Eine Bankkassiererin, ein Marketingspezialist und ein Produktverantwortlicher beim US-Finanzdienstleister TruStone Financial Credit Union hatten zwei Dinge gemeinsam: Alle drei waren Technologie-affin - und hätten nie gedacht, dass sie das einmal zu IT-Jobs führen würde. Dennoch gehören alle drei Mitarbeiter inzwischen zum IT-Team von CIO Gary Jeter, und das nicht, weil der verzweifelt nach Mitarbeitern suchen würde: Formelle und informelle Programme unterstützen den IT-Entscheider dabei, versteckte IT-Ressourcen innerhalb der 600 Mitarbeiter starken Organisation aufzuspüren.
Mit Erfolg: Alleine im vergangenen Jahr stießen sechs neue Mitarbeiter aus anderen TruStone-Abteilungen zum IT-Team. Jeter führt das vor allem auf die Attraktivität der IT-Abteilung zurück, die sie ihrer - im Vergleich zu anderen Abteilungen - besser ausgeprägten Kultur und guten Aufstiegsmöglichkeiten verdanke. "Wenn neue Leute zu uns kommen, ist mir dabei vor allem wichtig, dass sie ins Team passen. Auf Leute, die in schwierigen Situationen die Flucht ergreifen, kann ich verzichten."
IT-Talente innerhalb der eigenen Reihen zu finden, ist sowohl für den Mitarbeiter als auch für den CIO von Vorteil: Die jüngsten Entlassungen und Einstellungsstopps im Tech-Sektor könnten die Attraktivität der IT-Abteilung für technikbegeisterte Mitarbeiter weiter steigern. Gleichzeitig bieten sich für CIOs, die neuen Mitarbeitern keine deutlich höheren Gehälter als ihr ehemaliger Arbeitgeber zahlen können oder wollen, "günstige" Möglichkeiten, an neue und rare IT-Fachkräfte zu kommen - die zudem das Business bereits kennen. Davon abgesehen profitiert das gesamte Unternehmen von einer gut ausgeprägten Mitarbeiterbindung.
IT-Talente finden: 5 Tipps für internes Recruiting
Im Gespräch mit TruStone-CIO Jeter und weiteren Fach- und Führungskräften haben wir fünf Wege ermittelt, die Unternehmen beschreiten können, um bislang versteckte IT-Talente innerhalb der eigenen Reihen zu entdecken.
1. Richtig einstellen und trainieren
Jeter folgt dem Mantra, Führungspersönlichkeiten einzustellen und ihre Fähigkeiten zu trainieren: "Führungspersönlichkeiten sind in diesem Fall Menschen, die den Drang zu lernen mitbringen. Im Gespräch suche ich deshalb nach Anzeichen für einen neugierigen Geist, teste das logische Denkvermögen und frage beispielsweise auch nach Hobbies."
Abschlüsse und Zertifizierungen genießen beim TruStone-CIO hingegen geringere Priorität. Die eingangs erwähnte Bankkassiererin (die heute als IT-Systemanalytikerin Hypothekenanwendungen betreut) konnte etwa keinen Hochschulabschluss vorweisen, hatte sich in ihrer Schulzeit jedoch für Robotik interessiert und sich selbst das Programmieren mit Python beigebracht, wie der Manager erzählt. "Wenn man sich in seiner Freizeit mit technischen Dingen beschäftigt, wird man wahrscheinlich auch gute Arbeit leisten", konstatiert Jeter.
2. Interne Kompetenz-Marktplätze
Interne Skill-Marktplätze entwickeln sich zunehmend zu einer Möglichkeit für Unternehmen, Tech-Fachkräfte zu halten und gleichzeitig die Anforderungen an ein flexibles, digitales Umfeld zu erfüllen. Speziell Millennials fühlten sich mit einer starr definierten Jobrolle oft 'im Organigramm gefangen', wie Jonathan Pearce, Workforce Strategies Lead bei Deloitte, berichtet. "Diese Mitarbeiter haben das Gefühl, dass sie ihre Karriere außerhalb des Unternehmens besser vorantreiben können als durch interne Aufstiegsmöglichkeiten. Sie sehen keine Möglichkeit, ihre Skills unter Beweis zu stellen. Auf der anderen Seite müssen Projektmanager Aufgaben, von denen einige in IT-Unterbereiche fallen, entsprechend der Skillsets der Mitarbeiter zuteilen."
Interne Skill-Marktplätze werden beiden Anforderungen gerecht: Sie gleichen die Qualifikationen der Mitarbeiter - nicht deren Jobtitel - mit der zu erledigenden Arbeit ab. Einige Unternehmen nutzen KI-gesteuerte Skills-Management-Plattformen als Tool, um Talente zu bewerten. Etwa der Konsumgüterriese Unilever, der seinen internen Talentmarktplatz nutzte, um während der Pandemie mehr als 8.000 Mitarbeiter umzuverteilen.
Ein solcher Skills-Marktplatz kann auch internen Hiring-Bias reduzieren, zu mehr Diversity und besserer Kommunikation beitragen sowie für den Aufbau von Mentorships genutzt werden.
3. Bootcamps
Um neue Möglichkeiten für Mitarbeiter zu schaffen und gleichzeitig die Besetzung wichtiger IT-Positionen voranzutreiben, werden Weiterbildungs- und Schulungsprogramme wie IT-Bootcamps ein immer wichtigeres Instrument.
Das US-Versicherungsunternehmen Progressive erkannte die Chance, die sich ihm bietet und investierte gezielt in eigene Mitarbeiter mit technischem Knowhow, während es die "Zulassungshürden" für einige technische Jobpositionen abbaute. Dazu startete der Versicherer im Jahr 2021 unter Einbeziehung der Personalabteilung ein IT-Bootcamp-Pilotprogramm mit acht Teilnehmern, die inzwischen als Programmierer tätig sind.
Sobald die Bootcamp-Kandidaten identifiziert waren, wurden sie aus ihren bisherigen Rollen herausgenommen und in ein 15-wöchiges Intensivtrainingsprogramm gesteckt, um ihnen die Skills für ihre neue Rollen zu vermitteln - etwa Grundlagen in Sachen C# und .NET. Dabei wurden die Mitarbeiter von einem Vollzeitprogrammierer unterstützt, der als Schulungsassistenten eingesetzt wurde und dafür Sorge trug, dass die IT-Aspiranten das Gelernte auch in der Praxis anwenden können. Für die Zukunft plant Progressive, auch andere technische Rollen in das Programm miteinzubeziehen.
4. Career-Change-Programme
Das Engagement des US-Finanzdienstleisters Capital One in Sachen Karriereentwicklung hat dazu beigetragen, die Mitarbeiter trotz 'Great Resignation' halten zu können. So haben die Mitarbeiter etwa die Möglichkeit, ihre technischen Skills im hauseigenen "Tech College" weiterzuentwickeln: Das Programm bietet Zugang zu tausenden kostenlosen Schulungs- und Zertifizierungskursen zu diversen Themen - beispielsweise Agile, Cloud, Cybersecurity oder KI. Um den individuellen Zeitplänen und Lernstilen der Mitarbeiter gerecht zu werden, werden sowohl Live- als auch On-Demand-Kurse angeboten.
"Der formale Prozess rund um die Karriereentwicklung unterstützt die Mitarbeiter dabei, herauszufinden, was ihnen am Herzen liegt - ohne dazu das Unternehmen verlassen zu müssen", betont Mike Eason, Senior Vice President und CIO of Enterprise Data and Machine Learning Engineering bei Capital One.
5. Interne Quellen nutzen
Niemand weiß über verborgene IT-Talente von Nicht-IT'lern besser Bescheid als Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Bei TruStone gehen Führungskräfte und Manager offen mit solchen Fällen um, wie CIO Jeter erzählt: "Wenn wir glauben, dass ein Mitarbeiter das Zeug für eine IT-Karriere hat, machen wir das transparent."
So konnte die IT-Abteilung kürzlich ein neues Teammitglied gewinnen, nachdem ein Product Owner aus dem operativen Bereich mit der IT-Abteilung zusammengearbeitet hatte, wie Jeter berichtet. Dieser sei bereits seit neun Jahren im Unternehmen gewesen und arbeite jetzt mit Applikationen für Verbraucherkredite: "Er kennt das Business - und jetzt lernt er die Technologie. Es dauert seine Zeit, bis Versetzungen dieser Art voll 'funktionsfähig' sind - schließlich lernt auch jeder Mensch unterschiedlich schnell. Wir verwenden darüber hinaus auch viel Zeit für Leistungsmanagement und Entwicklungspläne. Aber dieser Aufwand lohnt sich. Wenn Sie zeigen, dass Sie bereit sind, in Ihre Mitarbeiter zu investieren, werden sie intern Talente anziehen." (fm)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.