Wenn es um Technologie-Kaufreue geht, kann Sanjay Macwan dank seiner langjährigen Erfahrung als IT-Führungskraft ein Wörtchen mitreden. Der Manager, der derzeit beim Unified-Communications-Anbieter Vonage sowohl die Position des CIO als auch des CISO bekleidet, erinnert sich dabei an ein Smart-Glass-Projekt vor fast einem Jahrzehnt: "Als die Technologie damals auf den Markt kam, waren wir sehr daran interessiert, sie einzusetzen. Also wagten wir den Sprung ins kalte Wasser und investierten sowohl in geeignete Hard- und Software, um Augmented-Reality-Erlebnisse zu entwickeln. Aber das Vorhaben ging nicht auf - weder die Technologie noch das Geschäftsmodell waren ausgereift genug. Keiner wusste so richtig, wie man mit Augmented-Reality-Inhalten Geld verdienen kann. Deshalb mussten wir uns letztlich zurückziehen."
Doch diese negative Erfahrung hatte auch etwa Gutes: Sie hat dem IT-Entscheider dabei geholfen, ein Vier-Punkte-Framework für Technologie-Käufe zu entwickeln. Dabei stehen vier wesentliche Fragen vor einer Investition im Fokus, um sicherzustellen, dass alle erfolgsrelevanten Komponenten vorhanden sind:
Lassen sich die von der Technologie erwarteten Funktionen formulieren und ist dabei zu erwarten, dass die Technologie diese auch liefern kann?
Sind die erforderlichen Skills vorhanden, um die Technologie zu implementieren?
Lässt sich das Investment erfolgreich operationalisieren?
Gibt es Metriken, um zu messen, ob der erwartete ROI realisiert wird?
Macwan genehmigt eine Anschaffung nur dann, wenn er, seine Teams und die jeweiligen Stakeholder diese Fragen mit einem hohen Maß an Vertrauen bejahen können. "Hätte ich diesen Ansatz vor zehn Jahren angewandt, hätte ich erkannt, dass diese frühe Investition in Augmented Reality kein guter Schritt war", räumt der Manager ein.
Auch Studienerkenntnisse untermauern, dass viele Unternehmen immer noch Schwierigkeiten damit haben, gute IT-Anschaffungen zu tätigen. So stellte etwa Gartner in einer Umfrage fest, dass 56 Prozent der befragten Unternehmen einen hohen Grad an Kaufreue bezüglich ihrer größten Technologie-Anschaffungen in den letzten zwei Jahren empfinden. Dabei zeige die weltweite Befragung von 1.120 Managern auch, dass die Technologie dabei nicht das Problem ist, wie Hank Barnes, VP Analyst bei Gartner, unterstreicht: "Es geht dabei vielmehr um den Kaufprozess und die Entscheidungspraxis."
A one-vendor, one-approach technology culture is one sure way to make a bad tech decision. If this happens in your organization, tech leaders must address it—especially if it keeps people from asking questions.
— InfoWorld (@InfoWorld) August 14, 2021
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IT-Beschaffung: 5 Mittel gegen Kaufreue
Dieses Problem lässt sich jedoch beheben wie Macwans Beispiel zeigt. Von seinem Einkaufs-Framework können auch andere IT-Entscheider profitieren. Wir haben im Gespräch mit Technologie- und Branchenexperten fünf Schritte identifiziert, die CIOs, IT-Manager und -Führungskräfte unternehmen können, um die Wahrscheinlichkeit von Tech-Kaufreue zu minimieren.
1. Nicht-IT-Einkäufer führen
Gartner hat ermittelt, dass das Ausmaß der Kaufreue im Unternehmen von den Prozessen abhängt, die bei der Entscheidung für einen Technologiekauf ablaufen - sowie davon, wer und wie viele Stakeholder daran beteiligt sind. Hier zeigt sich, dass 67 Prozent der Personen, die an diesen Entscheidungen beteiligt sind, nicht aus der IT kommen. Dabei neigen die Nicht-IT-Einkäufer laut Gartner eher dazu, ihre Pläne zu canceln, was wiederum zu einem höheren Kaufreue-Maß führt.
Da die Ausgaben für Technologie laut der CIO.com-Umfrage "State of the CIO 2022" im Durchschnitt gleichmäßig zwischen IT- und Nicht-IT-Abteilungen verteilt sind, steigt in den meisten Unternehmen das Risiko, dass IT-Anschaffungen bereut werden. Gartner-Analyst Barnes sieht an dieser Stelle jedoch eine Chance für CIOs: "Bieten Sie spezifischere und formalisierte Anleitungen für Technologieausgaben an, die Sie nicht kontrollieren - zum Beispiel, indem Sie mit Entscheidungsträgern außerhalb der IT-Abteilung zusammenarbeiten. CIOs und ihre Teams können Nicht-IT-Einkäufern dabei helfen, die Auswirkungen auf die Integration, Betrieb und Sicherheit im Blick zu behalten. Es geht hier darum, die Kollegen ohne Knowhow zu coachen, zu orchestrieren und zu befähigen."
2. Anbieter strategisch einbinden
Eine weitere Erkenntnis der Gartner-Umfrage: Ein solides Lieferantenmanagement kann die Kaufergebnisse erheblich positiv beeinflussen. So sei es zum Beispiel völlig natürlich, während des Kaufprozesses Informationen von den Anbietern einzuholen. "No-Regret-Käufer" verfolgten dabei aber laut Barnes einen strategischeren, selektiveren Ansatz: "Wenn man nicht wirklich tief in die einzelnen Angebote der Anbieter eintaucht, kann das Verwirrung führen oder dazu, dass in der Eile wichtige Details unter den Tisch fallen. Einkäufer haben heute schlicht zu viele AuswahlmMöglichkeiten - deswegen sollten sie sich besonders intensiv mit den Anbietern auseinandersetzen."
Auch CIO und CISO Macwan verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Er fordert die Anbieter heraus, um sicherzustellen, dass sie die benötigten Funktionen liefern können: "Ich nehme mir die Top-Anbieter vor und frage sie, wie sie ihre Produkte in meinem Unternehmen einsetzen können. Und ich frage sie, wie sie unseren Erfolg mit ihren Produkten messen würden. Wir haben zwar interne Messgrößen, aber ich möchte von den Anbietern hören, wie man am besten misst."
3. Versteckte Kosten identifizieren
Nach Auffassung von Michael Spires, Chefberater bei der Hackett Group, sollten IT-Manager und CIOs wirklich verstehen, was sie gerade kaufen - egal, ob es dabei um Funktionen, Integrationen oder Supportanforderungen geht, und auch, wenn das in Zusammenarbeit mit Kollegen geschieht: "Das klingt zwar einfach, in der Praxis prüfen jedoch viele Entscheider nicht gründlich genug. Natürlich gibt es Systemintegratoren, an die Sie sich wenden können, aber wenn Sie noch nie mit einer Technologie gearbeitet haben, gibt es blinde Flecken. So erkennen Sie unter Umständen nicht, ob ihre Anforderunegn erfüllt werden, wie schwierig es ist, von einer Reihe von Services auf eine andere umzusteigen, oder wie schwierig diese zu konfigurieren sind."
Zudem versäumten viele Unternehmen es regelmäßig, die Kosten für Technologieanschaffungen gründlich zu erfassen. Dies führe dazu, dass die Gesamtbetriebskosten nicht genau ermittelt werden könnten: "Das ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, wie leicht es ist, sich von den Versprechungen einer neuen Technologieinvestition auf die falsche Fährt locken zu lassen", meint Spires und fügt hinzu: "Die Vorteile werden im Voraus verkauft und die Herausforderungen heruntergespielt. Diese können jedoch für böse Kostenüberraschungen sorgen - die für einige Firmen nicht zu überwinden sind."
4. Einkaufsteam richtig zusammenstellen
Auch die Zusammensetzung des Einkaufsteams hat laut der Gartner-Studie großen Einfluss auf die Investitionsergebnisse: Einkäufer, die nichts bereuen, verfügen demnach nachweislich über vielfältigere Einkaufsteams mit mehr beteiligten Funktionsgruppen. Das bedeute jedoch nicht, dass mehr Prozessbeteiligte die Antwort darauf sind, unterstreicht Gartner-Mann Barnes: "Das kann sich sogar nachteilig auswirken. Der Schlüssel liegt vielmehr darin, einen kollaborativen Prozess zu schaffen, der sicherstellt, dass genau die richtigen Mitarbeiter mit dem erforderlichen Fachwissen eine gründlichere Bewertung möglicher Anschaffungen vornehmen. Auf diese Weise können Fragen, Probleme und Bedürfnisse bereits im Voraus berücksichtigt werden."
Unternehmen, die dieses Fachwissen nicht während des Auswahlprozesses einholen, sehen sich laut Barnes häufig mit Verzögerungen konfrontiert, da sie auf Anforderungen (etwa Sicherheitsüberprüfungen) stoßen, von denen sie im Voraus nichts wussten. "Noch problematischer ist, dass diese Unternehmen nach dem Kauf eher feststellen, dass sie Probleme übersehen haben, die entweder nicht oder nicht leicht behoben werden können. Das erhöht die Kaufreue-Wahrscheinlichkeit enorm", konstatiert der Berater.
Sunil Kanchi, CIO beim IT-Dienstleister UST Global, weist zudem darauf hin, dass CIOs bei der Zusammenstellung ihrer Einkaufsteams umfassend darüber nachdenken sollten, wer über wertvolle Erkenntnisse verfügen könnte, die sich auf Kaufentscheidungen auswirken könnten. Der IT-Entscheider selbst arbeitet beispielsweise mit dem CHRO seines Unternehmens und anderen Führungskräften zusammen, um den voraussichtlichen Personalbedarf zu ermitteln: "So ist sichergestellt, dass neue Enterprise-Systeme nicht nur kurzfristig funktionieren, sondern auch angemessen skaliert werden können, wenn die Belegschaft wächst."
5. Bereit sein, schnell zu reagieren
Geht es um Technologie-Anschaffungen, kann es nachteilig sein, nicht schnell genug zu handeln - meint Merim Becirovic, Managing Director of Global IT and Enterprise Architecture bei Accenture: "Angesichts des heutigen technologischen Reifegrads ist es viel einfacher, gute Entscheidungen zu treffen und sie nicht zu bereuen. Aber ich werde diesbezüglich immer wieder gefragt, wie man die Dinge in diesem Zusammenhang beschleunigen kann. Wir haben immer mehr Möglichkeiten, aber alles entwickelt sich so schnell, dass es auch immer diffiziler wird, Schritt zu halten."
Um sich verpasste Gelegenheiten zu ersparen, rät Becirovic CIOs Folgendes: "Sie sollten Technologieentscheidungen auf der Grundlage der Wertschöpfung treffen, auf die Public Cloud umsteigen, um die nötige Agilität zu schaffen und mit IT-Innovation Schritt zu halten, und Ihre IT-Governance-Verfahren aktualisieren. In der heutigen Cloud-Welt ist es wesentlich einfacher, Dinge schnell auszuprobieren - das sollten Sie sich zunutze machen." (fm)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.