe zu lösen ist, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Die vertikale Achse hingegen bezeichnet die "Was-Achse". Sie steht für die Ziele, die es zu erreichen gilt, und die Anforderungen, die zur Lösung eines Problems erfüllt werden müssen. Bei einem Projekt können sowohl die Ziele, die zu erreichen sind, als auch der bestmögliche Weg dorthin klar oder unklar sein.
Einfach, kompliziert, chaotisch?
Der Stacey-Matrix zufolge ist eine Management-Entscheidung "einfach", wenn nicht nur das Ziel und die Anforderungen, sondern auch der Weg dorthin klar ist. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn das Unternehmen schon Routine im Lösen entsprechender Aufgaben hat. In diesem Fall ist folgendes Handeln angesagt: Anschauen, einordnen, ableiten, reagieren.
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Wenn das Was und/oder das Wie unklar ist, wird es "kompliziert". Dann empfiehlt sich das Vorgehen: Anschauen, analysieren, reagieren. Und wenn neben Zielen und Anforderungen auch der Weg unklar ist - zum Beispiel, weil die Herausforderung neu ist? Dann wird die Entscheidungsfindung "komplex", und es empfiehlt sich das iterative Vorgehen: Probieren, anschauen, reagieren, erneut probieren, anschauen, reagieren.
"Chaotisch" wird die Entscheidungsfindung, wenn Ziele, Anforderungen und auch der Weg völlig nebulös sind. Zum Beispiel weil das Unternehmen ahnt: "Wir müssen uns für die Zukunft wappnen", dabei aber mit vielen Unbekannten arbeitet:
Wie entwickelt sich in den kommenden zehn Jahren unser Markt?
Welche Problemlösungen sind dann möglich?
Welche Anforderungen stellen dann unsere Kunden?
In solchen Fällen ist vorübergehend nur ein "Sich-durchwursteln" und das Starten von Versuchsballons möglich. Es gilt so lange zu agieren und zu reagieren, bis man eine Klarheit gewonnen hat und aus der chaotischen Entscheidungssituation zunächst eine komplexe und dann eventuell eine komplizierte wurde.
Die Stacey-Matrix ist ein Instrument, um zu einer ersten Einschätzung eines Projekts zu gelangen und zu einer Entscheidung zu kommen, welches Vorgehen mit hoher Wahrscheinlichkeit zielführend ist. Ist die Entscheidungssituation "einfach" oder "kompliziert", kommt man in der Regel mit Standardprozessen und Lean-Ansätzen weiter. Ist sie hingegen "komplex" oder gar "chaotisch", sollte man agile Methoden wählen.
Situativ entscheiden
Professor Saras D. Sarasvathy von der University of Virginia hat - abgeleitet von diesem Denken - den "Effectuation"-Ansatz entwickelt. Er wurde für Konstellationen entwickelt, in denen Entscheidungen nicht auf Basis einer kausalen Logik, die auf begründeten Vorhersagen beruhen, getroffen werden können.
Der Effectuation-Ansatz geht davon aus, dass die Zukunft durch Vereinbarungen zwischen autonomen Akteuren aktiv gestaltet werden kann. Das wäre etwa der Fall, wenn ein Unternehmen entscheidet: Wir setzen in der Produktentwicklung auf die Trends Vernetzung oder Miniaturisierung. Die Unklarheit schwindet, weil Basisentscheidungen über Ziel und Anforderungen getroffen wurden.
Starre Pläne helfen nicht weiter
Es wäre ineffektiv, einfach lösbare Probleme und Aufgaben agil anzugehen. Anders verhält es sich, wenn die Entscheidungssituation kompliziert, komplex oder gar chaotisch ist. Dann ist es hilfreich, sich vor dem Start eines Projekts zum Beispiel mit Hilfe der Stacey-Matrix bewusst zu machen, welchen Charakter das Vorhaben hat, um sich anschließend für ein mehr oder weniger agiles Vorgehen zu entscheiden.
Wird ein Projekt jedoch unreflektiert agil angegangen, ist die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns hoch. Zudem sagen die Beteiligten dann anschließend: Agilität funktioniert nicht. Agilität setzt also voraus, dass die Projektbeteiligten das Denken verinnerlicht haben: Abhängig vom Charakter eines Projekts und davon, wie klar die Ziele und Anforderungen sowie der Lösungsweg sind, ist ein unterschiedliches Vorgehen bei der Projektplanung, -gestaltung und -durchführung nötig. Dieses Bewusstsein gilt es zu entwickeln.