Digitale Zwillinge

4 Digital-Twin-Erfolgsbeispiele

03.01.2022
Von  und
Thor Olavsrud ist Senior Writer bei CIO.com und beschäftigt sich mit IT-Security, Big Data, Open-Source-Technologie sowie Microsoft-Tools und -Server-Systemen. Er lebt in New York.
Daniel Fejzo ist freier Mitarbeiter der Redaktion COMPUTERWOCHE.
Diese vier Unternehmen profitieren von digitalen Zwillingen. Lesen Sie, wie.
Die Digital-Twin-Technologie kann Unternehmen unterschiedliche Vorteile verschaffen, wie diese Erfolgsbeispiele zeigen.
Die Digital-Twin-Technologie kann Unternehmen unterschiedliche Vorteile verschaffen, wie diese Erfolgsbeispiele zeigen.
Foto: Chesky - shutterstock.com

Schon immer haben Menschen Daten gesammelt, um die physische Welt um sie herum besser zu verstehen. Heute versuchen Unternehmen zunehmend, die digitale und physische Welt mit digitalen Zwillingen zu verschmelzen. Digital Twins dienen als Brücke zwischen den beiden Sphären, indem sie physische Objekte und Prozesse virtuell und in Echtzeit abbilden. Die virtuellen Klone können Unternehmen dabei unterstützen, Szenarien zu simulieren, deren Test mit physischen Ressourcen zu zeitaufwendig oder zu kostspielig wäre. Sie erleichtern die Überwachung des Betriebs sowie Predictive Maintenance und liefern Anhaltspunkte für Investitionsentscheidungen, langfristige Businesspläne, die Entwicklung neuer Innovationen und Prozessoptimierung.

Laut einer im September 2020 veröffentlichten Prognose der Marktforscher von MarketsandMarkets wies der weltweite Markt für digitale Zwillinge im Jahr 2020 ein Volumen von 3,1 Milliarden Dollar auf. Bis zum Jahr 2026 soll er auf 48,2 Milliarden Dollar anwachsen, was einer durchschnittlichen, jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 58 Prozent entspricht.

Die folgenden vier Use Cases zeigen, wie Unternehmen Digital Twins heute effektiv einsetzen.

Rolls-Royce verbessert Effizienz

Das multinationale Luft-, Raumfahrt- und Rüstungsunternehmen Rolls-Royce setzt zur Kontrolle seiner Triebwerke die Digital-Twin-Technologie ein. Das Unternehmen kann so feststellen, wie die Triebwerke im Flugbetrieb performen, welche Bedingungen dabei herrschen und wie der Pilot es benutzt.

"Wir passen unsere Wartungspläne an, um sicherzustellen, dass wir die konkrete Lebensdauer eines Triebwerks optimieren und nicht die Lebensdauer, die es laut Handbuch haben sollte", erläutert Stuart Hughes, Chief Information and Digital Officer bei Rolls-Royce. "Es ist ein genuin variabler Service, der jedes Triebwerk als Einzelstück betrachtet."

Das Unternehmen bietet seinen Kunden bereits seit Jahren die Triebwerksüberwachung als Leistung an, doch dank der Digital-Twin-Funktion gelang es Rolls-Royce, diesen Service auf konkrete Triebwerke zuzuschneiden. Die Zeitabstände zwischen den Wartungsarbeiten konnte Rolls-Royce so für manche Triebwerke um bis zu 50 Prozent verlängern. Positiver Nebeneffekt: Der Bestand an Bau- und Ersatzteilen konnte drastisch reduziert werden. Die Technologie unterstützte Rolls-Royce darüber hinaus dabei, die Effizienz seiner Triebwerke zu optimieren und bis heute insgesamt 22.000 Tonnen CO² einzusparen.

Hughes' Ratschlag: "Verstehen Sie Ihre Kunden. Zu wissen, wie und warum man die Möglichkeiten des digitalen Zwillings einsetzt, ist ebenso wichtig wie das Knowhow um die Technologie selbst." Hughes zufolge sei der Service ein Gewinn, weil er sowohl für Rolls-Royce als auch für seine Kunden klare Vorteile biete: "Der Kundenvorteil manifestiert sich in geringeren Ausfallzeiten, weil das Triebwerk länger im Flugzeug verbleibt. Der Vorteil für uns ist, dass wir die Art und Weise, wie wir Wartungsarbeiten durchführen, verbessern können."

Mars optimiert Lieferkette

Der Lebens- und Genussmittelriese Mars hat zur Unterstützung seiner Geschäftsprozesse einen digitalen Zwilling seiner Produktionslieferkette erstellt. Der Konzern nutzt Microsoft Azure in Kombination mit künstlicher Intelligenz, um Daten zu verarbeiten und zu analysieren, die von den Fertigungsmaschinen in seinen Produktionsstätten generiert werden. "Wir sehen die Digitalisierung als einen massiven Geschäftstreiber", sagt Sandeep Dadlani, Chief Digital Officer von Mars. "Aber wir digitalisieren nicht zum Selbstzweck."

Mars nutzt den Azure Digital Twins IoT-Service von Microsoft, um die Abläufe in seinen 160 Produktionsstätten zu justieren und wird dabei von Accenture-Beratern unterstützt. Um das Kapazitätsmanagement und die Prozesssteuerung zu stärken, setzt das Unternehmen auf Softwaresimulationen. Beispielsweise maximiert der Konzern per Predictive Maintenance die Laufzeit seiner Maschinen und reduziert fehlerbedingte Ausschüsse. Mithilfe des Digital Twins ist Mars zudem in der Lage, einen virtuellen "App-Store" für Use Cases zu erstellen, der in allen Fachbereichen wiederverwendet werden kann.

In Zukunft plant das Unternehmen, die Daten des digitalen Zwillings zu nutzen, um die Auswirkungen von situationsbedingten Faktoren (etwa dem Klima) auf seine Produkte zu analysieren. Für die Verbraucher bedeutet das tiefere Einblicke in die Lieferkette - von der Entstehung des Produkts bis zur Ladentheke.

Dadlanis Ratschlag: "Experimentieren Sie und nehmen Sie Fehlschläge in Kauf." Mars ermutige seine Mitarbeiter, Probleme mit Hilfe von KI und anderen neuen Technologien zu lösen, wenn dies sinnvoll scheint. "Wenn sich ein Problem gut definieren lässt, sollte man sich auch in der Lage fühlen, es mit Hilfe von KI zu lösen", so der CDO. Das Mindset sei Bestandteil intensiver Bemühungen, die Unternehmenskultur dahingehend zu verändern, Experimente zuzulassen und den Mitarbeitern zu ermöglichen, aus Fehlern zu lernen.

TIAA reduziert Komplexität

Die Teachers Insurance and Annuity Association of America-College Retirement Equities Fund (TIAA) hilft US-Lehrern bei der Verwaltung ihrer Pensionsfonds. Um die Komplexität bei der Aufnahme neuer Kunden zu verringern, setzt der gemeinnützige Finanzdienstleister einen digitalen Zwilling ein, der auf einer Graphdatenbank basiert. "Bei TIAA haben wir ein sehr kompliziertes Produktangebot für die Altersvorsorge, das alle Vorschriften des IRS [US-amerikanische Finanzbehörde] erfüllt", sagt Alex Pecoraro, Managing Director und Leiter der Technologieabteilung für Altersvorsorge bei TIAA. "Zur Einrichtung des Fonds ist ein gewisses Maß an Geschäftskenntnis erforderlich - wir haben ganze Teams, die sich dieser Aufgabe widmen."

Die ausgelagerten Dienste von TIAA bestehen aus über 600 Funktionen, die mehr als eine Billion möglicher Kundenkonfigurationen ergeben können. Vor dem Einsatz der Digital-Twin-Technologie haben spezialisierte TIAA-Teams die technischen Konfigurationen manuell erstellt und anhand des vom Kunden gewünschten Betriebsmodells getestet. Das hatte jedoch den Nachteil, dass Mitarbeiter je nach Fachwissen stark "funktionalisiert" waren, also nur bestimmte Angebotsarten bearbeiten konnten. Dieser Umstand erschwerte es, den Betrieb zu skalieren.

Um das Problem zu lösen, erstellte Pecoraros Team einen digitalen Zwilling, der aus einer Graphdatenbank besteht, wobei Kontrollknoten zur Darstellung der komplexen Gruppierungslogik verwendet werden. Datenknoten stellen die Datenfelder dar, die für die Implementierung eines Merkmals erforderlich sind und Beziehungsverknüpfungen kennzeichnen Abhängigkeiten, Validierungen und Einschränkungen. Die Datenbank hat den Zeitaufwand und das erforderliche Fachwissen für das Kunden-Onboarding reduziert.

Pecoraros Ratschlag: "Ändern Sie Ihre Perspektive." Für den Manager lag der Schlüssel zum Erfolg des Projekts darin, es an die Produkte anzupassen, anstatt es als technisches Konfigurationsproblem zu betrachten: "Es gab einen Mitarbeiter im Team, der die Idee hatte, unsere Aufmerksamkeit von der Konfiguration auf das zu lenken, was der Kunde tut und auf welche Angebote er eingeht. Dieser Perspektivenwechsel war der Dreh- und Angelpunkt. Im Nachhinein mag es offensichtlich erscheinen, aber wenn man in Detailfragen vertieft ist, sieht man manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht."

Bayer Crop Science transformiert Strategie

Bayer Crop Science hat Digital Twins eingesetzt, um "virtuelle Fabriken" seiner neun Maissaatgut-Produktionsstätten in Nordamerika zu schaffen. Das Saatgut wird auf den Feldern von Bayer geerntet, durchläuft die neun Standorte zur Verarbeitung und Verpackung und wird dann an die Landwirte verteilt. "Mit Machine-Learning-Algorithmen oder Simulationen können wir unsere Geschäfts- und Entscheidungsprozesse völlig neu gestalten", konstatiert Naveen Singla, Leiter des Data Science Center of Excellence (COE) bei Bayer Crop Science.

Bayer hat eine dynamische digitale Darstellung der Ausrüstung, der Prozess- und Produktflussmerkmale, der Stückliste und der Betriebsregeln für jeden der neun Standorte erstellt. Das ermöglicht dem Unternehmen, "Was-wäre-wenn"-Analysen für jeden einzelnen Standort durchzuführen. Wenn das Sales-Team neue Saatgutaufbereitungsangebote oder innovative Preisstrategien einführt, kann das Unternehmen die virtuellen Fabriken nutzen, um zu beurteilen, ob der Standort bereit ist, seine Abläufe an diese neuen Strategien anzupassen.

Die virtuellen Fabriken können auch dazu genutzt werden, Investitionsentscheidungen und langfristige Geschäftspläne zu unterstützen, neue Produkte zu identifizieren und Prozesse zu optimieren. Bayer kann nach eigener Aussage nun zehn Monate Betrieb an neun Produktionsstandorten in zwei Minuten komprimieren und so komplexe Fragen zu SKU-Mix, Ausrüstungskapazität, Gestaltung der Prozessreihenfolge und Netzwerkoptimierung beantworten.

Singlas Ratschlag: "Kennen Sie Ihr Geschäftsfeld." Ein wichtiger Faktor für den Erfolg von Bayer habe darin bestanden, dass das mit der Erstellung der digitalen Zwillinge beauftragte Team viel Zeit an den Produktionsstandorten verbrachte, um die Abläufe zu verstehen und die Unterstützung der Beteiligten zu gewinnen. "Entscheidend war, dass unsere Datenwissenschaftler den Geschäftsbereich verstehen." (fm)

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.