Bringen wir den Truismus direkt zum Einstieg hinter uns: Das Entgelt ist für Bewerber einer der wichtigsten Faktoren bei der Stellensuche. In der Praxis stellt es in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle selbstverständlich nicht den Hauptmotivator für einen Arbeitgeberwechsel dar. Allerdings hat es in den meisten Fällen neben dem Standort des neuen Arbeitgebers die Rolle des wichtigsten Hygienefaktors bei der Jobsuche inne, der - wenn alle anderen Rahmenkriterien einer neuen Position passen - über den Erfolg entscheidet. Umso wichtiger ist es, gerade in kandidatengetriebenen Märkten, die Wünsche der heiß umworbenen Experten zu berücksichtigen.
Obwohl diverse Umfragen und Untersuchungen belegen, dass Bewerber sich eine Gehaltsangabe in Stellenanzeigen wünschen, ist dies in der Praxis Mangelware. Dies ist besonders vor dem Hintergrund verwunderlich, dass ein nicht unerheblicher Anteil von potenziellen Kandidaten sich durch das Auslassen dieser Information auf die betreffenden Positionen nicht bewirbt. So wünschen sich 74 Prozent der Befragten Angaben zum Gehalt und 60 Prozent würden sich eher für eine Stellenanzeige mit Informationen zur Vergütung entscheiden.
Gerade im hart umkämpften IT-Bereich bedeuten diese Zahlen für Recruiter sowie die IT-Manager also einen klaren Nachteil. Wenn wir zusätzlich berücksichtigen, dass diese Situation sich in den kommenden Monaten und Jahren aufgrund demographischer Entwicklungen weiter verschärfen wird, werden die Auswirkungen dieses Verhaltens sogar noch detrimentaler. Auf Themen wie die Gender Pay Gap gehe ich dabei noch nicht einmal ein. Doch wieso berauben sich Arbeitgeber in Jobinseraten eines ihrer wichtigsten Vorteile, der nachgewiesenermaßen für einen Großteil der potenziellen Bewerber hochrelevant ist?
Es scheint, dass viele Unternehmen sich Sorgen machen, was ein transparenter Umgang mit der zu erwartenden Bezahlung bedeuten könnte. Im Gespräch mit Personal- und IT-Abteilungen wird mir im Regelfall einer der folgenden Gründe für dieses Verhalten genannt:
Flexibilität für die Gehaltsverhandlung maximieren (Schnäppchen schießen)
Anzahl der Bewerbungen maximieren (Recruiting Funnel optimieren)
Interne Gehaltshygiene (Böses Blut vermeiden)
Marktforschung (Überblick verschaffen)
Lassen Sie uns diese gemeinsam näher beleuchten.
Verhandlungsflexibilität maximieren
Es ist nachvollziehbar, dass bei den meisten Firmen nicht nur im Einkaufs- oder Verkaufsprozess, sondern auch im Recruiting eine Profitmaximierung stattfindet. Dementsprechend betrachten es viele Personaler und Hiring-Manager als vorteilhaft, im Vorfeld keinen Rahmen zum Jahresgehalt zu nennen, um sich Spielraum in der Gehaltsverhandlung zu verschaffen. Die Befürchtung ist dabei, dass die Nennung von Gehaltsangaben in Stellenanzeigen die Gehaltsvorstellungen von Kandidaten nach oben treiben könnte.
Das mag sein. Allerdings gibt es Möglichkeiten, hier gleich von Anfang klar zu machen, dass das Jahresgehalt maßgeblich von der individuellen Berufserfahrung abhängig ist. Zum Beispiel, indem der Gehaltsrahmen in den Stellenanzeigen als erfahrungsabhängig angegeben wird. Damit ist den Bewerbern klar, dass das konkrete Gehalt dann im persönlichen Gespräch konkretisiert wird. So sind Sie transparent und bewahren sich dennoch den nötigen Spielraum.
Es gibt zudem Punkte, die diesem Ansatz des "Schnäppchen schießens" entgegen laufen. Zum Einen haben durch soziale Business-Netzwerke, Headhunter und diverse Gehaltsstudien sowie Portale wie kununu und Glassdoor die Bewerber mittlerweile sehr viele Möglichkeiten, ihren Marktwert einzuschätzen. Die Informationasymmetrien, welche noch vor einigen Jahren existierten, sind in der Auflösung begriffen. Hieraus resultiert, dass bei einem solchen Vorgehen bei den betroffenen Firmen in der Regel die Fluktuation gerade unter guten Mitarbeitern steigt. In diesem Fall dürfen sie die Kosten für die Suche in kürzeren Intervallen auf sich nehmen, als wenn sie von Anfang ein attraktives Gehalt anbieten.
Den damit einhergehenden Imageverlust, der auf einem engen Markt naturgemäß zeitnah eintritt und dessen Einfluß auf die Erfolgsaussichten im Recruiting lasse ich bei dieser Betrachtung noch komplett außen vor.
Zahl der Bewerber maximieren
Ein weiterer Grund, der mir im Kontext der Gehaltstransparenz oft genannt wird, ist der Recruitment Funnel. Kurz zusammengefasst geht es hierbei darum, die Anzahl der eingehenden Bewerbungen zu maximieren und diese im Laufe der Gespräche herunterzufiltern - bis am Ende der optimale Beewrber übrig bleibt. Je mehr Kandidaten sich dabei auf Stellenausschreibungen bewerben, desto wahrscheinlicher ist es gemäß dieser Vorgehensweise also, dass das passende Profil dabei ist.
Dieses Modell mag sich für arbeitgebergetriebene Stellenmärkte durchaus anbieten. Aus der Praxis allerdings rate ich gerade bei senioren SAP- und IT-Stellen entschieden davon ab. Hier sollte das Ziel nicht lauten, möglichst viele, sondern wenige, dafür passende Kandidaten zu erreichen.
Zum Einen kosten die Vorstellungsgespräche Zeit und Ressourcen bei allen Beteiligten. Wenn hier Bewerber, die deutlich über dem avisierten Entgelt liegen, sich nicht bewerben, werden die Recruiter und die Hiring-Manager gleichermaßen entlastet. Noch viel wichtiger allerdings wiegt die Wahrnehmung auf dem Kandidatenmarkt. Alleine das Erstellen der Bewerbungsunterlagen sowie gegebenenfalls des Anschreibens und das Einpflegen in diversen Portalen kostet Bewerber im Schnitt pro Stelle mindestens 30 Minuten. Wenn zusätzlich Vorstellungsgespräche stattfinden, können wir inklusive Organisation und Durchführung darauf pro Bewerbungsgespräch mindestens zweieinhalb Stunden veranschlagen. Was meinen Sie, welche Wirkung es bei senioren Kandidaten erzeugt, wenn sie Stunden ihrer Zeit für eine Vakanz investieren, bei der ein Hinweis zum Thema Verdienst im Vorfeld viel Zeit und Nerven gespart hätte?
Da sich dies zudem auf dem Kandidatenmarkt herumspricht - seniore SAPler sind häufig hervorragend vernetzt - investieren die Arbeitgeber in diesem Kontext nicht nur unnötig Zeit und Ressourcen sondern fügen Ihrem Unternehmensbild vermeidbaren Schaden zu.
Interne Gehaltsstrukturen
Bei einigen Arbeitgebern schwingt hinsichtlich der Gehaltstransparenz die Befürchtung mit, dass ihre bestehenden Teammitglieder sich im Vergleich unterbezahlt fühlen könnten. Die Konsequenzen hieraus wären zum Einen eine potenzielle Demotivation und Streitigkeiten à la "Warum bekommt er/sie mehr als ich?" Zum Anderen steigt das Potenzial, dass dadurch die Wechselbereitschaft und die Fluktuation erhöht werden.
Diesen Punkt kann ich komplett nachvollziehen. Allerdings berücksichtigt er nicht, dass auch die eigenen Mitarbeiter die Option haben, sich über marktübliche Gehaltsstrukturen zu informieren. Gehen Sie realistisch davon aus, dass zum Beispiel die meisten Ihrer SAP-Berater per XING oder LinkedIn mindestens zwei bis drei Headhunteranfragen pro Woche erhalten. Selbst wenn Sie also das Thema Gehalt nicht offen kommunizieren, wird es letztendlich dennoch zu Ihren Beschäftigten durchdringen. Die Konsequenzen sind dieselben. Mit dem gravierenden Unterschied, dass Sie die Möglichkeit aus der Hand geben, die Erwartungshaltungen zu moderieren und in einen Kontext einzubetten.
Eine offene Kommunikation in Verbindung mit klaren Vorgaben und Zielen für eine meritokratische Gehaltssteigerung bewirkt hier mehr und fungiert zudem als mitarbeiterbindende Maßnahme.
Marktforschung
Last but not least gibt es einige Ansprechpartner, die sich hinsichtlich der Marktbedingungen nicht sicher sind. Diese wollen zunächst den Rücklauf auf eine Stelle abwarten und darauf basierend einen Gehaltsrahmen entwickeln.
Hiervon rate ich uneingeschränkt ab. Einerseits schrecken Sie damit Jobsuchende ab. Zum Anderen gibt es auch für Firmen die Möglichkeit, sich über Personalberater, soziale Netzwerke und Gehaltsstudien einen Überblick zu verschaffen.
Lesetipp: Gehaltserhöhung für Informatiker - Sieben Wahrheiten über das Gehaltsgespräch
Fazit - Alles wie gehabt?
Sie merken, ich bin ein Verfechter der Gehaltstransparenz in Stellenanzeigen. Nicht rein aus moralischer Überzeugung, sondern vor Allem, da die Zahl der passenden Kandidaten eklatant höher ist. Und zudem die Wahrnehmung auf dem Kandidatenmarkt eine sehr viel positivere, von Fairness und Kommunikation auf Augenhöhe geprägte ist. Die Gespräche werden dadurch automatisch werthaltiger und produktiver, was im Endeffekt Ihre Zeit und Ihr Geld spart.
Die Zeiten der Bewerber als Bittsteller sind in der IT vorbei und werden es auch auf absehbare Zeit bleiben. Wenn Sie sich nicht sicher sind, ob dies für Sie eine Option ist: Starten Sie zumindest einen A/B Test und warten Sie die Resultate ab. (bw)